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JOHANN GOTTFRIED SCHADOW. 1824—1850.
In einem Auffatze, welchen Schadow 1802 unter dem Titel: wDie Werk-
flätte des Bildhauers" veröffentlichte^), wollte er Berlin gegen den Goethe'fchen
Vorwurf in Schutz nehmen, dafs das Kundtreiben diefer Stadt profaifch fei. Die
Vertheidigung war eben nicht fehr glücklich. Denn, indem er dch auf die Gegen-
behauptung befchränkt, dafs es nicht profaifch fei, da nicht Schlag und Stunde
zur Arbeit rufe, fondern Lud und Liebe allein, fchildert er im übrigen umdänd-
lich die Mühfeligkeiten der technifchen Arbeit und giebt Regeln zu deren Ueber-
windung. Goethe konnte ihm wegen diefer «Dreidigkelt" feines Widerfpruchs
unmöglich gram fein, wie Schadow annahm ; denn wider Willen bedätigt Schadow,
was er bedreiten will wenigdens in fo weit, als fein Bild der Werkdatt eben nur
deffen profaifche Seiten entrollt. Der Auffatz fchliefst mit einem Hinweis aul
feine ebenfalls exakte technifche Nebenbefchäftigung: die Fortfetzung feiner
mathematifchen Beobachtungen über den menfchlichen Kopf mit Hülfe des Zirkels
und Laders, wich habe zu diefem Werke, welches zwanzig Jahre bis zur Be-
endigung erfordert, fchon eine gute Anzahl Materialien gefammelt", bemerkt er
an diefer Stelle. Es vergingen von da ab noch zweiunddreifsig Jahre, bis es reif
zur Veröffentlichung wurde, allerdings in einer Ausdehnung über den Kopf hinaus
auf den ganzen menfchlichen Körper. Urfprünglich und auch noch 1806, wie
Schadow in feiner damaligen kurzen Selbdbiographie fagt, hatte er nur die Abdcht,
die Formveränderungen des nlenfchlichen Kopfes von der Geburt bis zu völligem
Auswachfen und bis in's Greifenalter darzudellen, die unterfcheidenden Merkmale
des männlichen und weiblichen Kopfes zu ergründen und endlich den Veränderungen
deffelben in den Nationalphyfiognomien nachzugehen. Die Anregung dazu war
gegeben durch Camper's 1790 erfchienenes Werk über menfchliche Gefichtszüge,
durch Blumenbach's Schädelfammlung und Gall's gegen Lavater's Phyfiognomik
gerichtete Schädellehre. Auf dem Wege der Empirie, durch möglich!! viele
Meßlingen und deren Vergleichung wollte Schadow das Gefetz der Bildung des
Kopfes feftffellen, zunächfl für die kaukafifche Raffe. Wo immer fich daher nur
eine Gelegenheit darbot, auch andere Kopfbildungen als aus Deutfchland flam-
mende diefer Prüfung zu unterwerfen, liefs er fie nicht vorübergehen. So zeichnete
er 1804 nach genauen Meflungen die Köpfe des gefammten fpanifchen Gefandt-
fchaftsperfonals. Als 1813 die Ruffen unter Fürfl Wittgenflein in Berlin ein-
gerückt waren, wurden ihm nach Wunfch ruffifche Köpfe für feine Zwecke zur
Verfügung geflellt. Ein indifcher Jongleur war ihm als Vertreter des Urflammes
der Kaukafier ein willkommenes Meffungsobjekt (1818). Wenn er fpäter (1824)
auch zwei in den königlichen Dienfl aufgenommene Chinefen mafs und zeichnete,
fo war dies fchon eine Erweiterung über die kaukafifche Raffe hinaus, wie denn
gleichzeitig die fchon erwähnte Ausdehnung auf den ganzen menfchlichen Körper
in Angriff genommen ward und zwar auch nach lebenden Modellen zur Feft-
ftellung der thatfächlich aufgefundenen Proportionen des menfchlichen Körpers
im Gegenfatze zu den meiflen bisherigen Arbeiten diefer Art, welche vorzugs-
weife die antiken Bildwerke zu diefem Zwecke benutzten. Schadow verband
hiermit feine kunflakademifchen Vorträge über die Lehre von den Knochen und
Muskeln. Dabei kamen ihm wieder Meflungen und Zeichnungen von fogenannten
Athleten zu ftatten, wofür er fich keine Gelegenheit entgehen liefs. In möglichflem
JOHANN GOTTFRIED SCHADOW. 1824—1850.
