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„Schönes Geläut' das!" — sprach der Danziger und
ließ sich's schmecken. Nicht lange nachher läutet's wieder, und
Bruder Schuster rückt neugierig abermals mit der Frage heraus:
„Meister was bedeut't das Geläut'?? —11
„Daß der Gesell' sich zum Frühstück setzt!" erwidert
Jener. — Das freundliche Zeichen gefiel dem Danziger, der
vergnügt mit der Zunge schnalzend „'s schöne und prächtige
Geläute" lobt.
Mittags beim Glockenklang repetirt die Frage! —Die
Arbeit beiseit' legend, sagte der Meister, „dieß Glockel
ruft: am Tisch nur wacker zugelangt!!" —
Noch zweimal dieselbe Frage, — durch Vertilgung von
Mittags-, Caffee- und Vesperbrot belegt und verstanden, —
stimmte den Danziger so heillos vergnügt, daß er schließlich
beini Abendläuten am Nacht-Essen hochbetheuert: — „es sei
ihm in all' seiner Fremde doch kein herrlicher's Geläut' als
hier vorgekommen, — und Meister! — hier den Handschlag
droff, kein' lOPferdesoll'nmich aus eur'Werkstatt bringen!!!"—
Spät Abends zu guter Letzt tönt nochmals und „zwar
ganz eigen" das liebe Glöckchen herüber. — „Gewiß" — dachte
sich der Schuster, „gibt's damit 'u Nachttrnnk!"—und sein Ant-
litz funkelt beider abermaligen Frage an den noch emsigen Meister:
„Meister! was bedeut't das Geläut'?? —"
„Das bedeutet — daß der G esell heut seine zwei
Paar Schuh' fertig haben muß!! —"
„Alle Wetter!!" sagt der Danziger, verblüfft sein erstes
unvollendetes Paar Schuh anschielend-„9?e Meister vor
zwei Paar Schuh täglich läutet mirs denn doch zu viele!!" —
Schreibebrief von Jtzig Wertheim an seinen
Feind Moses Löwenftein.
> Schluß.)
De ganze Gesellschaft is aach gewesen von die Meinung
daß ä Gedichtche is werklich eene feine Sache, nur den Herrn
: Amschel Meyer un Companie sein Vetter, der Herr Gerson
j Meyer aus Berlin hat gebeten um's Wort un hat gesprecht:
„Meine verehrte Herrschaften," hat er gesagt, „s'is wohl
j richtig, de Konst is ä Vorßug, was unterscheidet das Menscheu-
I geschlecht von das übrige Naturreich. Ich liebe aach de Ge-
; dichtchen, aber se derfen nich sein so lange, wie Herr Schillern
seine Glocke, das nimmt ßuviel Szeit weg un Szeit is
I Geld; also was soll ich mehr nehmen lassen weg mein Geld
von Schillern? Ich bin aach fer de Poesie, aber korz muß
: se sein. Ich habe hier in meine Tasche ä ganz korzes Ge-
! dichtche, wenn Se erlaaben, werd ich Se's lesen vor."
Hat de gan'ze Gesellschaft gesagt: „Ja Wohl, Herr
j Meyer, haben Se de Gitigkeit un lesen vor das Gedichtche." |
Nimmt itzt der Herr Gerson Meyer aus Berlin raus
sein Brieftäschlich un dadraus ä kleines Papierche, setzt sich ;
an das kleine Deklimirtischche mit de beiden silberne Arm- j
leichter un nu liest er laut vor:
„Serie Hundertßwelfe!"
Hat alles- gemacht große Aage».
Dann liest Herr Meyer weiter:
„Nimmro Hundertsechsunßwanßigtausend drei
hundert un sieben!"
Haben se wieder gemacht noch größre Aagen.
Nu liest Herr Meyer:
„Borßeiger dieses erhält ohne Legitimaßion
un af Verlangen sofort die Summe von fünf-
hundert Thulern, sage fünfhundert Thalern
Preußisch Korant. Berlin den ßweiten November
Achtßehnhundert einundfufßig.
Tie Verwaltung der Staatsschulden.
„Nu," sagt Herr Meyer aus Berlin, „was sagen Se
daßn? Is das nich aach ä Gedichtche?"
Da haben de Kinstler vun's Thiater gelüchelt un ge-
rumpfen de Nasen, aber de Leite von de Börsche haben ge-
schrieen: „Brawo! Dicawo! Herr Meyer hat Recht das is
de Poesie, wie se is reell un wie se muß sein.
Dicawo! Noch ä Mal vorlesen!"
Un Herr Gerson Meyer hat gelesen noch ä mal das
Finfhunddertthalersgedichtundann hat er's gelesen ßumd ritten
Male und noch drei Mal, den allemal wie er is gewesen
„Schönes Geläut' das!" — sprach der Danziger und
ließ sich's schmecken. Nicht lange nachher läutet's wieder, und
Bruder Schuster rückt neugierig abermals mit der Frage heraus:
„Meister was bedeut't das Geläut'?? —11
„Daß der Gesell' sich zum Frühstück setzt!" erwidert
Jener. — Das freundliche Zeichen gefiel dem Danziger, der
vergnügt mit der Zunge schnalzend „'s schöne und prächtige
Geläute" lobt.
Mittags beim Glockenklang repetirt die Frage! —Die
Arbeit beiseit' legend, sagte der Meister, „dieß Glockel
ruft: am Tisch nur wacker zugelangt!!" —
Noch zweimal dieselbe Frage, — durch Vertilgung von
Mittags-, Caffee- und Vesperbrot belegt und verstanden, —
stimmte den Danziger so heillos vergnügt, daß er schließlich
beini Abendläuten am Nacht-Essen hochbetheuert: — „es sei
ihm in all' seiner Fremde doch kein herrlicher's Geläut' als
hier vorgekommen, — und Meister! — hier den Handschlag
droff, kein' lOPferdesoll'nmich aus eur'Werkstatt bringen!!!"—
Spät Abends zu guter Letzt tönt nochmals und „zwar
ganz eigen" das liebe Glöckchen herüber. — „Gewiß" — dachte
sich der Schuster, „gibt's damit 'u Nachttrnnk!"—und sein Ant-
litz funkelt beider abermaligen Frage an den noch emsigen Meister:
„Meister! was bedeut't das Geläut'?? —"
„Das bedeutet — daß der G esell heut seine zwei
Paar Schuh' fertig haben muß!! —"
„Alle Wetter!!" sagt der Danziger, verblüfft sein erstes
unvollendetes Paar Schuh anschielend-„9?e Meister vor
zwei Paar Schuh täglich läutet mirs denn doch zu viele!!" —
Schreibebrief von Jtzig Wertheim an seinen
Feind Moses Löwenftein.
> Schluß.)
De ganze Gesellschaft is aach gewesen von die Meinung
daß ä Gedichtche is werklich eene feine Sache, nur den Herrn
: Amschel Meyer un Companie sein Vetter, der Herr Gerson
j Meyer aus Berlin hat gebeten um's Wort un hat gesprecht:
„Meine verehrte Herrschaften," hat er gesagt, „s'is wohl
j richtig, de Konst is ä Vorßug, was unterscheidet das Menscheu-
I geschlecht von das übrige Naturreich. Ich liebe aach de Ge-
; dichtchen, aber se derfen nich sein so lange, wie Herr Schillern
seine Glocke, das nimmt ßuviel Szeit weg un Szeit is
I Geld; also was soll ich mehr nehmen lassen weg mein Geld
von Schillern? Ich bin aach fer de Poesie, aber korz muß
: se sein. Ich habe hier in meine Tasche ä ganz korzes Ge-
! dichtche, wenn Se erlaaben, werd ich Se's lesen vor."
Hat de gan'ze Gesellschaft gesagt: „Ja Wohl, Herr
j Meyer, haben Se de Gitigkeit un lesen vor das Gedichtche." |
Nimmt itzt der Herr Gerson Meyer aus Berlin raus
sein Brieftäschlich un dadraus ä kleines Papierche, setzt sich ;
an das kleine Deklimirtischche mit de beiden silberne Arm- j
leichter un nu liest er laut vor:
„Serie Hundertßwelfe!"
Hat alles- gemacht große Aage».
Dann liest Herr Meyer weiter:
„Nimmro Hundertsechsunßwanßigtausend drei
hundert un sieben!"
Haben se wieder gemacht noch größre Aagen.
Nu liest Herr Meyer:
„Borßeiger dieses erhält ohne Legitimaßion
un af Verlangen sofort die Summe von fünf-
hundert Thulern, sage fünfhundert Thalern
Preußisch Korant. Berlin den ßweiten November
Achtßehnhundert einundfufßig.
Tie Verwaltung der Staatsschulden.
„Nu," sagt Herr Meyer aus Berlin, „was sagen Se
daßn? Is das nich aach ä Gedichtche?"
Da haben de Kinstler vun's Thiater gelüchelt un ge-
rumpfen de Nasen, aber de Leite von de Börsche haben ge-
schrieen: „Brawo! Dicawo! Herr Meyer hat Recht das is
de Poesie, wie se is reell un wie se muß sein.
Dicawo! Noch ä Mal vorlesen!"
Un Herr Gerson Meyer hat gelesen noch ä mal das
Finfhunddertthalersgedichtundann hat er's gelesen ßumd ritten
Male und noch drei Mal, den allemal wie er is gewesen
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Schreibebrief von Itzig Wertheim an seinen Feind Moses Löwenstein"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Kommentar
abweichende Titelschreibweise: "Feind" statt "Freind"
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Befremden <Motiv>
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 25.1856, Nr. 586, S. 78
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg