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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 60.1927

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Michel, Wilhelm: Die Kunst und die Machthaber
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https://doi.org/10.11588/diglit.9255#0272

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Die Kunst und die Machthaber

als ständig sich wandelndes Wesen darstellt. —
Indem aber die Machthaber und die Anhänger
der Tendenz- und Gesinnungskunst sich auf
diesen Sachverhalt berufen, begehen sie fast
stets einen verhängnisvollen Irrtum. Sie ver-
wechseln die „Mächte" der Zeit mit ihrer Macht,
sie verwechseln die „Ideen" der Zeit mit ihrem
privaten Denken, Meinen und Wollen. Lebens-
kraft schöpft die Kunst nur aus denjenigen
Ideen, die in der Tiefe, aus der Tiefe herauf
wirken und die in ganz anderen Schichten der
Zeit wurzeln als in denen, die von den Macht-
kämpfen des Tages ergriffen werden. Macht-
veränderungen an der Oberfläche sind nicht
Mächteveränderungen in der Tiefe. Wenn erst
die Revolution und zehn Jahre später Bonaparte

der Kunst Dekrete geben, so liegt zwischen
beiden Akten ganz gewiß keine Ideenänderung,
keine Mächteverschiebung in der Zeitentiefe.
Wir haben mörderische Kriege, schwerwiegende
politische Umwälzungen über Teile der Mensch-
heit hinweggehen sehen, ohne daß die eigent-
liche Kunst davon innerlich Notiz nahm. Das
ist der Beweis dafür, daß diese Katastrophen,
so einschneidend sie waren, nicht bis in die
Tiefenschicht des Zeitbewußtseins hinabgewirkt
haben, wo die „Ideen", die „Mächte" leben.
Aber nur aus dieser Tiefenschicht erfolgen die
grundlegenden geistigen Veränderungen. Darum
nimmt der Machthaber, der die Kunst in seinen
Dienst spannen will, zuverlässig etwas ande-
res als die Kunst in Dienst; nämlich die schnell-
 
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