Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
154 Rum bidiwum bid iw um, oder die

diesem gesegneten Lande ist's Seine Durchlaucht, der von Gott
verordnete Fürst und Landesherr. Run ist's an ihm, Gottes
Vorbild nachzuahmen und auch den Ruf: „Tritt herzu!" an
die Menschen zu richten und namentlich an mich. So bitte
ich ihn denn an dieser geheiligten Stelle und hoffe, daß auch
die anwesende Christengemeinde sich meinen Bitten anschließen
werde, daß der durchlauchtigste Herzog als der Statthalter der
Gnade und der Macht unscrs Gottes und als hochgebietender
Patron dieser Kirche zu mir spreche, indem er die Thür dieser
Kanzel öffnet: „Tritt herzu! ich habe Dich erwählet! Amen."

Der Herzog, weiß der Himmel wic's kam, da er doch j
sonst ein so aufmerksamer Zuhörer des Wortes Gottes war, !
hatte gleich den Uebrigen gleich zu Anfang die Augen geschlos-
sen. Denn auch er konnte das sonderbare Hanthieren auf der
Kanzel nicht so mit ansehen ohne Schwindel zu bekommen,
also der Herzog hatte die Augen geschloffen und sie während
der ganzen Predigt wieder aufzumachen rein vergessen und war
— selig entschlafen, sci's daß der Frühtrunk, den er vorher
zu sich genommen, ihn cingeschläfert, sci's daß er gedacht hatte,
im Schlafe sündige man nicht. Daher mochte es auch gekom-
men sein, daß er trotz der originellen Predigt nicht ein einziges
Mal seine Kirchengeige hatte mitsprechen lassen. Aber der
Prediger bekam noch in der Sakristei eine gnädige und huld-
volle Einladung zur herzoglichen Mittagstafel, und das war
doch ein sehr gutes Zeichen, das auch nicht verfehlte, die Hoff-
nungssegel des Predigers zu schwellen. Ja noch mehr. Unter
seinem Couvert fand er ein amtliches Schreiben in größtem
Format, das an ihn adreffirt und mit dem großen herzoglichen
Cabinetsfiegcl versehen war. Unscrm kleinen Männchen schlug
das Herz hörbar in der Brust. Das konnte ja nur seine Vo-
cation enthalten. So schnell hatte er sie gar nicht erwartet,
da ja noch zwei Bewerber nach ihm ihre Wahlpredigt zu hal-
ten hatten. Dankbar blickte er auf den Herzog hinüber, der
ihm mit pfiffigem Lächeln gegenüber saß, und wollte sich eben
daran machen, das Schreiben mit vor Freude zitternden Hän-
den zu erbrechen, als ihm der Herzog zurief: „Gemach, lieber
Mann! hier wird gegessen und, getrunken, aber nicht gelesen.
Wenn Er zu Hause ankommt, wird's noch Zeit dazu sein, da
lese Er's seiner Eheliebsten vor." Ach! das war doch eine
; schwere Geduldsprobe für ihn. Indessen die Speisen und die
j Weine, die auf der fürstlichen Tafel standen, waren doch eini-
germaßen geeignet, auch die größte Neugierde auf andere Dinge
für einige Zeit zu beschwichtigen, und so vergingen ihm dann
! diese zwei Stunden der Tafelzeit doch ganz erträglich. Aber
als er sich bei dem Herzog beurlaubt hatte, konnte er doch un-
J möglich warten, sein Glück zu lesen, bis er nach Hause käme,
j Noch auf der Schloßtreppe riß er das Siegel, nachdem er's
i geküßt, auf, fand aber im Innern weiter nichts geschrieben,
als:

,,Jesus Sirach, Cap. II. V. 35.“

Moritz Wilhelm, Herzog zu Sachsen.

