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Aus meinem Leben.
! daß ich z. B. Pfeffer in den Kaffee und Kaffee in die Fleisch-
brühe schüttete, daß ich das Betttuch über den Tisch und die
Suppenschüssel in's Bett legte, daß ich beim Feuer stand und
schwärmerisch träumend zusah, wie die Milch überlicf, oder wie
die Katze die Fische fraß. Dieß Alles war, wie gesagt, sehr
natürlich; aber mein Vater war deßhalb sehr unzufrieden und
nannte mich sein Unglück. Der arme Mann! Ich verzeihe
ihm. Konnte er begreifen, was in mir verging? Er wollte
den Pegasus in's Joch spannen und gericth in Zorn, daß
sich Pegasus das Joch nicht gefallen ließ. So sind die
Menschen, denen das Höhere verschlossen ist!
Einst bekam mein Vater in der Person seines Vetters
einen Gast und ich wurde zum Metzger geschickt, um Fleisch
zu holen. Es war ein trüber Herbsttag. Die falben Blätter
fielen von den Bäumen, deren Zweige im Nebelwinde schauer-
ten. Tiefe Melancholie bemächtigte sich meiner und eine Ahnung
von dem Ende aller irdischen Dinge bewegte meine Seele.
Konnte ich unter solchen Empfindungen um drei Pfund durch-
wachsenes Rindfleisch mit einem Metzger feilschen? — Es war
also natürlich, daß ich, statt zur Fleischbank zu gehen, auf den
Kirchhof ging und dort mich auf das Grab einer Jungfrau
setzte und die Ellenbogen auf die Knie stemmte und mein
melancholisches Köpfchen in die Hände legte und in schwere
Träume versank. Auf diesem Grabhügel fiel mir der erste
Vers ein, den ich nie vergeffen habe. Er lautete:
Ein Engel mit geknicktem Flügel
Ruht unter diesem Aschenhügel;
Ich sitze d'rauf und weine
Ganz einsam und alleine.
Bis fast gegen Abend saß ich auf dem erwähnten Grabe.
Naiv und harmlos wie ich war, ging ich nach Hause und dachte
nicht im entferntesten an die Scene, die mich erwartete. Mein
Vater stürzte wüthend auf mich zu und fragte mich, wo ich
gewesen. Naiv und harmlos wie ich war, antwortete ich:
„Auf dem Kirchhofe!" Mein Vater behauptete nun, ich hätte
den Verstand verloren und daß er der unglücklichste Mann auf
Erden wäre. Meine Mutter suchte ihn zu beruhigen, ebenso
sein Vetter, der durch mich um sein Mittagsbrod gekommen
war. Mein Vater fragte jetzt, wo ich das Geld im Betrage
von einem Gulden und siebenundvierzig Kreuzer hingcthan hätte?
Und als ich das Geld nicht fand, behauptete er, ich hätte es
für Naschereien ausgegeben. Ich in meiner Gcwiffensreinheit
behauptete das Gegentheil und meine Mutter, die sich stets
meiner annahm und sehr wohl wußte, daß meiner frommen
Seele jede Lüge fremd war, bemerkte, daß ich das Geld viel-
leicht auf dem Kirchhofe vergessen. Als mein Vater mich fragte,
was ich aus die Bemerkung meiner Mutter zu bemerken hätte,
zitirte ich mit glühender Begeisterung den Vers:
„Ein Engel mit geknicktem Flügel" u. s w.
Wart', ich will dich knicken, rief mein Vater in seiner rohen
Weise und meine linke Wange fühlte die Wucht seiner rechten
Hand. Ich weinte ob dieser Mißhandlung und betheuerkc, daß
ich auf dem Grabe der Jungfrau Rosa Lieblraut gesessen, und
daß sich dort der schnöde Mammon vielleicht finden würde, um
deffcntwillcn ich so Arges erduldet. Mein Vater begab sich
auf den Kirchhof und auf dem Aschenhügel der Jungfrau
Rosa Liebtraut fand sich richtig das Geld.
Wahrlich, wir erkaufen die Gabe der Musen mit dem
Glücke unserer Jugend. Wir Alle, denen der Dichtung Schöpfer-
kraft verliehen, sind Märtyrer, unbegriffene, unverstandene
Märtyrer. Freuden spenden und Schmerzen leiden ist unser Loos.
Zu Leiden geboren,
Zu Schmerzen erkoren
Sind die, so im Busen
Tragen die Musen.
Zweites Kapitel.
Robert Kiebitz. — Ewige Treue und Türkisch Garn. — Büttel,
Sappho und weibliche Reime. — Erste Liebe, zweite Liebe, Kabbale
und Liebe. — Ein erster Liebhaber. — Ich gehe durch. — Eine erste
Liebhaberin. — Er geht durch.
