Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 2) — Berlin, 1913

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19017#0113
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
schätz beschenkten. Von den spärlichen Tierbildern abgesehen, welche die Heraldik oder
ostasiatischer Einfluß in die spanische Weberei hineintrugen, war der Seidenstil der Halb*
insel rein ornamental, weil auch unter christlicher Herrschaft der abstrakte Geist der grana?
dischen Kunst, der maurische Geist im engeren Sinn, wirksam geblieben ist.

E. Die Seidenweberei Italiens.

Die riesige Menge der italienischen Seidenstoffe aus dem späten Mittelalter macht auf
den ersten Blick den Eindruck einer so verwirrenden Mannigfaltigkeit, daß ein Ordnungs?
versuch wenig aussichtsreich erscheint. Zur Klärung empfiehlt es sich, bevor wir den
Hauptbestand zeitlich und örtlich aufteilen, ein paar kleinere Gruppen vorweg abzuzweigen,
die den chinesischen und muslimischen Einfluß am Werke zeigen. Durch ihre gesonderte
Darstellung wird sich die Stärke der mit der Gotik vereinten Strömungen besser bemessen
lassen. Schon hierbei drängt sich der Stoff so reichlich zu, daß nur eine Auswahl der
sprechendsten Beispiele vorgeführt werden kann.

1. Der chinesische Einfluß in Italien.

Die Verwertung ostasiatischer Gedanken und Formen vollzieht sich in Italien teils
durch unmittelbare Nachbildung chinesischer Gewebe, teils durch deren Umbildung in
italienischem Sinn oder durch eine freiere Benutzung der in Italien bereits heimisch gewor?
denen Motive des fernen Ostens.

Auf der ersten Stufe der unfreien Entlehnungganzer Muster stehen die Brokate einer wahr*
scheinlich venezianischen Werkstatt, die eine in Italien sonst nicht übliche Farbenzusammen?
Stellung pflegte. Auf einfarbig violettem, rotem oder grünem Atlasgrund steht das Muster vor*
wiegend in Gold, aber stellenweis belebt durch blaßviolette, weiße, hellgrüne, blaugraue oder
blaßrote Seide.AuswahlundVerteilungder Farben gleichen genau den chinesischen Riemenbro?
katen in Stralsund, die auf Tafel 107a b farbig wiedergegeben sind. Das beweist, daß dieseWebe?
rei direkt nach chinesischenOriginalen, nicht etwa nach sinopersischenVorbildern gearbeitet hat.

Ein verblichenes Stück in Berlin (Abbildung 385) zeigt zwischen parallel gewellten
Lotusranken drachenköpfige Pferde „Lungma" und Schildkröten, zwei nach der chinesi?
sehen Mythologie zusammengehörige Wesen, dazu inmitten der Lotusblüten Drachen und
knieende Khilins. Der italienische Weber verrät sich, abgesehen von der Textur, nur darin,
daß er die langgemähnte Schildkröte mißverstanden und den chinesischen Drachen in den
zweibeinigen Basilisken — ein Erbstück aus den romanischen Seidenmustern Italiens — um*
gewandelt hat. Das Gegenstück mit Wildenten (Abb. 386, Berlin) entspricht in der An*
Ordnung des Musters genau dem chinesischen Riemenbrokat in Braunschweig mit laufenden
und fliegenden Pfauen (s. Tafel 108 b = Abb. 327). Es ist leicht zu ermessen, welchen Fort*
schritt und welche künstlerische Gebietserweiterung im 14. Jahrhundert Tierzeichnungen
von solchem Naturalismus der Bewegung für Europa bedeuteten. Denn die Moment?
aufnähme des Vogels, der im Begriff aufzusteigen die Flügel öffnet und einen Fuß bereits
hängen läßt, oder die Ansicht der herabfliegenden Ente von oben her, beruhen auf einer
Naturbeobachtung, die der europäischen Kunst bis dahin noch sehr fern lag. Für die Da*
tierung dieser Stücke ist beachtenswert, daß auf einem gleichartigen Gewebe, einem Dal?
matikbesatz im Berner Museum, zwischen den auf? und abfliegenden Fonghoang noch italie?
nische Greifen beinahe romanischen Stils eingewebt sind. Außerdem findet sich ein solches
Muster mit Drachen und Fonghoang auf einem Bild des Sienesen Simone Martini (-j-1344).1)

x) Abgeb. Melanges d'arch. III, T. 23 b. — Ein Fonghoangstoff derselben Werkstatt ist ferner abgeb.
Kat. Miquel y Badia T. 22 nr. 52; Kat. Errera nr. 74. Dieses Motiv lebt in japanischen Geweben bis zur
Neuzeit fort; vgl. Heiden, Handwörterbuch der Textilkunde fig. 141.

69
 
Annotationen