Oberon von Wieland.
angenehmer, feiner Gesellschafter und als Schöngeist sein ohne-
hin nicht großes Vermögen leichtsinnig verschwendet habe und
gegenwärtig verschollen sei, sich aber, wie man vermuthe, mit
einer Bande reisender Komödianten in der Welt herumlrcibe.
Auf die Aeußerung meiner Schwester hin, daß sie von ihm,
dem Gerichtshalter gehört hatte, er wolle dem gnädigen Herrn
den Oberon mitbringen und auf dessen Befragung durch den
! Haasensuß von Vater, hatte sich sogleich der komische Mißver-
stand herausgestellt, daß das Mädchen wähnte, man spreche von
einem Cavalier, während von einem Buche die Rede gewesen
war. Man hatte darüber in der Familie des Barons herzlich
gelacht und dem jungen Mann den Spitznamen Oberon aus
Heiterkeit über die Unwissenheit der armen Marie crtheilt, diese
aber war dadurch in ihrem unglücklichen Jrrthume nur bestärkt
worden, ein Jrrthum, den der abscheuliche Mensch dazu zu
benutzen verstand, das arme Landmädchen zu bethören. Und
dieß, lieber Herr, ist die ganze Geschichte."
„Nein," unterbrach ich den Schneider, „es ist die ganze
Geschichte noch nicht; noch haben Sie mir den gräßlichen Un-
glücksfall verschwiegen, der Ihrer Schwester das Leben kostete,
noch haben Sie nicht erzählt, wie es kam, daß sie gefressen
und mit dem Oberon zusammen begraben wurde."
„Gefressen!" rief der Schneider, und maß mich mit lan-
j gen Blicken. „Sind Sie des Teufels?"
„Es steht dock aber mit klaren Worten auf dem Leichen-
steine: „Marie Auguste fraß seine Mutter am 11. Oktober
1796."
Der Schneider wollte vor Lachen platzen, als ich dieß
sagte. „Bester Herr'" polterte er lachend heraus, „hätten Sie
mein Thürschild so genau angesehen, wie den Leichenstein meiner
Schwester, so würden Sie nicht so tief in den Jrrthum hinein-
gerathen sein. Ueber meiner Thür steht groß und breit ge-
schrieben: Gottfried Fraß, Schneidermeister, das will besagen,
daß ich Fraß heiße und Schneidermeister bin; nicht aber, als
wollte ich damit renommircn, ich hätte Schneidermeister ge-
fressen. Wenn ich nun Fraß heiße, wie meine Vorfahren alle,
so mußte auch meine Schwester den Namen Marie Auguste
Fraß führen. Das Ende des armen Jungen und seiner Mutter
will ich Ihnen aber auch noch erzählen.
„Die Weimar'schen Herrschaften waren gleich nach been-
digter Taufhandlung wieder abgcreist, ohne dem Baron mehr
als einen flüchtigen Gegengruß zu gönnen, als er bei dem
Austreten aus der Kirche die Herren noch einmal begrüßen
und zum Abendeffen auf den Edelhof cinlaben wollte. Dieß
hatte ihn tief verletzt, sowohl als Edelmann, wie als Dichter
vieler ungedruckter Werke. Nicht minder aufgebracht war er
darüber, daß außer ihm nun noch ein Edelmann im Dorfe
sein sollte, der noch dazu das Fallkind eines seiner ehemaligen
Dienstboten war. Was soll, so meinte er, das Baucrnvolk (
163
für eine Meinung von adeliger Abstammung bekommen, wenn
man die Adclsdiplome so mir Nichts dir Nichts an dergleichen
Wechselbälge verschwendet. Er steckte sich daher hinter die ,
Regierung in Arnstadt und setzte es durch, baß unser Fürst
dem weimarischen Adelsdiplom die Anerkennung in den Schwarz-
burgischen Landen versagte.
„Während nun der Junge sich seinem Adelsdiplom gemäß
Oberon von Wieland nannte, verbot ihm dieß unsere Herr-
schaft und ließ auch den Leuten im Dorfe verbieten ihn so
zu nennen, nur Wielands Oberon sollten sie schlechtweg sagen.