Ich ward Jungfrau. Tausend Stimmen wurden wach
in meinem Herzen und bald wurde das Herz der Sitz einer
Leidenschaft, deren Flamme mich zu verzehren drohte.
Unserm Hause gegenüber war ein Schnittwaarenladcn und
in diesem Schnittwaarenladcn war ein junger Mann als Gc-
hülfe angestellt. Er hieß Robert Kiebitz, hatte blondes Haar
und war stark aufgeschoffen. Unsere Blicke hatten sich begegnet.
Ich liebte ihn und sagte ihm in glühenden Versen was ich
für ihn empfand. Ihn zu besitzen war mein einziger Wunsch
und ich theilte ihm diesen Wunsch unverhohlen mit. Unter
einem Weidenbaume vor dem Rappelsberger Thore sollten wir
uns am nächsten Mittwoch — seinem Ausgangstage — zwischen
8 und 9 Uhr Abends ewige Treue schwören. Wie harrte ich
diesem Mittwoch entgegen! Der Mittwoch kam. Aber er
sollte mir statt der Erfüllung meiner Wünsche bittern Kummer
und tiefes Herzeleid bringen. Mittwoch' gegen Mittag nämlich
wurde Kiebitz unter dem Zulauf der Menge von dem Stadt-
büttel in's Zuchthaus geführt. Er hatte seinem Prinzipale
mehrere Dutzend Strange Türkisch Garn veruntreut und war
von der Prinzipalin auf frischer That ertappt worden. Mein
Herz blutete und fast fing ich an, die Männer zu verachten.
Möge folgender Vers, den ich damals in mein Tagebuch
schrieb, dem Leser zeigen, wie finster meine Stimmung war:
An Robert Kiebitz.
Ach, du schlugst mir tiefe Wunden,
Als du stahlst den türkisch Garn
Und hast mir die Brust beschwert.
Nimmermehr wird man erfahr'n,
Was ich einst für dich empfunden,
Ach, für dich, für dich, Robert!
Ich suchte in der Poesie Balsam für meine Wunden und
schrieb ein großes Gedicht in weiblichen Reimen. Das Gedicht
hieß „Sappho" und der Leser kann sich leicht denken, daß
unter dem Namen der lesbischen Sängerin Niemand anders
gemeint war als ich selbst. Meine erste Liebe liegt in diesem
Gedichte begraben. O wäre meine erste Liebe meine letzte ge-
Aus meinem Leben.
! daß ich z. B. Pfeffer in den Kaffee und Kaffee in die Fleisch-
brühe schüttete, daß ich das Betttuch über den Tisch und die
Suppenschüssel in's Bett legte, daß ich beim Feuer stand und
schwärmerisch träumend zusah, wie die Milch überlicf, oder wie
die Katze die Fische fraß. Dieß Alles war, wie gesagt, sehr
natürlich; aber mein Vater war deßhalb sehr unzufrieden und
nannte mich sein Unglück. Der arme Mann! Ich verzeihe
ihm. Konnte er begreifen, was in mir verging? Er wollte
den Pegasus in's Joch spannen und gericth in Zorn, daß
sich Pegasus das Joch nicht gefallen ließ. So sind die
Menschen, denen das Höhere verschlossen ist!
Einst bekam mein Vater in der Person seines Vetters
einen Gast und ich wurde zum Metzger geschickt, um Fleisch
zu holen. Es war ein trüber Herbsttag. Die falben Blätter
fielen von den Bäumen, deren Zweige im Nebelwinde schauer-
ten. Tiefe Melancholie bemächtigte sich meiner und eine Ahnung
von dem Ende aller irdischen Dinge bewegte meine Seele.
Konnte ich unter solchen Empfindungen um drei Pfund durch-
wachsenes Rindfleisch mit einem Metzger feilschen? — Es war
also natürlich, daß ich, statt zur Fleischbank zu gehen, auf den
Kirchhof ging und dort mich auf das Grab einer Jungfrau
setzte und die Ellenbogen auf die Knie stemmte und mein
melancholisches Köpfchen in die Hände legte und in schwere
Träume versank. Auf diesem Grabhügel fiel mir der erste
Vers ein, den ich nie vergeffen habe. Er lautete:
Ein Engel mit geknicktem Flügel
Ruht unter diesem Aschenhügel;
Ich sitze d'rauf und weine
Ganz einsam und alleine.
Bis fast gegen Abend saß ich auf dem erwähnten Grabe.
