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Len
einmal Sr. Hochwürden, den Herrn Stadtpfarrer, mit seiner
Lenore zusammenbrachte. Mein Oheim, der jüngste Bruder
meiner Mutter, hielt Hochzeit, der ganze Zug war geordnet
und trat eben den Weg zurKirchc an, als mein Batcr heransplatztc:
„Komm, Pfaff, und sprich den Segen,
Eh' wir zu Bett uns legen!"
Er bedachte dabei nicht, was sein Bürger an einem an-
dern Ort sagt: „Wenn's der Pastor erführe, der keinen Spaß
versteht" — denn der Pastor crfnhr's und verstand solchen
Spaß nicht. Auf Anordnung meiner Mutter wurde zwar
durch doppelte Kopulationsgebühren weiteren Folgen vorgebeugt,
aber Papa stand einmal im schwarzen Register» und war nicht
gewitzigt worden.
Bald darauf sollte ein neuer Bürgermeister gewählt wer-
den. Das ganze Städtchen theilte sich in zwei Partheicn; die
eine für den seitherigen Bürgermeister R a p p (ein Sohn des
von meinem Vater Bepasguillten), die andere für den Raths-
herrn und Metzgerobermeister Hahn. Der crstere war von
oben herab sehr empfohlen, der andere war der Oppositions-
Kandidat. Mein Vater war eine Zeitlang unschlüssig, zu
welcher Parthei er sich schlagen solle; auf einmal aber fuhr
er aus, griff »ach seinem Bürger, schlug etwas nach, fing an
unmäßig zu lachen unk stürmte über Kopf und Hals mit dem
Buch zum Haus hinaus. Den ganzen Tag that er sehr gc-
heimnißvoll, und als ihn Abends die Gäste um seine Meinung
über die Wahl fragten, sagte er bloß: „Wartet nur, morgen,
morgen!" Des andern Tages, einem Samstag, las Jeder-
mann im Wochcnblättchcn:
Wahlsache.
Rapp, Rapp, mich dünkt, der Hahn schon ruft,
Bald wird der Sand verrinnen!
Rapp, Rapp, ich witt're Morgenluft,
Rapp, tummle dich von hinnen!
Abends und den folgenden Sonntag war unsere Stube
jo voll wie noch nie. Montags war die Wahl, Hahn siegte
mit bedeutender Mehrheit, und „Hoch bäumte sich» wild schnob
^er Rapp!" sagte mein Vater.
Am folgenden Morgen erschien der Gerichtsdiener, und
^ud ihn auf 8 Uhr vor's Bezirksgericht.
„Hilf Gott, hilf, geh' nicht in's Gericht
Mit deinem armen Kinde!"
jagte der Vater, vor Schrecken blaß; er war sein Lebtag noch
re.
in kein Protokoll gekommen, und hatte vor dem Gericht allen
Respekt. Die Mutter aber lamcntirtc: „Bete kn lieber, Gott
soll mit Dir in's Gericht gehen, wirst's wohl brauchen können!
Du wirst sehen, wie's Dir geht! Ach, das verdammte Buch!"
Vor Gericht ward meinem Vater eröffnet, daß er von
Herrn Bürgermeister Rapp wegen mittelst der Presse verübter
Ehrenkränkung, beziehungsweise Amtsehrenbeleidigung, belangt,
und demgemäß in Anklagestand versetzt sei. Er zog ruhig den
Bürger aus der Tasche, und wies die Quelle, aus der er ge-
schöpft hatte. Damit sei er nicht entschuldigt, ward ihm ent-
gegnet, er könne zwar Stellen aus beliebigen Dichtern citiren,
aber sic in gehässiger Weise anzuwcndcn, wie geschehen, stehe
ihm nicht zu. Der Vers führe die Aufschrift: Wahlsache,
cs habe ihn also Jedermann aus Herrn Bürgermeister Rapp
bezogen, und er als Einsender habe dafür einzustchen. Die
„gehässige Weise" bezog sich namentlich aus die Stelle: „Bald
wird der Sand verrinnen"; denn beim Bau des neue» Rath-
hauscs war der Bürgermeister in Verdacht gekommen, für
Sandfuhren, die doch in der Frohne, also unentgcldlich ver-
richtet worden waren, circa 150 fl. in Anrechnung gebracht
zu haben. Die Sache war damals vertuscht worden; durch
meines Vaters, oder eigentlich Bürger's Sand aber kam sic
überall in Erinnerung, und mag keine kleine Ursache von
Rapp's Durchfall bei der Wahl gewesen sein. Mein Batcr
zog zwar durchaus in Abrede, an Rathhauosand gedacht, oder
mit dem „Rapp, tummle dich von hinnen" irgend etwas
Ehrenrühriges beabsichtigt zu haben, aber er kam damit nicht
durch. Das Ende vom Liede war, daß er, nachdem er unge-
fähr zehnmal vor Amt gewesen war, zu 8 Ta gcu Bez irkö-
Gefängniß, 30 fl. Strafe und in die Kosten ver-
urtheilt wurde. Der Vers: „Rasch aus ein eisern Gitter-
thor" ging zwar an ihm nicht in Erfüllung, kenn das Ge-
fängniß brachte er auf dem Wege der Gnade »och weg ; wenn
er aber Strafe, Kosten und Gnadenweg zusammenrechnete, so i
kam ihm die Geschichte auf wenigstens 100 Gulden, von
Aergcr, Angst und Schimpf nicht zu reden. Als er das Geld
in's Amt getragen hatte, und wieder heim kam, nahm er den
Bürger mit dem Goldschnitt und verfuhr damit, wie einst
Mama mit dem ersten Exemplar. Von allen Versen Bürger's
läßt er seitdem zur großen Freude meiner Mutter nichts mehr
hören, als hie und da ein halblautes:
„Geduld, Geduld, wenn's Herz auch bricht!"
Len
einmal Sr. Hochwürden, den Herrn Stadtpfarrer, mit seiner
Lenore zusammenbrachte. Mein Oheim, der jüngste Bruder
meiner Mutter, hielt Hochzeit, der ganze Zug war geordnet
und trat eben den Weg zurKirchc an, als mein Batcr heransplatztc:
„Komm, Pfaff, und sprich den Segen,
Eh' wir zu Bett uns legen!"
Er bedachte dabei nicht, was sein Bürger an einem an-
dern Ort sagt: „Wenn's der Pastor erführe, der keinen Spaß
versteht" — denn der Pastor crfnhr's und verstand solchen
Spaß nicht. Auf Anordnung meiner Mutter wurde zwar
durch doppelte Kopulationsgebühren weiteren Folgen vorgebeugt,
aber Papa stand einmal im schwarzen Register» und war nicht
gewitzigt worden.
Bald darauf sollte ein neuer Bürgermeister gewählt wer-
den. Das ganze Städtchen theilte sich in zwei Partheicn; die
eine für den seitherigen Bürgermeister R a p p (ein Sohn des
von meinem Vater Bepasguillten), die andere für den Raths-
herrn und Metzgerobermeister Hahn. Der crstere war von
oben herab sehr empfohlen, der andere war der Oppositions-
Kandidat. Mein Vater war eine Zeitlang unschlüssig, zu
welcher Parthei er sich schlagen solle; auf einmal aber fuhr
er aus, griff »ach seinem Bürger, schlug etwas nach, fing an
unmäßig zu lachen unk stürmte über Kopf und Hals mit dem
Buch zum Haus hinaus. Den ganzen Tag that er sehr gc-
heimnißvoll, und als ihn Abends die Gäste um seine Meinung
über die Wahl fragten, sagte er bloß: „Wartet nur, morgen,
morgen!" Des andern Tages, einem Samstag, las Jeder-
mann im Wochcnblättchcn:
Wahlsache.
Rapp, Rapp, mich dünkt, der Hahn schon ruft,
Bald wird der Sand verrinnen!
Rapp, Rapp, ich witt're Morgenluft,
Rapp, tummle dich von hinnen!
Abends und den folgenden Sonntag war unsere Stube
jo voll wie noch nie. Montags war die Wahl, Hahn siegte
mit bedeutender Mehrheit, und „Hoch bäumte sich» wild schnob
^er Rapp!" sagte mein Vater.
Am folgenden Morgen erschien der Gerichtsdiener, und
^ud ihn auf 8 Uhr vor's Bezirksgericht.
„Hilf Gott, hilf, geh' nicht in's Gericht
Mit deinem armen Kinde!"
jagte der Vater, vor Schrecken blaß; er war sein Lebtag noch
re.
in kein Protokoll gekommen, und hatte vor dem Gericht allen
Respekt. Die Mutter aber lamcntirtc: „Bete kn lieber, Gott
soll mit Dir in's Gericht gehen, wirst's wohl brauchen können!
Du wirst sehen, wie's Dir geht! Ach, das verdammte Buch!"
Vor Gericht ward meinem Vater eröffnet, daß er von
Herrn Bürgermeister Rapp wegen mittelst der Presse verübter
Ehrenkränkung, beziehungsweise Amtsehrenbeleidigung, belangt,
und demgemäß in Anklagestand versetzt sei. Er zog ruhig den
Bürger aus der Tasche, und wies die Quelle, aus der er ge-
schöpft hatte. Damit sei er nicht entschuldigt, ward ihm ent-
gegnet, er könne zwar Stellen aus beliebigen Dichtern citiren,
aber sic in gehässiger Weise anzuwcndcn, wie geschehen, stehe
ihm nicht zu. Der Vers führe die Aufschrift: Wahlsache,
cs habe ihn also Jedermann aus Herrn Bürgermeister Rapp
bezogen, und er als Einsender habe dafür einzustchen. Die
„gehässige Weise" bezog sich namentlich aus die Stelle: „Bald
wird der Sand verrinnen"; denn beim Bau des neue» Rath-
hauscs war der Bürgermeister in Verdacht gekommen, für
Sandfuhren, die doch in der Frohne, also unentgcldlich ver-
richtet worden waren, circa 150 fl. in Anrechnung gebracht
zu haben. Die Sache war damals vertuscht worden; durch
meines Vaters, oder eigentlich Bürger's Sand aber kam sic
überall in Erinnerung, und mag keine kleine Ursache von
Rapp's Durchfall bei der Wahl gewesen sein. Mein Batcr
zog zwar durchaus in Abrede, an Rathhauosand gedacht, oder
mit dem „Rapp, tummle dich von hinnen" irgend etwas
Ehrenrühriges beabsichtigt zu haben, aber er kam damit nicht
durch. Das Ende vom Liede war, daß er, nachdem er unge-
fähr zehnmal vor Amt gewesen war, zu 8 Ta gcu Bez irkö-
Gefängniß, 30 fl. Strafe und in die Kosten ver-
urtheilt wurde. Der Vers: „Rasch aus ein eisern Gitter-
thor" ging zwar an ihm nicht in Erfüllung, kenn das Ge-
fängniß brachte er auf dem Wege der Gnade »och weg ; wenn
er aber Strafe, Kosten und Gnadenweg zusammenrechnete, so i
kam ihm die Geschichte auf wenigstens 100 Gulden, von
Aergcr, Angst und Schimpf nicht zu reden. Als er das Geld
in's Amt getragen hatte, und wieder heim kam, nahm er den
Bürger mit dem Goldschnitt und verfuhr damit, wie einst
Mama mit dem ersten Exemplar. Von allen Versen Bürger's
läßt er seitdem zur großen Freude meiner Mutter nichts mehr
hören, als hie und da ein halblautes:
„Geduld, Geduld, wenn's Herz auch bricht!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Lenore"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Kommentar
Abweichende Titelschreibweise: "Lenore" statt "Die Leonore"
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 21.1855, Nr. 486, S. 47
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg