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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 70.1932

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Michel, Wilhelm: Goethes Formbegriff
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https://doi.org/10.11588/diglit.7201#0297

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MALER OTTO KOPP - MÜNCHEN

GEMÄLDE »SPIELENDE PFERDE«

sind Preise, die er willig zahlt für etwas Un-
erhörtes an Lebens- und Geistesstärkung, was
ihm zum Nutzen des eigenen Werkes zuteil wird.

Spät erst dringt dann das jugendliche Grund-
gefühl für die Verhaftung alles Schaffens in
Erde, Natur, Zeit und Volk wieder vor und
läßt ihn, kurz vor Beginn der 20er Jahre, an
seine Anfänge wieder anknüpfen, 1818 spricht
er aus, was dem durch gleiche Schicksale ge-
gangenen Hölderlin schon 1801 zu sehen ver-
gönnt war. Bei Hölderlin heißt das (Brief an
Böhlendorf, 4. Dez. 1801): „Ich habe lange daran
laboriert und weiß nun, daß außer dem, was bei
den Griechen und uns das höchste sein muß,
nämlich dem lebendigen Verhältnis und Ge-
schick, wir nicht wohl etwas gleich mit ihnen
haben dürfen." Bei Goethe lautet es („Antik
und Modern"): „Lassen wir also Altes und
Neues, Vergangenes und Gegenwärtiges fahren
und sagen im allgemeinen: jedes künstlerisch
Hervorgebrachte versetzt uns in die Stimmung,
in welcher sich der Verfasser befand. Die Klar-
heit der Ansicht, die Heiterkeit der Aufnahme,
die Leichtigkeit der Mitteilung, das ist es, was
uns entzückt."

Die Frage bleibt, ob Goethes schließliche
Verständigung mit dem künstlerischen Norden

und mit der Romantik mehr war als was wir
sie oben genannt haben: ein Waffenstillstand!
Es ist doch wohl so, daß volle Liebeskräfte
nicht mehr in sein neues Verhältnis zur nor-
dischen Kunst eingeflossen sind. „Es ist unser
wiederholtes aufrichtiges Bekenntnis, daß
keiner Zeit versagt war, das schönste Talent
hervorzubringen, daß aber nicht einer jeden
gegeben ist, es vollkommen würdig zu ent-
falten." Man sieht, da bleiben immer die Vor-
behalte zugunsten der Antike noch stehen. Und
nun ergibt sich unvermutet ein Blick auf den
tieferen Sinn, den unser jetziges Gedenken an
Goethe besitzt. Jene letzten Vorbehalte hat
Goethe verschwiegen festgehalten, er hat sie
dem letzten Abschnitt seiner unmittelbaren
Wirksamkeit, der Epigonenzeit und der zuge-
hörigen Bildungsepoche, verehrt, und diese erst
hat sie vollkommen aufgearbeitet.
Heute ist zugleich mit dem Abschied von
Goethe dem Zeitgenossen die vollkommene
Aufhebung jeder dogmatischen Bindung an die
Antike vollzogen. Selbst einem Künstler des
Südens, Chirico, erheben sich über gestürzten
Säulentrümmern des Altertums die neptuni-
schen Rosse als Bilder der Naturmächte, die
sich in keiner Gestaltung fesseln lassen. . w. M.
 
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