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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 2) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19017#0043
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also im 8. Jahrhundert, brotlos gewordene Seidenweber aus Griechenland ihre Kunstfertig*
keit nach Rom verpflanzten, und daß die von ihnen ausgehende Tradition sich längere Zeit
aufrecht erhalten und Seidenstoffe für den Bedarf der Päpste geliefert habe. Auch in Lucca
soll schon im 9. und 10. Jahrhundert die Seidenweberei betrieben worden sein.1) Es ist
zwar nicht recht einzusehen, warum der Bilderstreit, der nicht gegen das weltliche Kunst*
gewerbe, sondern nur gegen die kirchliche Malerei gerichtet war, Seidenweber aus Byzanz
vertrieben haben soll. Daß jedoch schon im frühen Mittelalter außerhalb Griechenlands
im lateinischen Bereich tatsächlich Seidenstoffe gewebt worden sind, ist angesichts der zwei
merkwürdigen Stücke auf Tafel 80 a u. b nicht zu bestreiten. Das Damastmuster der Qui?
riacusdalmatik in Taben an der Saar (Tafel 80 a) mit zwei höchst primitiv gezeichneten Fi*
guren in einem Quadrat, das von einer unleserlichen lateinischen Inschrift eingefaßt und
von acht Rundbogen umstellt ist, erinnert in seiner barbarischenUnbeholfenheit an den Leinen?
damast mit der Himmelfahrt Mariae in Sens,2) den die frühmittelalterliche Latinität der In*
schrift „Com transisset Maria mater domino de apostolis" fraglos der Merowingerzeit zu*
weist. Das Gewebe der Kirche von Maaseyk mit dem thronenden David in eckig verzogenen
Kreisen (Tafel 80 b) müßte wegen seiner Herkunft aus dem Grab der Stifterinnen des
Klosters Soestern vor dem Ende des 10. Jahrhunderts entstanden sein; nach dem Stil der
Figur und ihrer Umrahmung aus Bandverschlingungen und Rundbogen ist auch ein höheres
Alter nicht ausgeschlossen. Die ausgesprochen abendländische Ornamentik beider Ge?
webe steht ganz abseits jener Entwicklung, die uns die Seidenstoffe des Orients und
Griechenlands veranschaulichten. Daher fehlt jegliche Handhabe zur Heimatbestimmung,
und man muß sich mit der Erwägung begnügen, daß in so früher Zeit, zwischen dem 7. und
10. Jahrhundert, eine christlich^abendländische Seidenweberei allein für Italien behauptet
und wahrscheinlich gemacht wird. Jedenfalls sind diese Betriebe, wo immer sie auch saßen,
nur vereinzelte und vorübergehende Unternehmungen gewesen, die mit dem späteren
Seidengewerbe der oberitalienischen Handelsstädte in keinem Zusammenhang stehen.

Bei der Seidenkunst von Lucca, Venedig und Genua im 13. Jahrhundert weist nichts
mehr auf eine Abstammung aus alteinheimischer Überlieferung zurück; sie ist vielmehr
nach Italien im Kielwasser des Levantehandels vorgedrungen und hat sich an dessen Mün?
düngen festgesetzt. Das ist schon aus den Mustern der ältesten venezianischen und lucca?
nischen Stoffe zu ersehen: die einen haben ihre stilistische Anlehnung in Byzanz, die anderen
im westmuslimischen Kunstbereich von Syrien bis Spanien gesucht und gefunden. Von
früh auf bildete die Versorgung des Abendlandes mit den griechischen und orientalischen
Seidengeweben einen einträglichen Zweig des italienischen Überseehandels. Die Venezi?
aner werden schon zur Zeit Karls des Großen als Seidenhändler genannt; im 10. und 11.
Jahrhundert stellt sich Amalfi erfolgreich an ihre Seite. Ihre Händler wußten selbst die
griechischen Ausfuhrverbote zu umgehen. Der Bischof Luitprand von Cremona erzählt
im Jahre 968, daß man bei den Kaufleuten von Venedig und Amalfi jene zur Ausfuhr nicht
zugelassenen kostbaren Seidenstoffe kaufen könne, die ihm, dem kaiserlichen Gesandten,
die Zöllner in Konstantinopel konfisziert hatten. Als dann Amalfi 1073 in die Hände der
Normannen fiel und seine Seegeltung allmählich, namentlich nach dem großen Sieg der
Pisaner Flotte von 1135 einbüßte, traten Pisa und Genua als die Rivalen Venedigs in den
Vordergrund. Im Zeitalter der Kreuzzüge hoben sich das Levantegeschäft und die Macht
der drei Republiken trotz ewiger Zwistigkeiten untereinander gewaltig, und die Begründung
der christlichen Kreuzfahrerstaaten erleichterte und sicherte ihnen die Erhaltung eigener
Niederlassungen in den syrischen Häfen, wie solche in Konstantinopel schon früher be?

') Grat Broglio d'Ajano, Die venezianische Seidenindustrie, in den Münchener volkswirtschaftlichen
Studien 1893, S. 9.

2) Chartraire Inv. S. 25; Dreger, T. 48 b.

I'alke, Seidenweberei.

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