Das veranlaßte mich, bei dem Herzoge von Weimar Beschwerde
zu führen und dieser, um seinem Pathchen die Kränkung zu
ersparen, nahm es nach Weimar, auf die hohe Schule. Der
kleine Oberon wuchs heran, hatte Anlagen und lernte etwas
Tüchtiges; denn schon in seinem 16. Jahre konnte er nach
Jena unter die Studenten gehen. Dazumal, als er einmal
Ferien hatte, kam er zu uns aus Besuch und wir freuten uns
ihn in den schmucken Studentenkleidcrn zu sehen. Aber leider
sollte die Freude nicht von langer Dauer sein. Der jüngste
Sohn unseres Barons, vielleicht von seinem Vater dazu aufge-
stachelt, nahm Aergerniß an dem schmucken Burschen und brach
die Gelegenheit vom Zaune, ihn Wielands Oberon zu nennen.
Der Oberon verbietet sich das, will Herr von Wieland ge-
nannt sein, jener wird in seinen Reden unverschämt und der
Oberon fordert ihn endlich auf Pistolen. Zwei Tage darauf
brachte man ihn todt in's Haus; der junge Baron hatte ihn
im Zweikampfe erschosien. Die Marie weinte nur immer still
vor sich hin, bei dem schweren Unglück, der Schmerz schien
ihr die Sprache genommen zu haben, und als ich sic am an-
dern Morgen wecken wollte, fand ich sie todt im Bette. Sic
ruhen Beide in einem gemeinschaftlichen Grabe, sie und ihr
Sohn, und aus dem Leichensteine, den ich setzen ließ, standen
die Worte:
„Hier ruht in Erwartung eines fröhlichen Auferstehens
„C. M. Oberon von Wieland. Er ging ein zum ewi-
„gen Frieden am 10. Oktober 1796 und ihm folgte
„Marie Auguste Fraß, Seine Mutter am 11. Oktober
„1796."
„Hier endigt sich die Geschichte von dem jungen Oberon.
Von dem alten Oberon, seinem Vater, Gott habe ihn selig,
habe ich nur noch erfahren, daß er von dem Theater abge-
gangen und den Werbern in die Hände gefallen ist. In dem
Kriege gegen die französische Republik soll er unter Kommando
des Herzogs von Braunschweig mit nach Frankreich gegangen und
dort als Braunschweigischer Lieutenant geblieben sein. Geerbt
haben wir von ihm Nichts."
2b
angenehmer, feiner Gesellschafter und als Schöngeist sein ohne-
hin nicht großes Vermögen leichtsinnig verschwendet habe und
gegenwärtig verschollen sei, sich aber, wie man vermuthe, mit
einer Bande reisender Komödianten in der Welt herumlrcibe.
Auf die Aeußerung meiner Schwester hin, daß sie von ihm,
dem Gerichtshalter gehört hatte, er wolle dem gnädigen Herrn
den Oberon mitbringen und auf dessen Befragung durch den
! Haasensuß von Vater, hatte sich sogleich der komische Mißver-
stand herausgestellt, daß das Mädchen wähnte, man spreche von
einem Cavalier, während von einem Buche die Rede gewesen
war. Man hatte darüber in der Familie des Barons herzlich
gelacht und dem jungen Mann den Spitznamen Oberon aus
Heiterkeit über die Unwissenheit der armen Marie crtheilt, diese
aber war dadurch in ihrem unglücklichen Jrrthume nur bestärkt
worden, ein Jrrthum, den der abscheuliche Mensch dazu zu
benutzen verstand, das arme Landmädchen zu bethören. Und
dieß, lieber Herr, ist die ganze Geschichte."
„Nein," unterbrach ich den Schneider, „es ist die ganze
Geschichte noch nicht; noch haben Sie mir den gräßlichen Un-
glücksfall verschwiegen, der Ihrer Schwester das Leben kostete,
noch haben Sie nicht erzählt, wie es kam, daß sie gefressen
und mit dem Oberon zusammen begraben wurde."
„Gefressen!" rief der Schneider, und maß mich mit lan-
j gen Blicken. „Sind Sie des Teufels?"
„Es steht dock aber mit klaren Worten auf dem Leichen-
steine: „Marie Auguste fraß seine Mutter am 11. Oktober
1796."
