I. Die hirnrnelentstamrnten Götterbilder der Griechen.
1 I
Die athenischen und römischen Sagen zeigen offenbar, dass
der Glaube an den himmlischen Ursprung der verschiedenen
Palladien, und damit zugleich an alles, was an wunderbaren
Kräften damit zusammenhing, unabhängig war von der tro'ischen
Sage. Die spätere römische Altertumswissenschaft hat das an-
erkannt, indem sie die Formel bildete: es gab zwei „himmelent-
stammte" Palladien, das tro'isch-römische und das athenische.1)
Noch deutlicher tritt die völlige Selbständigkeit hervor, wenn
das gleiche auch von Bildern anderer Götter ausgesagt wird.
Besonders gilt dies von der Artemis. „Himmelentstammt"
war das Bild dieser Göttin, der Tauropolos. das an Atticas Ost-
küste verehrt wurde. Aus Euripides' Iphigeneia auf Tauros ist
bekannt, dass es Orestes aus dem fernen taurischen Chersonnes
herbeiholte.2) Ob erst die schöpferische Phantasie des Dichters
die Geschichte des Bildes in diese sagenhaften Fernen hinüber-
gespielt hat, oder ob die Kultsage von Halai selbst eine derartige
Verknüpfung enthielt: wir sehen, wie auch hier der Wunsch sich
geltend machte, über die lokale Legende hinaus eine Garantie, eine
Legitimation des heiligen Charakters des Kultbildes durch Zu-
rückgreifen in graues Altertum und ferne Gegenden zu gewinnen.
Der Gedanke an Uberführung dieser Bilder, an einen Raub der-
selben war damit von selbst gegeben. Auch hier finden wir
dann später eine ganze Anzahl solcher Bilder der Artemis, in
den verschiedensten Gegenden, besonders Syriens, die alle sich
rühmten, von Orestes herbeigebracht zu sein.3)
Als „himmelentstammt", όιοπετές, gilt auch das aus der
Geschichte des Paulus bekannte Bild der Artemis zuEphesos.4i
Man hat diese Gottheit ganz als eine von den Griechen nur
übernommene phrygische auffassen wollen5! und so auch den
Gedanken an den himmlischen Ursprung ihres Kultbildes aus
phrygischem Glauben hergeleitet. Richtiger dürfte es sein, hier —
ähnlich, wie wir es in Rom fanden — eine Verschmelzung
1) s. 98 a8. 98 *c.
2) s. 12 c — cf. 78 d — dazu Schreiber in Roschers Lexicon I 568.
3) s. SSc. — Zeit Heliogabals: aus dem syrischen Laodikeia — 113d.
4) s. 58 mit Schob — 100. 105b. 100. 121.
5) So Schreiber, Art. Artemis § 16 in Roschers Lexikon der gr. und
röm. Myth. I 5SS.
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Die athenischen und römischen Sagen zeigen offenbar, dass
der Glaube an den himmlischen Ursprung der verschiedenen
Palladien, und damit zugleich an alles, was an wunderbaren
Kräften damit zusammenhing, unabhängig war von der tro'ischen
Sage. Die spätere römische Altertumswissenschaft hat das an-
erkannt, indem sie die Formel bildete: es gab zwei „himmelent-
stammte" Palladien, das tro'isch-römische und das athenische.1)
Noch deutlicher tritt die völlige Selbständigkeit hervor, wenn
das gleiche auch von Bildern anderer Götter ausgesagt wird.
Besonders gilt dies von der Artemis. „Himmelentstammt"
war das Bild dieser Göttin, der Tauropolos. das an Atticas Ost-
küste verehrt wurde. Aus Euripides' Iphigeneia auf Tauros ist
bekannt, dass es Orestes aus dem fernen taurischen Chersonnes
herbeiholte.2) Ob erst die schöpferische Phantasie des Dichters
die Geschichte des Bildes in diese sagenhaften Fernen hinüber-
gespielt hat, oder ob die Kultsage von Halai selbst eine derartige
Verknüpfung enthielt: wir sehen, wie auch hier der Wunsch sich
geltend machte, über die lokale Legende hinaus eine Garantie, eine
Legitimation des heiligen Charakters des Kultbildes durch Zu-
rückgreifen in graues Altertum und ferne Gegenden zu gewinnen.
Der Gedanke an Uberführung dieser Bilder, an einen Raub der-
selben war damit von selbst gegeben. Auch hier finden wir
dann später eine ganze Anzahl solcher Bilder der Artemis, in
den verschiedensten Gegenden, besonders Syriens, die alle sich
rühmten, von Orestes herbeigebracht zu sein.3)
Als „himmelentstammt", όιοπετές, gilt auch das aus der
Geschichte des Paulus bekannte Bild der Artemis zuEphesos.4i
Man hat diese Gottheit ganz als eine von den Griechen nur
übernommene phrygische auffassen wollen5! und so auch den
Gedanken an den himmlischen Ursprung ihres Kultbildes aus
phrygischem Glauben hergeleitet. Richtiger dürfte es sein, hier —
ähnlich, wie wir es in Rom fanden — eine Verschmelzung
1) s. 98 a8. 98 *c.
2) s. 12 c — cf. 78 d — dazu Schreiber in Roschers Lexicon I 568.
3) s. SSc. — Zeit Heliogabals: aus dem syrischen Laodikeia — 113d.
4) s. 58 mit Schob — 100. 105b. 100. 121.
5) So Schreiber, Art. Artemis § 16 in Roschers Lexikon der gr. und
röm. Myth. I 5SS.