Ein pro b ates Mittel.
„Ei freilich," sagte der Herre, „da brauchen Se nur den
Frack eene Stunde vor's Fenster in de seichte Luft zu hängen,
da geht nämlich jede Falte gleich raus."
„Niemand war so vergnigt wie ich, daß ich nu uff cen-
mal so ä gutes Mittel erfahren hatte, un ich bedankte mich
recht sehre bei dem guten Herrn. Ich freite mich ooch ordent-
lich druff, daß ich's gleich noch heile Abend probiren wollte,
wenn mcr nach Berlin kommen thaten. Wie mer ankamen,
un hatten de Eisenbahnhofkonschtawelers glicklich iberstanden
und hinter uns, da besorgte mir mei' freindlicher Reisenachbar
ooch noch ä rechtes hibsches Loschemankchen in ä Hotel unter
de Linden, ö war fein un nobel un theicr, aber das schad't
nischt nich, denn Gott sei Dank Geld is ja genug da."
Wie ich nu da meinen Koffer auspacken thue, is richtig
mei' Frack wieder iber un ibcr voll Falten. Halt, dacht' ich,
nu kannst De ja das neie Mittel gleich ä mal probiren, denn
de Luft is draußen gerade recht seichte heite Abend in Berlin.
Ich thue also meinen zerknitterten schwarzen Frack 'naus vor's
Fenster hängen un nu geh' ich 'uiber in' Spcisesaal, denn ich
war ordentlich hungrig geworden nnterwegens. Wie ich viel-
leicht so etwa ä kleencs Schtindcheu gesessen un mich gercstorirt
hatte, ging ich wieder in mein Zimmer un 's Ertschtc was ich
that, das war, daß ich an's Fenster zu meinem Frack gehen
that. Aber nu denken Se sich meine Iberraschung un mein
Erschtaunen, wie ich nauSgucke." —
Hier machte Spitzkopf eine Pause, um die Aufmerksam-
keit und Neugierde seiner maulaufsperrenden Zuhörer auf die
Spitze zu treiben. Nach einigen Minuten lautloser Erwartung
wagte endlich einer der Gäste die Bemerkung: „Na, wahr-
scheinlich waren de Falten richtig weg, denn das Mittel wecß
ich ooch schon von meiner Großmutter sceligcr."
„Ja, ja," rief Spitzkopf mit geheimnißvoller Miene,
„ja, Haren Se, de Falten und Knitsche waren alle rcene ver-
schwunden, aber — der Frack ooch mit."
Ein Beitrag zur Geschichte der Frauen- 91
thürme in München.
Nach einer alten erst kürzlich aufgefundencu Chronika des fünfzehnten
Jahrhunderts. Jedermann zur Aufklärung und Belehrung ausgear-
beitct und mitgethcilt von Nepomuk Pommeranz.
In seiner Arbeitsstube, hinter einem Tische voll Karten
und Pergamente, saß, den Zirkel in der Hand, sinnend und
forschend Meister Jörg Gankoffen; den Kopf angcfüllt mit
Gedanken und Plänen, die in wirrem Durcheinander sein
schöpferisches Gehirn durchkreuzten und voll Aergcr und Ver-
druß über die gegenwärtig seinen großartigen Ideen wider-
strebenden Verhältnisse, fand er Tag und Nacht keine Ruhe
mehr. Den herrlichen Bau der Frauenkirche hatte er geführt
und rasch war der Tempel nach seinem Plane gediehen, reich-
liche Mittel waren stets geflossen, genügende Kräfte standen
ihm stets zur Seite und ungehindert war der Ban fortge-
schritten. Jetzt stand das herrliche Gotteshaus fast vollendet
da, schon ragten die zwei Thürme stolz und kühn in die Lnft
und verkündeten, weit in das Land hineinschauend, den Ruhm
ihres Meisters und Erbauers, als plötzlich unvorhergesehene
Umstände den Bau in's Stocken brachten und den Meister |
Gankoffeu zwangen, ihn sobald wie möglich abzuschließcn und
zu beenden. Gern hätte er die Thürme mit in den Himmel j
reichenden Spitzen versehen, allein die eiserne Nothwendigkeit
befahl ihm, von seinen Plänen abzustehen und auf eine we-
niger kostspielige Art der Vollendung der Thürme zu sinnen.
