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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 70.1932

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Wolfradt, Willi: Gemälde von Annot
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https://doi.org/10.11588/diglit.7201#0143

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133

annot- berlin

gemälde »wickelkind«

schleuderten Tropfenperlen und Ziertrillern
schmückt. Die Künstlerin greift entzückt die
niedlichen Putzformen der Tracht wie Spitzen-
kanten, Lochmuster, Sternchen und dergleichen
auf, freut sich an jedem welligen Ornament der
Gardinen, an jedem Gelock. Damit weiß sie
sehr anmutig das Massige der Darstellung zu
durchbrechen, ihre Resolutheiten geistreich zu
würzen. Die vollflächige, kräftige Farbenschrift
wird durch dies verspielte Nebenwerk von
jeder Wichtigtuerei ferngehalten und ganz fein
verweiblicht. Alles aber, was in den Bildern
der Annot Frische ist und rassige Unmittelbar-
keit, findet sich von dorther unterstützt. So
etwa die Lust am Bunten, wie sie sich sehr
amüsant etwa in einem Porträt der höchst ori-
ginellen parodistischen Tänzerin Ciaire Eck-
stein in Lilatrikot manifestiert oder in jener
famosen Ankleideszene, die ein einziges Ge-
blitz von Hellblau und Rosa ist und ein Stück
malerischer Übermut wie Manets ,,Nana". Und
auch die Vorliebe für das etwas Kuriose von
Babys, indianisch ausgeputztenKindern, bronze-
häutigen Negerinnen oder von verdutzt und
drollig kreuz und quer herumstehenden Ponies.

Frau Annot ist im übrigen viel zu unter-
nehmend aufgelegt, um sich nicht an Themen
aller Art zu versuchen. Ihre Vielseitigkeit be-
stätigt überzeugend den koloristischen Mut-
willen und das Temperament ihrer Bilder. Wenn

sie zwischen Blumenstücken, etwa Gladiolen
und Dahlien von prangendem Schmiß, und
räumlich weitausholenden Straßenblicken zum
Beispiel an die Impression einer Reichstags-
sitzung herangeht, an bretonische Fischerhäfen,
an den Prospekt der Seinebrücken mit Notre
Dame, so bezeugt sich darin abermals die Leb-
haftigkeit eines unängstlichen Naturells. Jüngst
ist Frau Anot mit einem zeitgemäßen Appell
an die Öffentlichkeit getreten, man solle den
Eintausch von Waren und Lebensmitteln gegen
Kunstwerke organisieren. Auch diese unbe-
fangene Aktivität fügt sich zum Bilde ihres

künstlerischen Wesens.....dr. willi wolfradt.



Kunst meint immer die Wirklichkeit, aber
niemals die Wirklichkeit ohne den Men-
schen. Kunstwerk heißt: Wirklichkeit plus
menschliches Verstehen.

Kunst lebt aus der Bindung, aber sie lebt
auf Freiheit hin. Sie lebt aus der Bindung an
die Materie, an die Dämonie der Dinge, sie
fängt an in einem Bereich, wo die Seele sich
tief und kreatürlich mit allem Geschaffenen
verbunden weiß. Aber sie schreitet — und zwar
tut sie das innerhalb jedes einzelnen Kunst-
werks — von dieser Bindung fort bis dahin,
wo der Geist das Haupt erhebt und das Ele-
ment Freiheit in das engmaschige Gewebe
der Notwendigkeiten einschießt......w.m.
 
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