82 Die Martinsgans.
den frommen Wunsch anzuspiclen, dieser möge sich frcundlichst
um eine Gehaltszulage für ihn bei einem hohen Ministerium
verwenden. Bei solchen kühnen Wünschen legte sich aber alle-
mal das Gesicht des geistlichen Herrn in bedenkliche Falten, er
zuckte die Achseln und sprach salbungsvoll von den Trostgrün-
den bei den Widerwärtigkeiten des Lebens, über welche Gellert
ein sehr schönes Buch geschrieben habe, das er ihm gelegentlich
borgen wolle. Glaubte er doch an den Tag legen zu müsien,
daß er als Student, erfüllt von dem wichtigen Berufe des
Landgcistlichcn, neben seinem theologischen Studium auch durch
ein philosophisches Collegium gelaufen sei und ein cameralisti-
scheö in sauberer Reinschrift noch in seinem Bücherschränke
verwahre.
„Schulmeister"» sagte er einmal, „er hat einen Gehalt
von hundcrtundzwanzig Thalern, was, wie ich einsehe, bei
einer so zahlreichen Familie wie er sie hat, freilich nicht viel
ist und ich begreife daher recht gut, daß, wenn das Jahr um
ist von den hundertundzwanzig Thalern nichts übrig bleiben
wird; ich setze aber den Fall, daß auf meine Verwendung hin,
ein hohes Cultus-Ministerium seinen Gehalt selbst auf hundert-
und fünfzig Thaler erhöhte, was erwüchse daraus für ein Vor-
theil? Er würde gleichwohl, wenn er mit Frau und Kindern
das ganze Jahr hindurch am Hungertuche genagt hätte, zu
Neujahr nichts übrig haben. Was käme also dabei heraus,
wenn er eine Zulage bekäme, sie langte doch, da seine Kinder
täglich größer werden und täglich mehr ans den Leib und in
den Leib gebrauchen, eben so wenig als sein jetziger Gehalt.
Wenn es aber demnach in der Hauptsache sich ganz gleich
bleibt, ob er eine Gehaltszulage bekommt oder nicht, wäre es
da nicht sündlich von mir die Hand dazu zu bieten, daß die
Staatsausgaben vergrößert und das Staatsgut nutzlos ver-
geudet würde?!"
Der Schulmeister seufzte tief, er konnte und wollte in
seiner gedrückten Stellung die Gründe des Pfarrers nicht an-
greifen, es war ihm unbegreiflich wie der Mann nach seiner
Art zu denken so sehr Recht haben und doch im größten Un-
rechte sein könne; Thränen traten in seine Augen, er faltete
die langen dürren Hände und schaute auf gen Himmel. Ihm
vertraute er sein Geschick und seine Zukunft; im Innern seines
Herzens aber regte sich etwas wie ein Wunsch nach Rache und
sehnlich wünschte er eine Gelegenheit herbei, den klugen Herrn
Pastor mit ähnlicher Münze von lieblosen Worten eine Gegcn-
zahlung zu machen.
Diese Gelegenheit fand sich schon nach wenigen Tagen.
In seiner Eigenschaft als geistlicher Inspektor besuchte der
Herr Pfarrer das Schulhaus, um sich von dem Stande des
Unterrichts und den Fortschritten der Kinder zu überzeugen.
Wie die Orgelpfeifen saßen sie da, die Kinder des Dorfes,
ganz hinten die Kleinsten, die Großen vorn, auf einem erhöh-
ten Platze aber, als Hirte der ihm anvertrauten Heerde, thronte
der Schulmeister. Mit allem Anstande begrüßte er den hoch-
würdigen Herrn, präsentirte ihm einen Stuhl und erklärte ihm
des Weiteren, wie er eine neue Unterrichtsmethode eingeführt
habe, welche den Anschauungsunterricht mit dem katechetischen
in zweckmäßigster Weise vereinige und dabei höchst überraschende
Resultate bereits geliefert habe. Nach diesen Eingangsworten
ergriff er einen Schieferstift, hielt ihn empor und begann die
Knaben zu fragen.
(Schluß folgt.)
Wie ich zu meinem Weibe kam.
(Schluß.)
„Mama, dieser Herr wünscht Dich zu sprechen", sagte
Marie, wies mir einen Stuhl an und entfernte sich bescheiden
durch eine Scitenthüre.
Ich befand mich nun mit Madame Helmer allein.
Nach einer ziemlich langen Pause, in der ich vergeblich
das Gespräch auf eine geschickte Weise anzuknüpfen suchte, be-
schloß ich endlich mit dem Zweck meines Besuches gerade heraus-
zurücken und zuerst stotternd, dann aber immer mehr Sicher-
heitgewinnend, sagte ich ihr, daß ich einen Verwandten, einen
braven und verdienstvollen Mann hier hätte, aus den ihre
Tochter einen unauslöschlichen Eindruck gemacht habe und daß
er es als das höchste Glück schätzen würde, sie als Gattin
heimzuführen.
