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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 2) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19017#0236
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wegzuleugnen. Dem stehen aber höchst an^
erkennenswerte Vorzüge gegenüber. Mit den
weitständig über die Flächen verteilten Sternen,

Rosetten, Kränzen, Leiern (T. 314a, b), die als
der Normaltypus der Empiregewebe gelten,
haben sich die Lyoner Musterzeichner des Kaiser*
reichs, unter denen J. F. Bony (•}• 1825) die erste
Stelle einnahm, keineswegs begnügt. Im Gegen*
satz zur späten Louis XVI*Zeit, die das vor*
nehme Tapetenmuster ganz in den plastischen
abgepaßten Panneaustil abirren ließ, haben sie
die zusammenhängenden Rapportmuster großen
Stils wiedergefunden und eine ziemlich flächen*
hafte, textilgemäße Darstellungsweise zu Ehren
gebracht (Abb. 603).

Da die meisten klassischen Motive, die den
Hauptinhalt der Empiremuster ausmachen, wie
der Akanthus, die Palmetten, Lorbeer, Epheu,

Eichenkränze, Mäander, ihrem antiken Wesen
gemäß der vielfarbigen Darstellung widerstre*
ben, so bleibt für den plastischen Naturalismus,
der die bunte Broschierung nötig hat, nur wenig
Raum übrig. Die antikisierenden Formen
werden in einfarbigen Damasten oder zweifar*
bigen Stoffen und Brokaten ganz flach etwa in der Art der Berliner Stoffe T. 316 c, 317,x)
oder in drei* und vierfarbigen Lampasgeweben in einer Art Reliefstil ausgeführt, den auf
unseren Tafeln die Berliner Tapeten T. 315, 316a, b veranschaulichen.2) Eine technische
Neuerung waren die von Napoleon am meisten geschätzten Chinesamte, bei denen durch
mustergerechtes Färben oder Bedrucken der Kette vor dem Weben ein vielfarbiges Flormuster
erzielt wurde. Das schwierige und sehr kostspielige Verfahren wurde am besten von Pernon
und seinen Nachfolgern Gebrüder Grand geübt; das Hauptstück ist eine Samttapete mit voll*
kommen plastisch dargestellten Weinkränzen und Oleanderzweigen für Fontainebleau.3)

Der klassizistische Stil hat in der Tapetenweberei das erste Kaiserreich überdauert und
namentlich in Berlin, wie die Tafeln 315—317 zeigen, noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts
recht Ansehnliches geschaffen. Als er gleich dem wieder mächtig ins Kraut geschossenen
Naturalismus erschöpft war, folgten wie auf anderen Gebieten die Entlehnungen alter Formen,
die sich schnell überlebten. Überhaupt war das 19. Jahrhundert für künstlerische Fortschritte
in der Seidenweberei nicht günstig. Denn es wandte seine Kräfte vor allem auf die Verbilli*
gung und Massenerzeugung durch die Vervollkommnung der Maschinenarbeit. In Lyon stieg
die Zahl der Webstühle von 20000 im Jahre 1819 auf 50000 im Jahre 1848 und auf 120000
im Jahre 1870. Auf diesem Wege ist die Kunst notwendigerweise zu kurz gekommen.

Abb. 603. Vorhangstoff für Fontainebleau, von Grand freres
in Lyon um 1810. Nach Dumonthier.

C. Die orientalische Seidenweberei seit 1500.

Das Jahrhundert der Renaissance war auch für die Kunst des islamischen Morgen*
landes eine Zeit des Aufschwungs und der Neubildung. Die nationalen Gegensätze treten

') Vgl. Dumonthier, T. 29, 32, 53, 56, 63, 64.

-) Vgl. Dumonthier, T. 26, 34, 36, 53, 56 u. a
:s) Dumonthier, T. 31.

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