Naiv und harmlos wie ich war, ging ich nach Hause und dachte
nicht im entferntesten an die Scene, die mich erwartete. Mein
Vater stürzte wüthend auf mich zu und fragte mich, wo ich
gewesen. Naiv und harmlos wie ich war, antwortete ich:
„Auf dem Kirchhofe!" Mein Vater behauptete nun, ich hätte
den Verstand verloren und daß er der unglücklichste Mann auf
Erden wäre. Meine Mutter suchte ihn zu beruhigen, ebenso
sein Vetter, der durch mich um sein Mittagsbrod gekommen
war. Mein Vater fragte jetzt, wo ich das Geld im Betrage
von einem Gulden und siebenundvierzig Kreuzer hingcthan hätte?
Und als ich das Geld nicht fand, behauptete er, ich hätte es
für Naschereien ausgegeben. Ich in meiner Gcwiffensreinheit
behauptete das Gegentheil und meine Mutter, die sich stets
meiner annahm und sehr wohl wußte, daß meiner frommen
Seele jede Lüge fremd war, bemerkte, daß ich das Geld viel-
leicht auf dem Kirchhofe vergessen. Als mein Vater mich fragte,
was ich aus die Bemerkung meiner Mutter zu bemerken hätte,
zitirte ich mit glühender Begeisterung den Vers:
„Ein Engel mit geknicktem Flügel" u. s w.
Wart', ich will dich knicken, rief mein Vater in seiner rohen
Weise und meine linke Wange fühlte die Wucht seiner rechten
Hand. Ich weinte ob dieser Mißhandlung und betheuerkc, daß
ich auf dem Grabe der Jungfrau Rosa Lieblraut gesessen, und
daß sich dort der schnöde Mammon vielleicht finden würde, um
deffcntwillcn ich so Arges erduldet. Mein Vater begab sich
auf den Kirchhof und auf dem Aschenhügel der Jungfrau
Rosa Liebtraut fand sich richtig das Geld.
Wahrlich, wir erkaufen die Gabe der Musen mit dem
Glücke unserer Jugend. Wir Alle, denen der Dichtung Schöpfer-
kraft verliehen, sind Märtyrer, unbegriffene, unverstandene
Märtyrer. Freuden spenden und Schmerzen leiden ist unser Loos.
Zu Leiden geboren,
Zu Schmerzen erkoren
Sind die, so im Busen
Tragen die Musen.
Zweites Kapitel.
Robert Kiebitz. — Ewige Treue und Türkisch Garn. — Büttel,
Sappho und weibliche Reime. — Erste Liebe, zweite Liebe, Kabbale
und Liebe. — Ein erster Liebhaber. — Ich gehe durch. — Eine erste
Liebhaberin. — Er geht durch.
Ich ward Jungfrau. Tausend Stimmen wurden wach
in meinem Herzen und bald wurde das Herz der Sitz einer
Leidenschaft, deren Flamme mich zu verzehren drohte.
Unserm Hause gegenüber war ein Schnittwaarenladcn und
in diesem Schnittwaarenladcn war ein junger Mann als Gc-
hülfe angestellt. Er hieß Robert Kiebitz, hatte blondes Haar
und war stark aufgeschoffen. Unsere Blicke hatten sich begegnet.
Ich liebte ihn und sagte ihm in glühenden Versen was ich
für ihn empfand. Ihn zu besitzen war mein einziger Wunsch
und ich theilte ihm diesen Wunsch unverhohlen mit. Unter
einem Weidenbaume vor dem Rappelsberger Thore sollten wir
uns am nächsten Mittwoch — seinem Ausgangstage — zwischen
8 und 9 Uhr Abends ewige Treue schwören. Wie harrte ich
diesem Mittwoch entgegen! Der Mittwoch kam. Aber er
sollte mir statt der Erfüllung meiner Wünsche bittern Kummer
und tiefes Herzeleid bringen. Mittwoch' gegen Mittag nämlich
wurde Kiebitz unter dem Zulauf der Menge von dem Stadt-
büttel in's Zuchthaus geführt. Er hatte seinem Prinzipale
mehrere Dutzend Strange Türkisch Garn veruntreut und war
von der Prinzipalin auf frischer That ertappt worden. Mein
Herz blutete und fast fing ich an, die Männer zu verachten.
Möge folgender Vers, den ich damals in mein Tagebuch
schrieb, dem Leser zeigen, wie finster meine Stimmung war:
An Robert Kiebitz.
Ach, du schlugst mir tiefe Wunden,
Als du stahlst den türkisch Garn
Und hast mir die Brust beschwert.
Nimmermehr wird man erfahr'n,
Was ich einst für dich empfunden,
Ach, für dich, für dich, Robert!
Ich suchte in der Poesie Balsam für meine Wunden und
schrieb ein großes Gedicht in weiblichen Reimen. Das Gedicht
hieß „Sappho" und der Leser kann sich leicht denken, daß
unter dem Namen der lesbischen Sängerin Niemand anders
gemeint war als ich selbst. Meine erste Liebe liegt in diesem
Gedichte begraben. O wäre meine erste Liebe meine letzte ge-