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KÄTHE
MERTENS
DRUCKSTOFF
-ENTWURF
DEKORATIONSSTOFFE IM WOHNRAUM
Je schlichter sich die moderne Wohnung ge-
staltet, desto besseres und erwünschteres
Feld bietet sie den Dekorationsstoffen. Wir
lieben die elegante Knappheit, die phrasen-
lose Heiterkeit und Unmittelbarkeit der neu-
zeitlichen Raumbildung. Aber wir freuen uns,
innerhalb dieser Schlichtheit einem abgegrenz-
ten Feld belebterer Formen zu begegnen, die
anregend und fröhlich sind. Das ist der Grund,
weshalb gerade in neuester Zeit die Verwen-
dung von Dekorationsstoffen eher zu- als ab-
nimmt. Ein hübscher, bunter Vorhang, ein paar
farbige Kissen stimmen einen ganzen Raum
auf einen freudigen Ton. Als Möbelbezug, als
Wandteppich, als Tischbelag kann ein gut er-
fundener Stoff Wunder wirken. So wenig wir
heute die alles überwuchernde Ornamentik
von ehedem ertragen würden, so gern lassen
wir uns an bevorzugten Stellen eine abge-
grenzte schmückende Darbietung gefallen, die
ja durch unser tieferes Wissen um den Men-
schen, um das Form- und Farben - Bedürfnis
seines Gemüts ausreichend legitimiert ist.
Die Entwürfe zu Dekorationsstoffen, die wir
von Hilde Gross zeigen, passen sich der
Funktion, die sie im neuzeitlichen Wohn-
raum zu erfüllen haben, aufs beste an. Sie sind
fein diszipliniert und erzählen bald in anmutig-
leichter, bald in gesetzterer Sprache vom For-
menleben der Pflanzen. Sie stammen vom Lino-
leumschnitt; das gibt ihnen Haltung und Ge-
wicht. Sehr hübsch verwendet die Künstlerin
technische Möglichkeiten dieses Verfahrens,
indem sie dasselbe Motiv einmal in kräftigem
Schwarzdruck, das andere Mal in blassem
Graudruck auf derselben Fläche vereinigt.
Man merkt die Identität des Motivs gar nicht,
man empfängt nur einen gesteigerten Eindruck
von Fülle und Phantastik. Zwischen gefieder-
ten Zweigen und schlanken Blumenstengeln
drängen sich Knospenformen, Nuß- und Frucht-
formen hervor, krause, behaarte Kugeln,
Ähren, Sterne, kleine Blumensonnen. — Die
Pflanzenwelt ist und bleibt die nächste, die
schönste und schmiegsamste Formenwelt, an
die der Ausdruck menschlicher Phantastik an-
knüpfen kann. Sie ist die lieblichste und ver-
ständlichste Entsprechung zu allem, was im
Gemüt des Menschen an freien, spielenden und
harmlos - dichterischen Kräften vorhanden ist.
XXXV. September 1932. 6.
KÄTHE
MERTENS
DRUCKSTOFF
-ENTWURF
DEKORATIONSSTOFFE IM WOHNRAUM
Je schlichter sich die moderne Wohnung ge-
staltet, desto besseres und erwünschteres
Feld bietet sie den Dekorationsstoffen. Wir
lieben die elegante Knappheit, die phrasen-
lose Heiterkeit und Unmittelbarkeit der neu-
zeitlichen Raumbildung. Aber wir freuen uns,
innerhalb dieser Schlichtheit einem abgegrenz-
ten Feld belebterer Formen zu begegnen, die
anregend und fröhlich sind. Das ist der Grund,
weshalb gerade in neuester Zeit die Verwen-
dung von Dekorationsstoffen eher zu- als ab-
nimmt. Ein hübscher, bunter Vorhang, ein paar
farbige Kissen stimmen einen ganzen Raum
auf einen freudigen Ton. Als Möbelbezug, als
Wandteppich, als Tischbelag kann ein gut er-
fundener Stoff Wunder wirken. So wenig wir
heute die alles überwuchernde Ornamentik
von ehedem ertragen würden, so gern lassen
wir uns an bevorzugten Stellen eine abge-
grenzte schmückende Darbietung gefallen, die
ja durch unser tieferes Wissen um den Men-
schen, um das Form- und Farben - Bedürfnis
seines Gemüts ausreichend legitimiert ist.
Die Entwürfe zu Dekorationsstoffen, die wir
von Hilde Gross zeigen, passen sich der
Funktion, die sie im neuzeitlichen Wohn-
raum zu erfüllen haben, aufs beste an. Sie sind
fein diszipliniert und erzählen bald in anmutig-
leichter, bald in gesetzterer Sprache vom For-
menleben der Pflanzen. Sie stammen vom Lino-
leumschnitt; das gibt ihnen Haltung und Ge-
wicht. Sehr hübsch verwendet die Künstlerin
technische Möglichkeiten dieses Verfahrens,
indem sie dasselbe Motiv einmal in kräftigem
Schwarzdruck, das andere Mal in blassem
Graudruck auf derselben Fläche vereinigt.
Man merkt die Identität des Motivs gar nicht,
man empfängt nur einen gesteigerten Eindruck
von Fülle und Phantastik. Zwischen gefieder-
ten Zweigen und schlanken Blumenstengeln
drängen sich Knospenformen, Nuß- und Frucht-
formen hervor, krause, behaarte Kugeln,
Ähren, Sterne, kleine Blumensonnen. — Die
Pflanzenwelt ist und bleibt die nächste, die
schönste und schmiegsamste Formenwelt, an
die der Ausdruck menschlicher Phantastik an-
knüpfen kann. Sie ist die lieblichste und ver-
ständlichste Entsprechung zu allem, was im
Gemüt des Menschen an freien, spielenden und
harmlos - dichterischen Kräften vorhanden ist.
XXXV. September 1932. 6.