Ra! nun war er noch ebenso klug wie vorher. Denn
was Jesus Sirach an dieser gesegneten Stelle gesagt hatte,

; war ihm eben verborgen, er mußte sich nun auch gedulden,

Pfarrbesetzung in Merseburg.

bis er ins Wirthshaus kam. Da aber ließ er sich sofort eine
Bibel geben, schlug zitternd vor Spannung und Erwartung
nach und wußte nun mit einem Male woran er war. Er
that einen Sprung in die Luft, nicht vor Freude, sondern als
ob ihn die Tarantel gestochen; denn der verhängnißvolle Vers
hieß: „Nimmst Du einen Fremden zu Dir ein, so wird er
Dir Unruhe machen." Der geneigte Leser wird wohl eben so
leicht errathen, wie der kleine Archidiakonus, was der durch-
lauchtigste Herzog mittelst dieses Bibelverses hatte zu verstehen
geben wollen.

Run war also der zweite Bewerber an der Reihe, feine
Probcpredigt zu halten. Dieser, im ganzen Lande wegen auf-
fallenden Mangels an gesundem Menschenverstände bekannt,
hatte, wie schon oben gesagt, über den Tert: „Denn ich bin
der Allernärrischste, und Menschenverstand ist nicht bei mir,"
zu predigen, wenige Tage aber vor dem bestimmten Sonntage
noch den einzigen klugen Einfall, den er in seinem ganzen Le-
ben gehabt hatte, den nämlich: sich plötzlich krank zu stellen,
die Probepredigt abzusagen und — von der Wahl zurückzutreten.

So gelangte denn unser Traugott acht Tage früher, als
eigentlich bestimmt war, zu seiner Probcpredigt. Glücklicher
Weise war er längst damit fertig und von dem Segen seiner
alten Mutter und dem seiner Laurette begleitet wunderte er
in seinem neuen, stattlichen Habit gen Merseburg.

Auch an diesem Sonntage war die Schloß- und Dom-
kirche zum Brechen voll. Der Herzog fehlte natürlich auch
nicht und seine Kirchengeige stand ihm zwischen den Beinen.
Auch die Frau Herzogin, eine gar liebliche und tugendsame und
holde Frau, saß ihm andächtig zur Seite. Unsers Traugotts
Stimme war gerade für eine so große und gefüllte Kirche wie
geschaffen. Wie ein rollender Donner um Mitternacht tönte
seine gewaltige Stimme durch die schallenden Gewölbe des Hei-
ligthums. Schon nach dem Eingangsgebet, das ganz im Ge-
schmacke des Herzogs reichlich mit Bibelversen gespickt war, ließ
sich aus der.Hostoge ein kräftiges „Rum" auf der Kirchen-
geige vernehmen, ein Zeichen des Allerhöchsten Wohlgefallens.
Sodann verlas er den vorgeschriebenen Tert: „Unzucht, Wein
und Most machen toll," und predigte nach Anleitung desselben
über die beiden großen Laster der Gegenwart:

1. über die Unkeuschheit und

2. über das Saufen.

Im ersten Theile schilderte er mit kräftigen und beredten
Worten das Elend und die traurigen Folgen, die durch un-
züchtigen Umgang mit dem andern Geschlechte in die Familien
kämen, führte zur Begründung seiner Ansicht von der Sache
viele schlagende Beispiele aus dem alten und neuen Testamente
an und wußte alle die kräftigen Stellen der heiligen Schrift,
wo vor dem Laster der Unzucht gewarnt wird, gar geschickt in
seinen Vortrag zu verweben. Dann zur Nutzanwendung am
Schluffe des ersten Theiles übergehend, sprach er ungefähr
Folgendes: „Und nun laßt einmal hören, was habt Ihr, die
Ihr diesem Laster huldigt, was habt und könnt Ihr wohl zu
Eurer Entschulvigung anführen? Ihr werdet sagen: „Warum
hat Gott die Weiber so reizend, so verführerisch aus Adams
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen