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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 70.1932

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R., H.: Dekorationsstoffe von Lilly Jacker
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https://doi.org/10.11588/diglit.7201#0209

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LILLY JACKER-NETTEL

»DEKORATIONS-STOFF«

DEKORATIONSSTOFFE VON LILLY JACKER

Gerade in der „angewandten" Kunst, nament-
lich bei Flächenmustern aller Art, kann
die außerordentliche Empfindlichkeit
künstlerischer Formzusammenhänge beobachtet
werden, Lindenblattformen, Eichenblattformen
über eine Fläche getrennt, oder Eichenblatt-
formen mit Doldenmotiven kombiniert — was
kann einfacher im Formenvorrat sein? Aber
Unwägbarkeiten sind es, von denen es ab-
hängt, ob in dem Gefüge Rhythmus erwacht
oder nicht. Die „Einfachheit" solcher Gefüge
kann so schlicht sein, daß dem Unkundigen
die bekannte Frage kommt: Was ist da viel
daran? Aber es ist eine Einfachheit nach ge-
leisteter Rhythmisierung. Wagt man, an ein
gutes Gefüge solcher Art zu rühren, so sieht
man mit Staunen, daß der Rhythmus zusammen-
bricht. Da zeigt sich, wie „dicht" das anschei-
nend so leichte Gefüge ist, wie eng es in sich
zusammenhängt und wie sehr sein Wert auf
diese empfindlichen Zusammenhänge gestellt ist.

Bei den Arbeiten von Lilly Jacker - Nettel
wird immer das schöne, freie Verfügen über
die Gesamtfläche sichtbar, das mit sicherem
Griff und großzügigen Gedanken eine rhyth-

mische Ordnung stiftet. Sie spricht die Sprache
einer dichten Textur ebenso klar wie die einer
lockeren. Man sieht die Hand, die hier mit
graziöser Streubewegung die leichten Motive
verteilt, dort mit festen zeichnerischen An-
gaben die Fläche zudeckt und doch durch zwei,
drei Dominanten in Farbe und Linie eine feine,
fortwogende Ordnung stiftet. Obwohl die Künst-
lerin, eine geborene Deutschböhmin, seit über
zwei Jahren in Paris ihren Wohnsitz hat, ist
ihr Schaffen noch ganz von der hervorragen-
den Schulung getragen, die sie vier Jahre hin-
durch an der Wiener Kunstgewerbeschule ge-
nossen hat. Sie war Schülerin von Hoffmann
und von Haerdtl. So wirkt in ihr eine gepflegte,
edle Formtradition fort, die gleichwohl eine
außerordentliche Beweglichkeit imEingehen auf
die Tagesströmungen des Geschmackes zeigt.
Vor der Arbeit solcher Künstlerinnen begreift
man, daß das Formenspiel eines anspruchslosen
Flächenmusters doch „Ausdruckswert" haben
kann, fast wie ein kleines Gedicht oder eine
leichte Melodie. Denn echter Rhythmus, auch
in der leichten Form, stammt aus einer Schwin-
gung der Seele, die sich mitteilen will. , , ,h. r.

XXXV. Juli 1932. 5.
 
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