Die Puppe.
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„Die Puppe!" stöhnte das Mädchen.
„Die — ich hätte bald was gesagt!" schrie der Stadt-
rath mit dem Fuße stampfend, „die liegt ja, wie ich Ihnen
eben gesagt habe, im Kasten."
„Und sic ist leibhaftig an mir vorbeigegangen, oder ich will
hier todt vor Ihnen in die Diele hineinsinken," betheuerte die
Magd.
„Das wird meine Tochter gewesen sein, die in ihre Stube
gegangen ist," sagte der Stadtrath, ärgerlich dabei mit dem
Kopfe schüttelnd.
„In ihre Stube, Gott sei meiner armen Seele gnädig,"
, rief aber das Mädchen, die Hände über dem Kopse zusammcn-
schlagend, „in die Puppenstube ist sie gegangen."
j „In — die — Puppen — stube? — aber die ist ja —"
| „Und wenn sie verschlossen und versiegelt ist," unterbrach
ihn jetzt rasch entschlossen das Mädchen, „und wenn Ketten
und eiserne Stangen davor liegen, was kehrt sich so eine
Puppe daran. Ich habe schon • immer eine Ahnung gehabt,
daß noch einmal so etwas passiren würde, und nun muß mir
armen, unglücklichen Mädchen das geschehen. Den Schrecken
werde ich im ganzen Leben nicht wieder los — und wie furcht-
bar das aussah. Wie ich mich nur rührte, drehte sie schon
den Kopf nach mir um, drohte mir und war im nächsten
Augenblicke in die Thüre der Puppenstube, ohne daß ich das
Geringste weiter gehört hätte, verschwunden."
„In die Thüre der Puppenstube?"
„Zn die Thüre, wo das Blech draußen angenagelt ist,
so wahr ich selig zu werden hoffe."
„Und was weiter?"
„Was weiter?" rief das Mädchen erstaunt. „Nun, wie
ich mich nun so weit von dem Schrecken erholt hatte, meine
Füße wieder gebrauchen zu können, lief ich hierher, und bitte
Sie jetzt, daß Sie sich nach einer anderen Köchin umsehen,
denn in dem Hause hier bleib' ich keine Nacht weiter, und
wenn Sie mich mit Golde bedeckten."
„Unsinn" rief der Stadtrath, mit dem Kopf herüber und
hinüber schaukelnd, „Sie können die Nacht nicht abziehen, und
— mit Ihrem albernen Aberglauben machen Sie mir nachher
die ganze Stadt rebellisch. Wer weiß, was Sie gesehen haben, '
und am Ende ist das auch nur eine Ausrede, meinen Dienst
zu verlassen. Meine Dienstboten haben sich übrigens wahrlich
nicht zu beklagen, und wenn Sie irgend einen Grund suchen,
so nennen Sie wenigstens einen vernünftigeren, über den Sie
und das ganze Haus nicht zum Gespötte werden."
„Herr Stadtrath," sagte das Mädchen ernst und feierlich,
„ich habe Ihnen meine Seligkeit verschworen, und wenn Sie
mir da nicht glauben, dann thu' ich mir leid. In dem Hause
hier bleib' ich aber keine Nacht mehr, soviel sag' ich Ihnen.
Ich gehe zu meiner Schwester in die Ulrikengasse, und wenn
Sie mich mit Gewalt halten wollen, schrei' ich aus meinem
Fenster um Hülfe hinaus auf die Straße."
„Gehen Sie zum Teufel!" rief aber Herr Stadtrath
Mäushuber, jetzt wirklich böse gemacht. „Mit einer solchen
albernen Person ist kein vernünftiges Wort mehr zu reden."
„Alberne Person? ja —" sagte die Köchin, indem sie
ihre Schürze glatt strich und sich nach der Thüre umdrehte.
„Die Wahrheit wollen die Menschen nie hören, und wenn es
Stadträthe sind." — Wie der Blitz war sie aber hinaus,
als sich der ergrimmte Mann des Raths nach ihr umdrehte,
und verließ auch wirklich, ohne das Mindeste von ihren Sachen
mitzunehmen, und in Todesangst der schrecklichen Puppe noch
einmal zu begegnen, selbst um diese späte Stunde das
„Spukhaus."
Das war dem Stadtrath denn doch ein wenig zu arg,
und mit sich kämpfend, was er am Besten jetzt in dieser höchst
fatalen Sache zu thun habe, lief er eine ganze Zeitlang, die
Hände auf dem Rücken, mit raschen unruhigen Schritten in
seinem Zimmer auf und ab. Im Anfang wollte er zu seiner
Tochter hinübergehen, die sich jedenfalls schon in ihr Zimmer
zurückgezogen hatte — aber was sollte er da? Ihr den un-
sinnigen Klatsch des verrückten Mädchens erzählen? Ueberhaupt,
war cs nicht vor allen Dingen seine Pflicht als Stadtrath und
Hausherr, selber erst einmal zu untersuchen, was an dem
Gerücht vielleicht sei? Konnten nicht etwa Diebe in das Zimmer
eingebrochen sein, oder hatte sich vielleicht irgend ein muth-
williger Mensch den Spaß gemacht — das war es. Ein
Stein siel ihm ordentlich vom Herzen, als er auf den Gedanken
kam, und rasch entschlossen ergriff er das Licht vom Tische, nahm
seinen, im Knopf mit Blei gefüllten Stock aus der Ecke und
verließ das Zimmer, wenigstens die Thür zu untersuchen, ob
sie noch verschlossen und das Siegel unverletzt sei.
" Wie still das draußen auf dem Gange war. Unten auf
der Straße hörte er ein paar Leute vorüber gehen und mit
einander lachen und sprechen. So deutlich klang das herauf,
daß es unheimlich von den Wänden wiedertönte, und die Schritte
gerade so schallten, als ob Jemand auf dem Gange selber und
vor ihm her ginge.
„Es ist doch erstaunlich," murmelte Herr Mäushuber vor
sich hin, „was man sich nach solchem albernen Geschwätz für
Dinge in den Kops setzen kann — man möchte — ha ha ha
— man möchte ordentlich an Ansteckung glauben."
Er lachte halblaut vor sich hin, sah sich aber auch gleich
darauf rasch und erschreckt um, denn cs war gerade so, als ob
Jemand Anderes hinter ihm gelacht hätte.
„Daß ich das alberne Geschöpf nicht gleich' gezwungen
habe, mit mir zu gehen,", dachte er jetzt ärgerlich, seinen Stock
dabei fester fassend. „Sie hätte sich an Ort und Stelle über-
zeugen müssen, daß es reiner blanker Unsinn ist, und ich bin
eigentlich selber ein Thor, daß ich nur einen Schritt nach
solchem Wahnsinn gehe."
Er blieb wirklich stehen, und hatte einen Augenblick schon
gar nicht übel Lust, umzudrehen und in sein Zimmer zurück-
! zugehen, aber — er schämte sich doch vor sich selber, denn er
! fühlte recht gut, daß ihm ein eigenes unbestimmtes Grauen den
! Rücken hinunter und bis in die äußersten Fingerspitzen und
■ Fußzehen lief.
Dummheiten!" nahm er deßhalb mit einem neuen Ansatz
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„Die Puppe!" stöhnte das Mädchen.
„Die — ich hätte bald was gesagt!" schrie der Stadt-
rath mit dem Fuße stampfend, „die liegt ja, wie ich Ihnen
eben gesagt habe, im Kasten."
„Und sic ist leibhaftig an mir vorbeigegangen, oder ich will
hier todt vor Ihnen in die Diele hineinsinken," betheuerte die
Magd.
„Das wird meine Tochter gewesen sein, die in ihre Stube
gegangen ist," sagte der Stadtrath, ärgerlich dabei mit dem
Kopfe schüttelnd.
„In ihre Stube, Gott sei meiner armen Seele gnädig,"
, rief aber das Mädchen, die Hände über dem Kopse zusammcn-
schlagend, „in die Puppenstube ist sie gegangen."
j „In — die — Puppen — stube? — aber die ist ja —"
| „Und wenn sie verschlossen und versiegelt ist," unterbrach
ihn jetzt rasch entschlossen das Mädchen, „und wenn Ketten
und eiserne Stangen davor liegen, was kehrt sich so eine
Puppe daran. Ich habe schon • immer eine Ahnung gehabt,
daß noch einmal so etwas passiren würde, und nun muß mir
armen, unglücklichen Mädchen das geschehen. Den Schrecken
werde ich im ganzen Leben nicht wieder los — und wie furcht-
bar das aussah. Wie ich mich nur rührte, drehte sie schon
den Kopf nach mir um, drohte mir und war im nächsten
Augenblicke in die Thüre der Puppenstube, ohne daß ich das
Geringste weiter gehört hätte, verschwunden."
„In die Thüre der Puppenstube?"
„Zn die Thüre, wo das Blech draußen angenagelt ist,
so wahr ich selig zu werden hoffe."
„Und was weiter?"
„Was weiter?" rief das Mädchen erstaunt. „Nun, wie
ich mich nun so weit von dem Schrecken erholt hatte, meine
Füße wieder gebrauchen zu können, lief ich hierher, und bitte
Sie jetzt, daß Sie sich nach einer anderen Köchin umsehen,
denn in dem Hause hier bleib' ich keine Nacht weiter, und
wenn Sie mich mit Golde bedeckten."
„Unsinn" rief der Stadtrath, mit dem Kopf herüber und
hinüber schaukelnd, „Sie können die Nacht nicht abziehen, und
— mit Ihrem albernen Aberglauben machen Sie mir nachher
die ganze Stadt rebellisch. Wer weiß, was Sie gesehen haben, '
und am Ende ist das auch nur eine Ausrede, meinen Dienst
zu verlassen. Meine Dienstboten haben sich übrigens wahrlich
nicht zu beklagen, und wenn Sie irgend einen Grund suchen,
so nennen Sie wenigstens einen vernünftigeren, über den Sie
und das ganze Haus nicht zum Gespötte werden."
„Herr Stadtrath," sagte das Mädchen ernst und feierlich,
„ich habe Ihnen meine Seligkeit verschworen, und wenn Sie
mir da nicht glauben, dann thu' ich mir leid. In dem Hause
hier bleib' ich aber keine Nacht mehr, soviel sag' ich Ihnen.
Ich gehe zu meiner Schwester in die Ulrikengasse, und wenn
Sie mich mit Gewalt halten wollen, schrei' ich aus meinem
Fenster um Hülfe hinaus auf die Straße."
„Gehen Sie zum Teufel!" rief aber Herr Stadtrath
Mäushuber, jetzt wirklich böse gemacht. „Mit einer solchen
albernen Person ist kein vernünftiges Wort mehr zu reden."
„Alberne Person? ja —" sagte die Köchin, indem sie
ihre Schürze glatt strich und sich nach der Thüre umdrehte.
„Die Wahrheit wollen die Menschen nie hören, und wenn es
Stadträthe sind." — Wie der Blitz war sie aber hinaus,
als sich der ergrimmte Mann des Raths nach ihr umdrehte,
und verließ auch wirklich, ohne das Mindeste von ihren Sachen
mitzunehmen, und in Todesangst der schrecklichen Puppe noch
einmal zu begegnen, selbst um diese späte Stunde das
„Spukhaus."
Das war dem Stadtrath denn doch ein wenig zu arg,
und mit sich kämpfend, was er am Besten jetzt in dieser höchst
fatalen Sache zu thun habe, lief er eine ganze Zeitlang, die
Hände auf dem Rücken, mit raschen unruhigen Schritten in
seinem Zimmer auf und ab. Im Anfang wollte er zu seiner
Tochter hinübergehen, die sich jedenfalls schon in ihr Zimmer
zurückgezogen hatte — aber was sollte er da? Ihr den un-
sinnigen Klatsch des verrückten Mädchens erzählen? Ueberhaupt,
war cs nicht vor allen Dingen seine Pflicht als Stadtrath und
Hausherr, selber erst einmal zu untersuchen, was an dem
Gerücht vielleicht sei? Konnten nicht etwa Diebe in das Zimmer
eingebrochen sein, oder hatte sich vielleicht irgend ein muth-
williger Mensch den Spaß gemacht — das war es. Ein
Stein siel ihm ordentlich vom Herzen, als er auf den Gedanken
kam, und rasch entschlossen ergriff er das Licht vom Tische, nahm
seinen, im Knopf mit Blei gefüllten Stock aus der Ecke und
verließ das Zimmer, wenigstens die Thür zu untersuchen, ob
sie noch verschlossen und das Siegel unverletzt sei.
" Wie still das draußen auf dem Gange war. Unten auf
der Straße hörte er ein paar Leute vorüber gehen und mit
einander lachen und sprechen. So deutlich klang das herauf,
daß es unheimlich von den Wänden wiedertönte, und die Schritte
gerade so schallten, als ob Jemand auf dem Gange selber und
vor ihm her ginge.
„Es ist doch erstaunlich," murmelte Herr Mäushuber vor
sich hin, „was man sich nach solchem albernen Geschwätz für
Dinge in den Kops setzen kann — man möchte — ha ha ha
— man möchte ordentlich an Ansteckung glauben."
Er lachte halblaut vor sich hin, sah sich aber auch gleich
darauf rasch und erschreckt um, denn cs war gerade so, als ob
Jemand Anderes hinter ihm gelacht hätte.
„Daß ich das alberne Geschöpf nicht gleich' gezwungen
habe, mit mir zu gehen,", dachte er jetzt ärgerlich, seinen Stock
dabei fester fassend. „Sie hätte sich an Ort und Stelle über-
zeugen müssen, daß es reiner blanker Unsinn ist, und ich bin
eigentlich selber ein Thor, daß ich nur einen Schritt nach
solchem Wahnsinn gehe."
Er blieb wirklich stehen, und hatte einen Augenblick schon
gar nicht übel Lust, umzudrehen und in sein Zimmer zurück-
! zugehen, aber — er schämte sich doch vor sich selber, denn er
! fühlte recht gut, daß ihm ein eigenes unbestimmtes Grauen den
! Rücken hinunter und bis in die äußersten Fingerspitzen und
■ Fußzehen lief.
Dummheiten!" nahm er deßhalb mit einem neuen Ansatz
18*