„Ich werde ganz aufrichtig und gerade mit Ihnen
sprechen", antwortete Madame Helmer. „Meine Tochter ist
bereits neunzehn Jahre alt, ich bin arm und kann mei-
den frommen Wunsch anzuspiclen, dieser möge sich frcundlichst
um eine Gehaltszulage für ihn bei einem hohen Ministerium
verwenden. Bei solchen kühnen Wünschen legte sich aber alle-
mal das Gesicht des geistlichen Herrn in bedenkliche Falten, er
zuckte die Achseln und sprach salbungsvoll von den Trostgrün-
den bei den Widerwärtigkeiten des Lebens, über welche Gellert
ein sehr schönes Buch geschrieben habe, das er ihm gelegentlich
borgen wolle. Glaubte er doch an den Tag legen zu müsien,
daß er als Student, erfüllt von dem wichtigen Berufe des
Landgcistlichcn, neben seinem theologischen Studium auch durch
ein philosophisches Collegium gelaufen sei und ein cameralisti-
scheö in sauberer Reinschrift noch in seinem Bücherschränke
verwahre.
„Schulmeister"» sagte er einmal, „er hat einen Gehalt
von hundcrtundzwanzig Thalern, was, wie ich einsehe, bei
einer so zahlreichen Familie wie er sie hat, freilich nicht viel
ist und ich begreife daher recht gut, daß, wenn das Jahr um
ist von den hundertundzwanzig Thalern nichts übrig bleiben
wird; ich setze aber den Fall, daß auf meine Verwendung hin,
ein hohes Cultus-Ministerium seinen Gehalt selbst auf hundert-
und fünfzig Thaler erhöhte, was erwüchse daraus für ein Vor-
theil? Er würde gleichwohl, wenn er mit Frau und Kindern
das ganze Jahr hindurch am Hungertuche genagt hätte, zu
Neujahr nichts übrig haben. Was käme also dabei heraus,
wenn er eine Zulage bekäme, sie langte doch, da seine Kinder
täglich größer werden und täglich mehr ans den Leib und in
den Leib gebrauchen, eben so wenig als sein jetziger Gehalt.
Wenn es aber demnach in der Hauptsache sich ganz gleich
bleibt, ob er eine Gehaltszulage bekommt oder nicht, wäre es
da nicht sündlich von mir die Hand dazu zu bieten, daß die
Staatsausgaben vergrößert und das Staatsgut nutzlos ver-
geudet würde?!"
Der Schulmeister seufzte tief, er konnte und wollte in
seiner gedrückten Stellung die Gründe des Pfarrers nicht an-
greifen, es war ihm unbegreiflich wie der Mann nach seiner
Art zu denken so sehr Recht haben und doch im größten Un-
rechte sein könne; Thränen traten in seine Augen, er faltete
die langen dürren Hände und schaute auf gen Himmel. Ihm
vertraute er sein Geschick und seine Zukunft; im Innern seines
Herzens aber regte sich etwas wie ein Wunsch nach Rache und
sehnlich wünschte er eine Gelegenheit herbei, den klugen Herrn
Pastor mit ähnlicher Münze von lieblosen Worten eine Gegcn-
zahlung zu machen.
Diese Gelegenheit fand sich schon nach wenigen Tagen.
In seiner Eigenschaft als geistlicher Inspektor besuchte der
Herr Pfarrer das Schulhaus, um sich von dem Stande des
Unterrichts und den Fortschritten der Kinder zu überzeugen.
Wie die Orgelpfeifen saßen sie da, die Kinder des Dorfes,
ganz hinten die Kleinsten, die Großen vorn, auf einem erhöh-
ten Platze aber, als Hirte der ihm anvertrauten Heerde, thronte
der Schulmeister. Mit allem Anstande begrüßte er den hoch-
würdigen Herrn, präsentirte ihm einen Stuhl und erklärte ihm
des Weiteren, wie er eine neue Unterrichtsmethode eingeführt
habe, welche den Anschauungsunterricht mit dem katechetischen
in zweckmäßigster Weise vereinige und dabei höchst überraschende
Resultate bereits geliefert habe. Nach diesen Eingangsworten
ergriff er einen Schieferstift, hielt ihn empor und begann die
Knaben zu fragen.
(Schluß folgt.)
Wie ich zu meinem Weibe kam.
(Schluß.)
„Mama, dieser Herr wünscht Dich zu sprechen", sagte
Marie, wies mir einen Stuhl an und entfernte sich bescheiden
durch eine Scitenthüre.
Ich befand mich nun mit Madame Helmer allein.
Nach einer ziemlich langen Pause, in der ich vergeblich
das Gespräch auf eine geschickte Weise anzuknüpfen suchte, be-
schloß ich endlich mit dem Zweck meines Besuches gerade heraus-
zurücken und zuerst stotternd, dann aber immer mehr Sicher-
heitgewinnend, sagte ich ihr, daß ich einen Verwandten, einen
braven und verdienstvollen Mann hier hätte, aus den ihre
Tochter einen unauslöschlichen Eindruck gemacht habe und daß
er es als das höchste Glück schätzen würde, sie als Gattin
heimzuführen.
„Ich werde ganz aufrichtig und gerade mit Ihnen
sprechen", antwortete Madame Helmer. „Meine Tochter ist
bereits neunzehn Jahre alt, ich bin arm und kann mei-
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Martinsgans"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Geldmangel
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 21.1855, Nr. 491, S. 82
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg