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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 2) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19017#0009
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D. Die Seidenstoffe von Byzanz.

Auf dem Weg von der spätantiken Kunst Ostroms zum byzantinischen Stil des Mittel?
alters ist der Seidenweberei kein gleichmäßig aufsteigender Fortschritt beschieden gewesen.
Die Zeit vom Ausgang des Kaisers Heraclius (610—641) bis zum Auftreten des makedoni?
sehen Herrscherhauses (867—1057) war erfüllt von schweren Kämpfen um den Bestand des
Ostreiches, die während des 8. Jahrhunderts innere Krisen im Gefolge des Bilderstreites
noch verschärften. Durch den Verlust von Syrien, Ägypten und Nordafrika an die Araber
wurde Byzanz, dessen Machtbereich unter Justinian noch das ganze Mittelmeergebiet um*
faßte, ostwärts auf die alten Sitze des Griechentums in Kleinasien und Hellas zurückge?
worfen. Der Rest des Reiches, seiner reichsten Provinzen und ergiebigsten Hilfsquellen be?
raubt, glich durch Jahrhunderte einem Kriegslager, dessen Wälle im Norden die Slawen, im
Süden die Kalifen fast unablässig berannten. Der Peloponnes und ein großer Teil der Bai?
kanhalbinsel wurde von Slawen besiedelt und dadurch der Kultur und jeder gewerblichen
Tätigkeit auf geraume Zeit entzogen. Italien wurde durch den Bilderstreit entfremdet und
ging später bis auf die Südküste verloren. Im 9. Jahrhundert fiel Kreta in die Hände
sarazenischer Piraten, die von diesem Stützpunkte aus die griechischen Inseln und Küsten
verheerten und den Seehandel schädigten, der schon mit dem Wettbewerb von Bagdad und
Venedig zu kämpfen hatte.

All diese Not und Bedrängnisse, welche die Existenz des Staates bedrohten und seine
wirtschaftlichen Kräfte untergruben, mußten die Kunstpflege lähmen und gleich anderen
Zweigen des Kunstgewerbes auch die Weberei während des frühen Mittelalters vom 7. bis
zum 9. Jahrhundert auf eine tiefe Stufe herunterbringen. Da das griechische Klein?
asien in dieser Zeit am Seidengewerbe nicht beteiligt gewesen zu sein scheint, blieb der
Betrieb auf die Hauptstadt beschränkt, bis vom 9. Jahrhundert ab die althellenischen
Landschaften wieder gräzisiert und allmählich zur kulturellen Mitarbeit emporgeführt
wurden. Auch die Stilwandlungen der byzantinischen Seidenkunst sind durch die politi?
sehen Ereignisse dieser bewegten Zeit mitbedingt worden. Losgerissen vom Westen und
durch die Slawenflut vom Verkehr mit dem christlichen Abendland abgedrängt, wandelte
sich Ostrom in die griechische Vormacht des Morgenlandes. Die lateinische Sprache
schwand aus der Verwaltung, der Augustus wurde zum Basileus und Despotes. Um den
Volksbestand zu erhalten und frische Kräfte zur Verteidigung zu gewinnen, hatte das
Griechentum in ausgedehntem Maße Bulgaren und sonstige slawische Elemente nicht zum
Vorteil seiner alten Kultur und künstlerischen Überlieferungen in sich aufnehmen und as?
similieren müssen. Die veränderten Machtverhältnisse wiesen das Ostreich darauf hin,
wirtschaftliche Anlehnung und Handelsbeziehungen trotz der politischen und religiösen
Gegensätze vornehmlich im Orient zu suchen. Die Bedeutung, die Trapezunt im frühen
Mittelalter als byzantinischer Handelsplatz gewann, zeugt für das Anwachsen des Austausch?
Verkehrs mit Persien. Damit hängt es zusammen, daß die persische Seidenkunst, die im is?
lamischen Völkerverband sich günstiger entwickelt hatte, einen so durchgreifenden Einfluß
auf das byzantinische Gewerbe ausüben konnte, als dieses während des 10. Jahrhunderts
in dem neugefestigten und erstarkten Staat der makedonischen Kaiser wieder aufblühte.
An der Zufuhr persischer Stoffe hat es damals in Konstantinopel, dem größten Stapelplatz
und Hauptmarkt für den Seidenhandel nach Europa, nicht gefehlt. Blieb doch der eigene
Seidenbedarf von Byzanz auf die Einfuhr von Geweben, und namentlich von Rohstoff aus
den nordpersischen Seidenzuchtländern am Kaspischen Meer angewiesen, solange nicht für
den Verlust des syrischen Seidenbaues ein ausreichender Ersatz geschaffen worden war. LJnd

Falke, Seidenweberei.

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