So hatte er denn lange Zeit schon nachgcdacht, wie er
die Kirchthürme würdig abschließen könnte, Hunderte von Plä-
nen waren ihm durch den Kopf gegangen, ohne daß er auch
nur einen dem übrigen herrlichen Gotteshause für ebenbürtig
und angemessen hätte erachten können, mißmuthig und traurig
verflossen so seine Tage, doch mißmuthiger und trostloser wie
heute, hatte man ihn noch nie gesehen. Das kam daher: In
der Nacht hatte er einen gar sonderbaren Traum gehabt; er
hatte seinen Dom vollendet vor sieh gesehen, die Thürme so
harmonisch mit der übrigen Construktion des Tempels über-
einstimmend aufgeführt, daß sie die schönen Verhältnisse dcö
Schiffes nur vortheilhafter hcrvorhoben; — jedoch am andern
Morgen war auch jede Spur des Traumes aus seinem Ge- j
dächtnisse verschwunden, nur ein dunkles unsicheres Bild
schwebte ihm vor, ohne daß er es festzuhallen vermochte. Den
ganzen Tag hatte er nachgcdacht, und sich vergeblich bemüht,
den Traum wieder in sein Gedächtniß zurückzurufen. So wa-
ren ihm denn in seinem Unmuthe die vier Wände zu eng
geworden und er war hinausgestürmt in die freie Natur und
so ohne es zu wissen, auf den Gastcig gekommen.
Schon hatte der kalte Tag einer frostigen Dämmerung
weichen müssen, die mit ihrem unheimlichen Nebelschleier die
Stadt München umhüllte, während ein scharfer schneidender
Wind an dem öden vcrlaffencn Ufer der Isar sein unwirsches
Wesen trieb. Selbst der Strom schien über den unfreundlichen
Abenp ungehalten und rauschte polternd und murrend dahin.
Trotz des schlechten Wetters und der unheimlichen Kälte
spazirte unser Meister, unbekümmert um Wind und Wetter,
am hohen Uferrande des Gastcigs hin und her.
12*
„Ei freilich," sagte der Herre, „da brauchen Se nur den
Frack eene Stunde vor's Fenster in de seichte Luft zu hängen,
da geht nämlich jede Falte gleich raus."
„Niemand war so vergnigt wie ich, daß ich nu uff cen-
mal so ä gutes Mittel erfahren hatte, un ich bedankte mich
recht sehre bei dem guten Herrn. Ich freite mich ooch ordent-
lich druff, daß ich's gleich noch heile Abend probiren wollte,
wenn mcr nach Berlin kommen thaten. Wie mer ankamen,
un hatten de Eisenbahnhofkonschtawelers glicklich iberstanden
und hinter uns, da besorgte mir mei' freindlicher Reisenachbar
ooch noch ä rechtes hibsches Loschemankchen in ä Hotel unter
de Linden, ö war fein un nobel un theicr, aber das schad't
nischt nich, denn Gott sei Dank Geld is ja genug da."
Wie ich nu da meinen Koffer auspacken thue, is richtig
mei' Frack wieder iber un ibcr voll Falten. Halt, dacht' ich,
nu kannst De ja das neie Mittel gleich ä mal probiren, denn
de Luft is draußen gerade recht seichte heite Abend in Berlin.
Ich thue also meinen zerknitterten schwarzen Frack 'naus vor's
Fenster hängen un nu geh' ich 'uiber in' Spcisesaal, denn ich
war ordentlich hungrig geworden nnterwegens. Wie ich viel-
leicht so etwa ä kleencs Schtindcheu gesessen un mich gercstorirt
hatte, ging ich wieder in mein Zimmer un 's Ertschtc was ich
that, das war, daß ich an's Fenster zu meinem Frack gehen
that. Aber nu denken Se sich meine Iberraschung un mein
Erschtaunen, wie ich nauSgucke." —
Hier machte Spitzkopf eine Pause, um die Aufmerksam-
keit und Neugierde seiner maulaufsperrenden Zuhörer auf die
Spitze zu treiben. Nach einigen Minuten lautloser Erwartung
wagte endlich einer der Gäste die Bemerkung: „Na, wahr-
scheinlich waren de Falten richtig weg, denn das Mittel wecß
ich ooch schon von meiner Großmutter sceligcr."
