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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 2) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19017#0050
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mustern gehen in Italien wie in Byzanz die ungerahmt aneinander gereihten Tierbilder ein*
her. So häufig wie die ersteren sind sie jedoch nicht; das Hauptstück der Gattung bleibt
der rote Goldbrokat mit Löwen, die so angeordnet sind, daß man gleichzeitig adossierte
und gegenständige Paare sehen kann (Tafel 82 = Abb. 269). Der Stoff stammt aus dem
Halberstädter Dom und ist auf mehrere Museen verteilt worden.1) Die Behauptung Bocks,
daß Bischof Konrad von Halberstadt das Gewebe als Beutestück vom Fall Konstantinopels
1204 heimgebracht habe, ist eine haltlose Vermutung. Schon die rein italienische Darstellung
der kleinen Drachen oder Basilisken unter den Vorderfüßen der Löwen2) schließt die Mög*
lichkeit griechischer Entstehung aus. Eher könnte man ein verschlissenes Fragment aus der
Kapelle Sancta Sanctorum im vatikanischen Museum (Abb. 270) mit ähnlichen Löwen in
Kreisen noch als spätbyzantinische Arbeit des 13. Jahrhunderts ansehen. Auch Regens*
bürg kommt entgegen der Vermutung J. Lessings für die Halberstädter Löwen nicht in
Frage. Die regensburger Stoffe (vgl. Tafel 100—102) sind zwar stilistisch verwandt, weil
sie eben auf solchen italienischen Vorbildern beruhen; aber es sind schwere Halbseiden*
gewebe auf dicker Leinenkette. Von dieser kennzeichnenden regensburger Textur ist hier
nichts zu merken; das Halberstädter Stück ist vielmehr ein dünner, ziemlich lockerer Ganz*
seidenstoft (abgesehen natürlich vom Leinenkern der Darmgoldfäden), der in der Bindung
mit zahlreichen romanischen Geweben rein italienischen Stils genau übereinstimmt. Wollte
man eine nähere Ortsbestimmung versuchen, so hätte Venedig wegen seines Handelsver*
kehrs mit Regensburg3) und Byzanz die Wahrscheinlichkeit für sich.

Die italienischen Stoffe sarazenischer Stilrichtung.

Für die auf Tafel 83 a, b, c, vereinigten Rautenmuster sind byzantinische Vorbilder
nicht bekannt.4) Von spanisch*sarazenischer Herkunft dagegen sind im S. Kens. Museum
zwei Tierstofie mit Rautennetz und Scheiben auf den Kreuzungen vorhanden (Tafel 83 b
und Abb. 203), von denen einer arabische Inschriften aufweist. Obschon die italienischen
Weber der Stoffe Tafel 83 a und 83 c (Abb. 271) die Einzelheiten vergröbert haben, bleibt
der Zusammenhang mit den genannten spanischen Stücken doch offenkundig. Die italienische
Arbeit verrät namentlich das Lüneburger Stück (Abb. 271) durch die derbe gedrungene
Zeichnung der Doppeladler, Pfauenpaare und kleinen Drachen. Die Berliner Stoffsamm*
lung besitzt mehrere Spielarten dieser weitverbreiteten Gattung, deren Beliebtheit auch in
zahlreichen Regensburger Nachahmungen zum Ausdruck kommt.5)

Für die Seidenmuster Abb. 272 und 273 (Tafel 84 b)6) läßt schon das polygonale Rahmen*
werk aus Kreuz* und Sternfeldern ein islamisches Vorbild voraussetzen, weil dieselbe geo*
metrische Flächenteilung bei den persischen Wandfliesen des 13. und 14. Jahrhunderts gang
und gäbe war. Obwohl nun sarazenische Tierstoffe dieses Schemas nicht erhalten sind, wird
die muslimische Abstammung unserer Seidenmuster doch bestätigt durch die adossierten
Löwen der Abb. 272, die augenscheinlich auf spanische Gewebe von der Art der Abb. 203
zurückgehen. Damit ist für das Gewebe Abb. 272 auch die Datierung auf das 13. Jahrhundert

') Berlin; München; Wien Dreger T. 57; Nürnberg Gewebekatalog nr. 370; und Cluny.

-) Man vergleiche damit den italienischen Stoff im Katalog Errera nr. 14a.

:i) Heyd Levantehandel II, S. 718, 720.

J) Die aus Bocks Reichskleinodien in die Beschreibung unserer Tafel 83 übergegangene Annahme,
daß ein solcher Rautenstoff an der Bamberger Dalmatik in München vorhanden war, ist irrtümlich und be?
ruht auf einer Verwechslung.

') Ein zugehöriges Stück Katalog Errera S. 29, nr. 13 a.

'') Die farbige Aufnahme Tafel 84 b beruht auf einer mißglückten Ergänzung, die den Adlern zu drei
Flügeln verholten hat. Das richtige Muster, bei dem die heraldischen Lilien, ein von den italienischen Muster#
Zeichnern des 13. Jahrhunderts bevorzugtes Motiv, in den senkrechten Verbindungen der Kreuzfelder zu be#
achten sind, gibt die nach einem vollständigen Stück der Sammlung Roden in Frankfurt a. M. aufgenommene
Abbildung 273.

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