Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 70.1932

DOI Artikel:
Urban, G.: Aus dem Schaffen von Gorge
DOI Artikel:
Nemitz, Fritz: Kunst und Psychoanalyse
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7201#0054

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
44

festigt sind. Dadurch wird nicht nur ein Auf-
binden der Kissen überflüssig, sondern auch
deren Abnehmen zur Reinigung erleichtert. Auch
die Polsterung der Stühle, die in einfacher Form
der Bequemlichkeit dienen, dennoch aber dem
Auge Vergnügen bereiten, ist abnehmbar. Wohl
überlegt hat Hugo Gorge diesem eigenartigen
Gemach keinen von der Decke herabhängen-
den Beleuchtungskörper gegeben, sondernLicht-
träger an den Wänden angebracht.

Auch das Wohn-Schlafzimmer mit dem Kamin
aus schwarz-weißen Tonplatten, vor dem ein
die Heizfunktion erfüllender Radiator steht, der
aber auch, orange getönt, als Farbfleck in einer
diskret abgestimmten Umgebung wirkt, zeichnet
sich durch Schlichtheit und Einheitlichkeit aus.

Ungewöhnlich auch das breite Fenster für Kak-
teen und andere Pflanzen. Gefällig geformt der
einen kleinen Sekretär bergende Schrank mit
seinen Abstellfächern für Bücher und andere
Kleinigkeiten. Nirgends in diesem Raum irgend-
eine Effekthascherei. Aber alles das, was das
neue Lebensgefühl von Raumkunst verlangt,
wird vorbildlich zur Geltung gebracht. Das ist
damit zu erklären, daß Hugo Gorge nicht nur
ein hervorragender Könner ist, vielmehr ein
Künstler, dessen Sinn, auf das Ganze gerichtet,
keine Kleinigkeit übersieht, der die Gestaltungs-
stoffe als lebendige Substanzen behandelt, um
durch diese Behandlung und durch die Ge-
schlossenheit seiner Kompositionen Wirkungen
voll Leben und Schönheit zu erzielen. G. URBAN.



KUNST UND PSYCHOANALYSE

Aus einer eng umgrenzten medizinischenTheo-
rie erwachsen, ist die Psychoanalyse, die
Wissenschaft vom Unbewußten, mehr und mehr
zu einer Theorie der seelischen Vorgänge ge-
worden, die viele Gebiete befruchtet hat, sei
es Pädagogik oder Völkerpsychologie, Literatur-
oder Kunstbetrachtung. Sieht man von Über-
treibungen ab sowie von dogmatischen An-
sprüchen, die sie als Patentschlüssel betrach-
ten, mit dem man alle Türen zu allen Mysterien
öffnen kann, nimmt man sie als Hilfsmittel, so
bedeutet sie eine neue und vertiefte Art der
Betrachtung.

Die Psychoanalyse vereinigt zwei entgegen-
gesetzte Bestandteile. Sie ist einmal Wissen-
schaft vom seelischen Geschehen (im wesent-
lichen vom Triebgeschehen) und dann Tech-
nik der Beeinflussung des Seelenlebens und
Heilung seelischer Störungen. Nach zwei ver-
schiedenen Seiten hin können ihre Ergebnisse
auch auf die Kunst angewandt werden: als
Aufdeckung der unbewußten Schichten eines
Kunstwerkes oder eines Stiles, als Zurückfüh-
rung des Werkes auf unbewußte Quellen ver-
drängter und sublimierter, d. h. in höhere Form
gebrachter Wünsche und Triebe. Die zweite
Art dient dann der Heilung bestimmter Störun-
gen, bestimmter „Komplexe" beim Künstler.

Daß alles künstlerische Schaffen auf dem
Grunde starker, gesammelter Affekte ruht und
daß der Anteil des Unbewußten am Zustande-
kommen des Werkes entscheidend ist, gehört
zu den Grundsätzen der Ästhetik. Künstler und
Wissenschaftler gehen aber grundsätzlich ver-
schiedene Wege. Der erste geht vom Ein-Fall
aus, vom Erlebnis, von der Inspiration, er ver-
fährt synthetisch. Er ist in den Augen-
blicken des Schaffens in der ungeteilten

Ganzheit des Lebens; nicht im Scheinwerfer-
licht des Verstandes, wie der Wissenschaftler,
der, vom einzelnen ausgehend, dieses nach rück-
wärts auf die Quellen hin untersucht und dabei
analytisch verfährt.

In seiner Untersuchung über den Moses
Michelangelos spricht Freud einmal aus, daß
er Kunst nur empfindet, wenn er sich über
die Wirkungen gedanklich Rechenschaft geben
kann. In dieser intellektuellen Einseitigkeit liegt
aber die Problematik nicht nur der analy-
tischen Kunstbetrachtung, sondern die Grenze
der Psychoanalyse überhaupt.

Als Heilmittel seelischer Störungen scheint
sie zunächst für den Künstler besonders brauch-
bar zu sein, da nach manchen Behauptungen
Kunst und Neurose sich gegenseitig bedingen.
Gerade hier aber wird die Anwendung ana-
lytischer Methoden bedenklich. Komplexe, d. h.
Störungsfaktoren seelischen Ursprungs brau-
chen nicht hemmend zu wirken, sie wirken im
Gegenteil oft als Kraftquellen. Viele Künstler
schaffen nicht aus freiströmender Kraft, son-
dern aus mehr oder minder großen Spannungen
und Qualen. Hier betreten wir Bezirke, die nur
mit größter Vorsicht, mit behutsamsten Händen
behandelt werden dürfen. „Forschungen" aber,
die an Hand eines Werkes feststellen, daß der
Urheber zu dieser oder jener Klasse von Neu-
rotikern gehöre, die ein Werk lediglich zu einem
Symptom seelischer Zustände degradieren —
solche Verfahren sind auf das entschiedenste
abzulehnen. Die Absicht solcher Untersuchun-
gen, aufzuzeigen, daß auch Goethe oder van
Gogh ganz gewöhnliche Menschen mit ganz ge-
wöhnlichen Trieben seien, kann nicht anders
gedeutet werden als die Rachsucht unschöpfe-
rischer Dilettanten dem Geiste gegenüber.
 
Annotationen