„Ja, ja," rief Spitzkopf mit geheimnißvoller Miene,
„ja, Haren Se, de Falten und Knitsche waren alle rcene ver-
schwunden, aber — der Frack ooch mit."
Ein Beitrag zur Geschichte der Frauen- 91
thürme in München.
Nach einer alten erst kürzlich aufgefundencu Chronika des fünfzehnten
Jahrhunderts. Jedermann zur Aufklärung und Belehrung ausgear-
beitct und mitgethcilt von Nepomuk Pommeranz.
In seiner Arbeitsstube, hinter einem Tische voll Karten
und Pergamente, saß, den Zirkel in der Hand, sinnend und
forschend Meister Jörg Gankoffen; den Kopf angcfüllt mit
Gedanken und Plänen, die in wirrem Durcheinander sein
schöpferisches Gehirn durchkreuzten und voll Aergcr und Ver-
druß über die gegenwärtig seinen großartigen Ideen wider-
strebenden Verhältnisse, fand er Tag und Nacht keine Ruhe
mehr. Den herrlichen Bau der Frauenkirche hatte er geführt
und rasch war der Tempel nach seinem Plane gediehen, reich-
liche Mittel waren stets geflossen, genügende Kräfte standen
ihm stets zur Seite und ungehindert war der Ban fortge-
schritten. Jetzt stand das herrliche Gotteshaus fast vollendet
da, schon ragten die zwei Thürme stolz und kühn in die Lnft
und verkündeten, weit in das Land hineinschauend, den Ruhm
ihres Meisters und Erbauers, als plötzlich unvorhergesehene
Umstände den Bau in's Stocken brachten und den Meister |
Gankoffeu zwangen, ihn sobald wie möglich abzuschließcn und
zu beenden. Gern hätte er die Thürme mit in den Himmel j
reichenden Spitzen versehen, allein die eiserne Nothwendigkeit
befahl ihm, von seinen Plänen abzustehen und auf eine we-
niger kostspielige Art der Vollendung der Thürme zu sinnen.
So hatte er denn lange Zeit schon nachgcdacht, wie er
die Kirchthürme würdig abschließen könnte, Hunderte von Plä-
nen waren ihm durch den Kopf gegangen, ohne daß er auch
nur einen dem übrigen herrlichen Gotteshause für ebenbürtig
und angemessen hätte erachten können, mißmuthig und traurig
verflossen so seine Tage, doch mißmuthiger und trostloser wie
heute, hatte man ihn noch nie gesehen. Das kam daher: In
der Nacht hatte er einen gar sonderbaren Traum gehabt; er
hatte seinen Dom vollendet vor sieh gesehen, die Thürme so
harmonisch mit der übrigen Construktion des Tempels über-
einstimmend aufgeführt, daß sie die schönen Verhältnisse dcö
Schiffes nur vortheilhafter hcrvorhoben; — jedoch am andern
Morgen war auch jede Spur des Traumes aus seinem Ge- j
dächtnisse verschwunden, nur ein dunkles unsicheres Bild
schwebte ihm vor, ohne daß er es festzuhallen vermochte. Den
ganzen Tag hatte er nachgcdacht, und sich vergeblich bemüht,
den Traum wieder in sein Gedächtniß zurückzurufen. So wa-
ren ihm denn in seinem Unmuthe die vier Wände zu eng
geworden und er war hinausgestürmt in die freie Natur und
so ohne es zu wissen, auf den Gastcig gekommen.
Schon hatte der kalte Tag einer frostigen Dämmerung
weichen müssen, die mit ihrem unheimlichen Nebelschleier die
Stadt München umhüllte, während ein scharfer schneidender
Wind an dem öden vcrlaffencn Ufer der Isar sein unwirsches
Wesen trieb. Selbst der Strom schien über den unfreundlichen
Abenp ungehalten und rauschte polternd und murrend dahin.
Trotz des schlechten Wetters und der unheimlichen Kälte
spazirte unser Meister, unbekümmert um Wind und Wetter,
am hohen Uferrande des Gastcigs hin und her.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein probates Mittel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 30.1859, Nr. 716, S. 91
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg