LASZLO GABOR-WIEN
AQUARELL «CAFE DE LA PA1X«
WELTSEHEN UND WELTERGRIFFENHEIT
VON HEINRICH RITTER
Das Kunstwerk spricht Ergreifung oder Er-
griffenheit von der Welt aus. Diese stellt
sich manchmal durch begeistertes oder behag-
liches Nacherzählen der Wirklichkeit dar, wie
es im impressionistischen oder realistischen Ge-
mälde geschieht. Ein andermal stellt der Künst-
ler die geistige Seite seiner Weltergriffen-
heit in den Vordergrund. Er kommt da ins Philo-
sophieren oder ins Anbeten; oder er kommt ins
Staunen und zur Äußerung von Fremdgefühlen.
So ist der Kubismus und die weitere Picasso-
Schule von stark philosophischer Artung, wäh-
rend im Expressionismus vielfach die Fremd-
gefühle, der empfundene Weltschrecken und
die Weltablehnungsempfindungen das Feld be-
herrschen. Nicht das eigentliche Welt sehen,
wie früher oft gesagt und geglaubt wurde,
bestimmt die künstlerische Darstellung, son-
dern die Totalreaktion des Künstlers auf
die Welt; die bestimmende Nuance seiner Er-
griffenheit von ihr. Chagall „sieht" die Köpfe
seiner Gestalten nicht losgelöst von ihren Kör-
pern. Picasso „sieht" die Hände und Füße der
Menschen nicht gedunsen und klobig. Cezanne
„sieht" gerade Bäume nicht schief, und Beck-
mann „sieht" ein Bein nicht doppelt so lang
als es ist. Aber die innere Gefühlsant-
wort dieser Künstler auf die Eindrücke der
Sinne ist so geartet, daß sie, um ihr einen zei-
chenhaften Ausdruck zu verleihen, zu jenen
sonderbaren Angaben, die so offensichtlich vom
Tatbestand abweichen, prüfen müssen. Um
dem inneren Bild treu zu sein, müssen sie
— manchmal, nicht immer — über das äußere,
sinnliche Bild hinweggehen; wie ja auch mittel-
alterliche Gemälde, z. B. die Stifterfiguren
maßstäblich kleiner geben als die Heiligen-
gestalten. Picasso wurde einmal von einer
Dame gefragt, ob er wirklich die Welt so
„sehe", wie er sie in seinen kubistischen
Arbeiten darstelle. Der Künstler antwortete
lakonisch; „Aber das wäre ja fürchterlich!" —•
AQUARELL «CAFE DE LA PA1X«
WELTSEHEN UND WELTERGRIFFENHEIT
VON HEINRICH RITTER
Das Kunstwerk spricht Ergreifung oder Er-
griffenheit von der Welt aus. Diese stellt
sich manchmal durch begeistertes oder behag-
liches Nacherzählen der Wirklichkeit dar, wie
es im impressionistischen oder realistischen Ge-
mälde geschieht. Ein andermal stellt der Künst-
ler die geistige Seite seiner Weltergriffen-
heit in den Vordergrund. Er kommt da ins Philo-
sophieren oder ins Anbeten; oder er kommt ins
Staunen und zur Äußerung von Fremdgefühlen.
So ist der Kubismus und die weitere Picasso-
Schule von stark philosophischer Artung, wäh-
rend im Expressionismus vielfach die Fremd-
gefühle, der empfundene Weltschrecken und
die Weltablehnungsempfindungen das Feld be-
herrschen. Nicht das eigentliche Welt sehen,
wie früher oft gesagt und geglaubt wurde,
bestimmt die künstlerische Darstellung, son-
dern die Totalreaktion des Künstlers auf
die Welt; die bestimmende Nuance seiner Er-
griffenheit von ihr. Chagall „sieht" die Köpfe
seiner Gestalten nicht losgelöst von ihren Kör-
pern. Picasso „sieht" die Hände und Füße der
Menschen nicht gedunsen und klobig. Cezanne
„sieht" gerade Bäume nicht schief, und Beck-
mann „sieht" ein Bein nicht doppelt so lang
als es ist. Aber die innere Gefühlsant-
wort dieser Künstler auf die Eindrücke der
Sinne ist so geartet, daß sie, um ihr einen zei-
chenhaften Ausdruck zu verleihen, zu jenen
sonderbaren Angaben, die so offensichtlich vom
Tatbestand abweichen, prüfen müssen. Um
dem inneren Bild treu zu sein, müssen sie
— manchmal, nicht immer — über das äußere,
sinnliche Bild hinweggehen; wie ja auch mittel-
alterliche Gemälde, z. B. die Stifterfiguren
maßstäblich kleiner geben als die Heiligen-
gestalten. Picasso wurde einmal von einer
Dame gefragt, ob er wirklich die Welt so
„sehe", wie er sie in seinen kubistischen
Arbeiten darstelle. Der Künstler antwortete
lakonisch; „Aber das wäre ja fürchterlich!" —•