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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 70.1932

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Michel, Wilhelm: Goethes Formbegriff
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https://doi.org/10.11588/diglit.7201#0290

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280

MARIA CASPAR-FILSER-MÜNCHEN »MAIABEND NACH DEM GEWITTER«

GOETHES FORMBEGRIFF

VON WILHELM MICHEL

Von Goethes Begriff der Form führen deut-
liche Verbindungslinien zum platonischen
Begriff der Idee. Wo er Form sagt, ist niemals
bloß an sinnfällige Ordnung und Gestalt ge-
dacht, sondern zugleich an bewirkendes Ge-
staltungsprinzip; und beides überdies so auf
ein Verstehen bezogen, daß im Worte Form
bei Goethe stets auch die Bedeutung „verstan-
dener Sinn" mitschwingt.

Der Begriff Form ist für Goethe herausgelöst
aus den engeren Verbindungen, in denen wir
ihn heute meist denken. Z. B. aus der alleinigen
Verbindung zur Kunst. Es ist durchaus Form-
Interesse, was ihn Howard, den Unterscheider
der Wolken, loben läßt; noch mehr, was ihn
die Idee der Urpflanze, des Urtieres ergrei-
fen macht. Sein Interesse an der Form ist
Interesse an der Ideenschau und damit Ver-
langen nach lebendiger geistiger Begegnung
mit „Wirkungskraft und Samen". In der Ein-
leitung zur Morphologie wehrt er sich leise
gegen das deutsche Wort Gestalt, weil in ihm
angenommen wird, „daß ein Zusammengehöri-

ges festgestellt, abgeschlossen und in seinem
Charakter fixiert sei". Er schlägt dafür das
Wort Bildung (= Gebildet-heit, Gestaltet-heit)
vor, weil es das Bewegliche und Bildsame noch
ausdrückt. Bei „Form" denkt er immer „ge-
prägte Form, die lebend sich entwickelt". Noch
wo seine Begeisterung einem völlig zur Ruhe
gekommenen Endresultat zu gelten scheint,
bei der Betrachtung von Schillers Schädel,
zeigt sich deutlich, daß die Freude dem G e-
staltenden gilt. Zwar entzückt ihn geheim-
nisvoll die Form, aber der Herzpunkt des Ent-
zückens liegt in dem Blick auf die Geschehens-
reihe, die „das Geisterzeugte fest bewahrt" hat.

Goethes Formbegriff hat auf der einen Seite
das Feste der platonischen Idee. Das heißt, er
ist „fest" wie der zeitlose Geist des Menschen,
der ihn ergreift. Das Gedicht „Dauer im
Wechsel" stellt am Schlüsse das Unvergäng-
liche hin, das ihm, dem Künstler, von den
Musen zu bewirken vergönnt ist. Dessen
Grundlagen sind „der Gehalt in deinem Busen,
und die Form in deinem Geist". Der Geist ist
 
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