In einem Auffatze, welchen Schadow 1802 unter dem Titel: wDie Werk-
flätte des Bildhauers" veröffentlichte^), wollte er Berlin gegen den Goethe'fchen
Vorwurf in Schutz nehmen, dafs das Kundtreiben diefer Stadt profaifch fei. Die
Vertheidigung war eben nicht fehr glücklich. Denn, indem er dch auf die Gegen-
behauptung befchränkt, dafs es nicht profaifch fei, da nicht Schlag und Stunde
zur Arbeit rufe, fondern Lud und Liebe allein, fchildert er im übrigen umdänd-
lich die Mühfeligkeiten der technifchen Arbeit und giebt Regeln zu deren Ueber-
windung. Goethe konnte ihm wegen diefer «Dreidigkelt" feines Widerfpruchs
unmöglich gram fein, wie Schadow annahm ; denn wider Willen bedätigt Schadow,
was er bedreiten will wenigdens in fo weit, als fein Bild der Werkdatt eben nur
deffen profaifche Seiten entrollt. Der Auffatz fchliefst mit einem Hinweis aul
feine ebenfalls exakte technifche Nebenbefchäftigung: die Fortfetzung feiner
mathematifchen Beobachtungen über den menfchlichen Kopf mit Hülfe des Zirkels
und Laders, wich habe zu diefem Werke, welches zwanzig Jahre bis zur Be-
endigung erfordert, fchon eine gute Anzahl Materialien gefammelt", bemerkt er
an diefer Stelle. Es vergingen von da ab noch zweiunddreifsig Jahre, bis es reif
zur Veröffentlichung wurde, allerdings in einer Ausdehnung über den Kopf hinaus
auf den ganzen menfchlichen Körper. Urfprünglich und auch noch 1806, wie
Schadow in feiner damaligen kurzen Selbdbiographie fagt, hatte er nur die Abdcht,
die Formveränderungen des nlenfchlichen Kopfes von der Geburt bis zu völligem
Auswachfen und bis in's Greifenalter darzudellen, die unterfcheidenden Merkmale
des männlichen und weiblichen Kopfes zu ergründen und endlich den Veränderungen
deffelben in den Nationalphyfiognomien nachzugehen. Die Anregung dazu war
gegeben durch Camper's 1790 erfchienenes Werk über menfchliche Gefichtszüge,
durch Blumenbach's Schädelfammlung und Gall's gegen Lavater's Phyfiognomik
gerichtete Schädellehre. Auf dem Wege der Empirie, durch möglich!! viele
Meßlingen und deren Vergleichung wollte Schadow das Gefetz der Bildung des
Kopfes feftffellen, zunächfl für die kaukafifche Raffe. Wo immer fich daher nur
eine Gelegenheit darbot, auch andere Kopfbildungen als aus Deutfchland flam-
mende diefer Prüfung zu unterwerfen, liefs er fie nicht vorübergehen. So zeichnete
er 1804 nach genauen Meflungen die Köpfe des gefammten fpanifchen Gefandt-
fchaftsperfonals. Als 1813 die Ruffen unter Fürfl Wittgenflein in Berlin ein-
gerückt waren, wurden ihm nach Wunfch ruffifche Köpfe für feine Zwecke zur
Verfügung geflellt. Ein indifcher Jongleur war ihm als Vertreter des Urflammes
der Kaukafier ein willkommenes Meffungsobjekt (1818). Wenn er fpäter (1824)
auch zwei in den königlichen Dienfl aufgenommene Chinefen mafs und zeichnete,
fo war dies fchon eine Erweiterung über die kaukafifche Raffe hinaus, wie denn
gleichzeitig die fchon erwähnte Ausdehnung auf den ganzen menfchlichen Körper
in Angriff genommen ward und zwar auch nach lebenden Modellen zur Feft-
ftellung der thatfächlich aufgefundenen Proportionen des menfchlichen Körpers
im Gegenfatze zu den meiflen bisherigen Arbeiten diefer Art, welche vorzugs-
weife die antiken Bildwerke zu diefem Zwecke benutzten. Schadow verband
hiermit feine kunflakademifchen Vorträge über die Lehre von den Knochen und
Muskeln. Dabei kamen ihm wieder Meflungen und Zeichnungen von fogenannten
Athleten zu ftatten, wofür er fich keine Gelegenheit entgehen liefs. In möglichflem