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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 2) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19017#0183
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Goldmassen nicht eintönig werden, er?
halten einzelne Stellen lebhafteren Metall*
glänz dadurch, daß der Goldfaden in
hochstehenden Noppen oder Schleifen
gewebt sich vom glatten Goldgrund ge?
kräuselt abhebt. Das ist die Übertragung
der ungeschnittenen Samtbindung auf
den Goldfaden. Oft wird auch der Samt?
flor, wo er in größeren Flächen liegt, mit
weitständigen Goldnoppen gesprenkelt
und durchlichtet (auf T. 228 sichtbar).
Um innerhalb des meistens in zwei Höhen
geschorenen Samtflors durch Licht und
Schatten noch besondere Musterungen
hervorzubringen, bleiben Teile davon
in ungeschnittenen und daher helleren
Noppen stehen (vgl. T. 226 und 227).
Alle Möglichkeiten des Webstuhls wer?
den mit unvergleichlicher Meisterschaft
ausgenützt. Nur die Farbigkeit ist maß?
voll; lediglich auf dem Kontrast des tiefen
Samttons und des hellen Goldglanzes
steht die Wirkung. Fast immer steht
dem Gold bloß eine Samtfarbe gegenüber;
meistens rot, zuweilen grün, blau oder
weiß, selten schwarz oder violett. Bei
den ältesten Stücken der Gattung, die
noch eine Vorstufe darstellen (T. 225, Abb. 519), halten Samt und Gold sich die Wage;
danach im Stadium der Reife bildet in der Regel der Samt als das Rückgrat des Musters
einen starken Stamm, der wellig oder in eigenwilligen Windungen aufsteigend zu den
Rosenunterlagen der Granatmotive sich erweitert (Tafel 226 = Abb. 520). Die Wucht des
breiten Samtstreifens zu mildern, wird ihm längslaufend ein dünnerer Ast, von gotischen
Blättern umwunden, ein Kranz oder eine Blattschnur in Gold aufgelegt. Mit dem Haupt?
stamm verkreuzt sich gegenläufig ein leichteres Geäst, vorwiegend aus Gold mit Samt?
umrissen gewebt, dem das grundfüllende Beiwerk an Blättern, Knospen, Blüten und Granat?
äpfeln entsprießt (T. 228 = Abb. 521). Der Ausdruck Granatapfel ist grade bei diesen
Samtbrokaten ein bloßes Schlagwort; denn die wirklichen Granatäpfel im botanischen
Sinn kommen wenig zum Vorschein, etwa in der Einfassung der Rosenfelder oder im
seitlichen Geranke (vgl. Abb. 520 und T. 227). Die großen Zierstücke sind durchweg als
geschuppte oder längsgerippte Früchte oder Blüten stilisiert.

Die einseitigen Muster bilden zwar die große Mehrzahl, aber alleinherrschend waren
sie nicht. Neben ihnen erscheint schon frühzeitig die symmetrische Musteranlage, zuerst
auf Bildern von Petrus Cristus in der Form, daß goldene Äste ähnlich T. 225 sich zu großen
Spitzovalen zusammenschließen.1) Dann entstehen symmetrische Muster aus der Spiegel?
bildverdopplung eines ursprünglich einseitigen Entwurfes (Abb. 522) ; 2) auch kommt es vor,
daß zwei Stoffbahnen mit einem einmal rechtsläufig, einmal linksläufig gewebten Muster

*) Marienbilder von Petrus Cristus in der Sammlung Gustav v. Rothschild Paris, Städelgalerie in
Frankfurt und Verkündigung im Prado.

2) Beispiele Coli. Kelekian T. 78, 81; Kat. Errera nr. 146; Dreger T. 148.

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Abb. 524. Luccanischer Brokat Anfang 15. Jahrh. Kgm. Wien.
 
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