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5. Bauperiode von 1780 bis 1850
Mit dem ausklingenden 18. Jh. zeigen sich am
Fachwerkbau Mündens kaum noch Neuerun-
gen in den Schmuckformen - eine Entwick-
lung, die in Verbindung mit dem Verzicht auf
jegliche geschoßweise Auskragung das Indivi-
duelle des Baukörpers im Stadtbild kaum noch
in Erscheinung treten läßt. Entsprechend wur-
den auch die im Bild der symmetrisch aufge-
bauten Fachwerkwände so wirkungsvoll einge-
setzten gekrümmten Hölzer etwa seit dem aus-
gehenden 18. Jh. zugunsten gradliniger aufge-
geben. Auch die Eck- und Bundständer, Stre-
ben und Riegel, die einst nach ihren statischen
Funktionen entsprechend dimensioniert
wurden, heben sich in ihrem Querschnitt kaum
noch voneinander ab. Seit etwa 1770 werden
die bündig aufsteigenden, geradwandigen
Fachwerkfassaden mit einem deckenden
Überzug aus pastös aufgetragenem Schläm-
material, mit Putz- oder Holzverschalung ver-
sehen. Die Verkleidung der Fachwerkfassaden
erfolgte wohl weniger aus Feuerschutzgründen
als aus dem Wunsch heraus, die modernen
Gestaltungsmittel der städtischen Stein-
architektur auf die Fachwerkbaukunst zu

Radbrunnenstraße 13/15


Tanzwerderstraße 22


übertragen. Um eine glatte, verputzte Wandflä-
che schaffen zu können, sind die fachwerkspe-
zifischen Formen wie Knaggen und Konsolen
oft entfernt, Vorkragungen zurückgenommen
oder unterbaut und das Schnitzwerk der Holz-
teile geglättet oder abgebeilt worden. Glückli-
cherweise ist der Bürgerhausbestand Mün-
dens weitgehend von diesen Maßnahmen ver-
schont geblieben. Diese bürgerliche „Putzar-
chitektur” mit ihren antikisierenden Gliede-
rungselementen (Gesimse, Zahnschnittleisten,
Eckquaderungen), die nicht als Massivbauimi-
tation abgewertet werden sollte, entsprach
dem Stilgefühl der Zeit und war in ihrer Gesamt-
schau nicht ohne ästhetischen Reiz. Zu nennen
sind die Einzelobjekte Ägidienstraße 1, 7, 13;
Kiesau 16, 20; Lange Straße 31, 99; Petersilien-
straße 6, 8; Tanzwerderstraße 9, 22; Vor der
Burg 7 und die zum Dielengraben ausgerich-
tete „Rückseite” der Methodistenkirche Syde-
kumstraße 3. Leider haben sich im Mündener
Stadtkern keine geschlossenen Straßenzeilen
mit „verhängten” Fachwerkfassaden erhalten,
die uns Wirkung und Charakter der Straßen-
räume zur Anschauung bringen könnten. Der
Fassadenschmuck konzentrierte sich beim
Sichtfachwerk auf Traufgesims, Tür- und Fen-

stereinfassungen. Gesims- bzw. giebelförmige
Fensterverdachungen sind nicht nachweisbar.
Häufig ist das weit über die Hauswand vorge-
zogene Traufgesims sowie der breitgelagerte
frontgiebelartige Dachausbau mit Zahnschnitt-
dekor versehen. Trotz der zumeist völlig umge-
stalteten und entkernten Erdgeschoßzonen hat
sich in Münden eine stattliche Anzahl qualität-
voller Türen und Türeinfassungen vornehmlich
aus der 2. Hälfte des 18. Jh. erhalten.
Einige Renaissance- und Barockbauten sind
zu jener Zeit in klassizistischer Manier umge-
staltet worden, wie das Beispiel Lange Straße
65 in paradigmatischer Weise zeigt. Über einem
tonnengewölbten Keller und einem inzwischen
vollständig entkernten Erdgeschoß erheben
sich zwei etwa 30 cm vorkragende, stockwerk-
weise abgezimmerte Oberstöcke. Die Fassade
des um 1670 erbauten Fachwerkbaues wurde
um 1800 mit klassizistischen Stilelementen
versehen, indem zunächst das ursprünglich
zweigeschossige Zwerchhaus abgetragen und
durch einen breitgelagerten, frontgiebelartigen
Dachausbau mit Zahnschnittdekor ersetzt
wurde. Während die ornamentierte Putzfas-
sade in den letzten Jahren mit hohem restaura-


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