Der Schneider wollte vor Lachen platzen, als ich dieß
sagte. „Bester Herr'" polterte er lachend heraus, „hätten Sie
mein Thürschild so genau angesehen, wie den Leichenstein meiner
Schwester, so würden Sie nicht so tief in den Jrrthum hinein-
gerathen sein. Ueber meiner Thür steht groß und breit ge-
schrieben: Gottfried Fraß, Schneidermeister, das will besagen,
daß ich Fraß heiße und Schneidermeister bin; nicht aber, als
wollte ich damit renommircn, ich hätte Schneidermeister ge-
fressen. Wenn ich nun Fraß heiße, wie meine Vorfahren alle,
so mußte auch meine Schwester den Namen Marie Auguste
Fraß führen. Das Ende des armen Jungen und seiner Mutter
will ich Ihnen aber auch noch erzählen.
„Die Weimar'schen Herrschaften waren gleich nach been-
digter Taufhandlung wieder abgcreist, ohne dem Baron mehr
als einen flüchtigen Gegengruß zu gönnen, als er bei dem
Austreten aus der Kirche die Herren noch einmal begrüßen
und zum Abendeffen auf den Edelhof cinlaben wollte. Dieß
hatte ihn tief verletzt, sowohl als Edelmann, wie als Dichter
vieler ungedruckter Werke. Nicht minder aufgebracht war er
darüber, daß außer ihm nun noch ein Edelmann im Dorfe
sein sollte, der noch dazu das Fallkind eines seiner ehemaligen
Dienstboten war. Was soll, so meinte er, das Baucrnvolk (
163
für eine Meinung von adeliger Abstammung bekommen, wenn
man die Adclsdiplome so mir Nichts dir Nichts an dergleichen
Wechselbälge verschwendet. Er steckte sich daher hinter die ,
Regierung in Arnstadt und setzte es durch, baß unser Fürst
dem weimarischen Adelsdiplom die Anerkennung in den Schwarz-
burgischen Landen versagte.
„Während nun der Junge sich seinem Adelsdiplom gemäß
Oberon von Wieland nannte, verbot ihm dieß unsere Herr-
schaft und ließ auch den Leuten im Dorfe verbieten ihn so
zu nennen, nur Wielands Oberon sollten sie schlechtweg sagen.
Das veranlaßte mich, bei dem Herzoge von Weimar Beschwerde
zu führen und dieser, um seinem Pathchen die Kränkung zu
ersparen, nahm es nach Weimar, auf die hohe Schule. Der
kleine Oberon wuchs heran, hatte Anlagen und lernte etwas
Tüchtiges; denn schon in seinem 16. Jahre konnte er nach
Jena unter die Studenten gehen. Dazumal, als er einmal
Ferien hatte, kam er zu uns aus Besuch und wir freuten uns
ihn in den schmucken Studentenkleidcrn zu sehen. Aber leider
sollte die Freude nicht von langer Dauer sein. Der jüngste
Sohn unseres Barons, vielleicht von seinem Vater dazu aufge-
stachelt, nahm Aergerniß an dem schmucken Burschen und brach
die Gelegenheit vom Zaune, ihn Wielands Oberon zu nennen.
Der Oberon verbietet sich das, will Herr von Wieland ge-
nannt sein, jener wird in seinen Reden unverschämt und der
Oberon fordert ihn endlich auf Pistolen. Zwei Tage darauf
brachte man ihn todt in's Haus; der junge Baron hatte ihn
im Zweikampfe erschosien. Die Marie weinte nur immer still
vor sich hin, bei dem schweren Unglück, der Schmerz schien
ihr die Sprache genommen zu haben, und als ich sic am an-
dern Morgen wecken wollte, fand ich sie todt im Bette. Sic
ruhen Beide in einem gemeinschaftlichen Grabe, sie und ihr
Sohn, und aus dem Leichensteine, den ich setzen ließ, standen
die Worte:
„Hier ruht in Erwartung eines fröhlichen Auferstehens
„C. M. Oberon von Wieland. Er ging ein zum ewi-
„gen Frieden am 10. Oktober 1796 und ihm folgte
„Marie Auguste Fraß, Seine Mutter am 11. Oktober
„1796."
„Hier endigt sich die Geschichte von dem jungen Oberon.
Von dem alten Oberon, seinem Vater, Gott habe ihn selig,
habe ich nur noch erfahren, daß er von dem Theater abge-
gangen und den Werbern in die Hände gefallen ist. In dem
Kriege gegen die französische Republik soll er unter Kommando
des Herzogs von Braunschweig mit nach Frankreich gegangen und
dort als Braunschweigischer Lieutenant geblieben sein. Geerbt
haben wir von ihm Nichts."
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