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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 2) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19017#0243
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Wenn man aus dem sehr unzulänglichen Denkmälerbestand allgemeine Schlüsse ziehen
darf, so scheint es, daß damals symmetrisch gezeichnete Ranken mit Lotusblüten, Rosetten
und gezackten Blättern, ganz in der Art der gleichzeitigen Perserteppiche, die vornehmste
Musterung von Prachtstoffen bildeten. Das Rankenwerk verteilt sich entweder frei über
die Fläche, oder es wird durch breite Bänder in Spitzovalfelder zusammengefaßt.1) Nicht
selten sind Vögel paarweis eingeordnet; das reichste Stück, ein Samtbrokat im Prager Kunst?
gewerbemuseum, enthält außerdem sitzende Figuren mit großen Flügeln, wie sie in dem
berühmten Jagdteppich des österreichischen Kaiserhauses vorkommen.2) Die symmetrischen
Lotusranken gehen wie in den Teppichen so auch in der Weberei während des 17. Jahr?
hunderts weiter. Der Samtbrokat Abb. 610 gehörte zu den Geschenken, die eine persische
Gesandtschaft im Jahre 1639 dem Herzog Friedrich von Holstein?Gottorp überbrachte, und
der Goldbrokat T. 324 ist noch beträchtlich jünger. Auch der Flor in Flor gemusterte Samt?
stoff T. 325 a mit Lotusblüten im althergebrachten Spitzovalnetz wird durch die im Beiwerk
auftretenden Tulpen bereits dem 17. Jahrh. zugewiesen. Allein der vorherrschende Typus
blieben die symmetrischen Rankenmuster seit derZeit Schah Abbas des Großen (1587—1629)
nicht mehr. Sie weichen allmählich den einseitig gewellten Parallelranken, die bald, — wie es
ungefähr gleichzeitig in Italien geschah, — in Streumuster zerfallen. Der Zusammenhang
der wellig aufsteigenden Ranken wird unterbrochen und die einzelnen Abschnitte bilden
sich zu selbständigen Blütenstauden aus (T. 325b, 326—328). Bei den älteren Beispielen aus
der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, zu denen der feingezeichnete Samt Abb. 611 (T. 326a)
gehört, ist der ursprüngliche Wellenschwung trotz der Trennung noch deutlich nachzufühlen.
Auch sind hier die hängenden Blüten noch lotusmäßig stilisiert, nur die nach oben gerichtete
Blume wird naturähnlich als Iris gebildet. Im Sinne der naturalistischen Tendenz, die das
Ausgangsstadium der neupersischen Kunst kennzeichnet, werden späterhin die Blütenstauden
als wachsende Tulpen (T. 326b), Narzissen (T. 327), Hyazinthen (T. 328) dargestellt. Dabei
bleibt die Wiedergabe der Pflanzen immer flächenhaft; zu der plastischen Wirkung des Lyoner
Stils hat sich die orientalische Weberei niemals verstiegen. Gelegentlich tauchen auch in
der Spätzeit noch stilisierte Streumuster auf (T. 329); eine häufige Abart verbindet mit den
Stauden oder Bäumchen Vögel, Schmetterlinge und anderes Getier zu einer Art landschaft?
licher Muster (vgl. Abb. 454).

Die Hof kunst der Sefiden, die mit ihren Jagd? und Tierteppichen die persische Knüpf?
arbeit bis zur äußersten Grenze ihrer Leistungsfähigkeit und zu fast bildmäßigen Wirkungen
steigerte, hat auch in der Weberei eine ganz verwandte Richtung gepflegt. Das 17. Jahr?
hundert hat uns eine sehr stattliche Zahl persischer Figurenstojfe überliefert, die stilistisch
mit der damaligen Buchmalerei, den seidenen Jagdteppichen und den Ispahaner Fayence?
fliesen aufs engste zusammenhängen. Die vornehmsten Figurenstoffe sind so gewebt, daß
die Figuren und die teils stilisierten, teils naturalistischen Blütenstauden zwischen ihnen in
mehrfarbigem Samtflor mit erstaunlich feiner und klarer Innenzeichnung von flachem Gold?
grund sich abheben (Abb. 612, T. 330). Figürliche Samtstoffe ohne Gold, also Flor in Flor
gemustert, sind seltener als die Samtbrokate; häufiger dagegen glatte Seidengewebe mit oder
ohne Gold.3) Von der außerordentlichen technischen Vollendung und den künstlerischen

x) Persische Samtstoffe des 16. Jahrh. sind abgeb. in den Meisterwerken muham. Kunst. 1912, III
T. 209; Collection Kelekian T. 75 rechts.

2) Der Prager Samt ist abgeb. in Kunst und Kunsthandwerk XIII 1910, S. 451; in den Meisterwerken
der muhammed. Kunst 1912, III T. 190.

:!) Beiläufig ist zu bemerken, daß die orientalische Weberei in der Türkei und in Persien seit dem
16. Jahrh. nur noch echte Metallfäden gebrauchte, wie sie in Italien mit der Spätgotik aufgekommen waren,
das heißt vergoldeten oder weißen Silberlahn um einen Seidenfaden gesponnen. Der alte Hautgoldfaden ist
auch im Orient vollständig verschwunden, sicherlich eine Folge des italienischen Einflusses.

Falke, Seidenweberei.

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