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Eine namenlose Novelle.
Dieser nahm mich mit großem Ernst auf die Seite und sagte:
„Monsieur, Sie können tanzen excellcnt und sein eine junge
Mann von Bescheidenheit und Caractore. Sie können ersetzen
meiner Stelle beim Herrn Banqnier xarkaitoment, ick aben
nicht nöthig dieser Lepon!" Dabei drückte er mir freundschaft-
lich die Hand und lud mich ein, ihn öfter zu besuchen. An-
fangs sträubte ich mich, das edle Anerbieten des Herrn Duval
anznnehmen, ließ mich aber endlich von dem freundlichen Ballet- ,
meister überreden, der mir vorhielt, daß ja durch diese un-
schuldige Mystification Niemanden ein Schaden erwachse. Dan-
kend empfahl ich mich und ging in einer sehr behaglichen
Stimmung nach Hause. Einerseits hatte meine schwebende
Existenz festen Grund und Boden gefunden, andererseits um- s
schwebte mich das Bild der reizenden Camilla, deren inniges
Auge ich fortan wieder sehen, deren Glockenftimmchen ich fort-
an wieder hören durfte. Ich setzte also meine Lektionen im
Hause des Banqnier Zorn fort. MeineKenntniß der französischen
und englischen Sprache verschaffte mir bei der Frau des Hauses
viel Ansehen, wie denn auch meine Kenntnisse in anderen
Fächern, die sich gelegenheitlich zeigten, das Erstaunen derselben
, über meine vielseitige Bildung erregten. Dieses Erstaunen
erreichte seinen Höhepunkt, als ich eines Tages meinem Tanz-
eleven Emmerich eine griechische Constrnction erklärte, über die
i sein Hofmeister nicht in's Reine kommen konnte. Ein Tanz-
meister, der eine griechische Constrnction erklärt, ist nun nichts
Alltägliches, und so kam es, daß man mich als eine Art
; Wunderthier ansah. Kam ich mir doch selbst sonderbar genug
| vor, der ich mich in den Tanzunterricht so hincingclebt hatte
und denselben mit einem Eifer und einer Hingebung ertheilte,
. als ob ich mich von Kindesbeinen an dem ausschließlichen
Dienste Tcrpsichorens gewidmet hätte. Freilich hatte Gott Amor
seine Hand mit im Spiele, die mit unfehlbaren Pfeilen mein
armes Herz verwundet hatte. Von Tag zu Tage fühlte ich
meine thörichte Leidenschaft zunehmen. Die reizende Camilla
! hatte all' mein Denken aus dein gewöhnlichen Gleise gebracht.
So oft sie mit ihrem Glockenftimmchen: „Ach lieber Herr
Falke!" rief, fühlte ich mich einen ganz andern Falke, und
wenn sie ihren lilienweißen Arm auf den meinen legte und
mir so lieblich in's Auge sah, hätte ich der moroseste Pedant
sein müssen, um diese reizende Jungfrau nicht zu lieben. Und
es geschah eines Tages, daß int Familienrathe der Beschluß
gefaßt wurde, einen Kinderball zu geben. Eine dunkle Ahn-
ung kommender Ereignisse bemächtigte sich meiner, und doch
waren meine Befürchtungen durch nichts gerechtfertigt; denn
meine Eleven konnten sich mit ihrer Tanzkunst, mit ihrer
schönen Haltung, mit ihrem feinen Anstande vor den rigo-
rosesten Preisrichtern sehen lassen. Die „verhängnißvolle
Faschingsnacht" kam heran. Mit einer Schilderung des Arrange-
ments und einer breiten Characteristik aller geladenen Persön-
lichkeiten der kleinen und großen Welt will ich Sic verschonen;
aber einer Person muß ich erwähnen, die in den hcllcrlcuch-
tetcn Salon eintrat, als schon alle Gäste versammelt waren.
Die Hofräthin v. Kleh liebte'cs eben, ein gewisses Aufsehen
hervorzubringen. Mir war die Frau Hofräthin bis jetzt un- |
bekannt gewesen; aber ein gewisses Etwas, von dem ich mir
noch heute keine Rechenschaft geben kann, machte bei ihrem
Eintritte mein Herz pochen. Schon tönten die Anfangsakkorde
einer Quadrille und ich arrangirte die kleine Tanzgesellschaft.
Erste Tour, Pantalvns! — Camilla war mein vis-a-vis und
blickte mich mit einem frohsinnigen Lächeln an. Aber dieß-
mal erwiderte ich dieses Lächeln nicht; denn mich beherrschte
der Gedanke, daß mich die Hofräthin fixire, ich fühlte ihre auf
mir haftenden Blicke ordentlich durch meine weiße Weste durch-
brennen, und meine ganze Aufmerksamkeit spannte sich nach
jener Seite hin, Ivo die Hofräthin an der Seite ihrer Freundin
der Banquiersgattin saß. „Wie bist du mit dem Tanzmcister
zufrieden, den ich dir anempfohlen habe?" fragte die Hofräihin.
Ich hörte diese Frage ganz deutlich, und alle meine Fibern
pulsten nach dem Sopha hin, auf dem die beiden Frauen
saßen. Die Erwiderung der Banquiersgattin konnte mit einem
Wörtchen mehr — mich verderben, mit einem Wörtchen weniger
— mich meiner unendlichen Angst entledigen. „Das ist der
Lohn der bösen Thal," recitirte ich zwischen den Zähnen,
„daß sie fortzeugend Böses muß gebären!" Nun hörte ich
deutlich die Erwiderung - ich athmetc wieder aus. Die
Banquiersgattin hatte sich geäußert: „Mit deinem Tanzmeister,
liebe Hofräthin, bin ich sehr zufrieden. Er ist nicht blos ein
ausgezeichneter Tanzmeister, sondern auch ein kenntnißreicher
Mann. Er spricht französisch" — „Nun, das ist ja seine
Muttersprache," bemerkte hierauf die Hofräthin, „dafür spricht
er gebrochen deutsch." „So?" meinte die Banquiersgattin,
„das habe ich nicht bemerkt, liebe Hofräthin, „du irrst dich
ganz entschieden, er spricht im Gcgcntheile sehr gut deutsch!"
Ich schwitzte auf eine verhängnißvolle Weise. Die Hofräthin
sprach mit imponirender Gewißheit: „Im Gcgentheil irrst du
dich ganz entschieden — Hdrr Duval hat nie gut deutsch ge-
sprochen ; doch warum hast du ihn nicht zur heutigen Soiräe
eingeladen, er hätte alles so hübsch arrangirt!" „Liebe Hof-
räthin, das ist doch recht sonderbar, auch du nennst ihn Duval,
er heißt ja Falke, da siehst du ihn, meiner Camilla vis-a-vis!"
Tie verhängnißvolle Wendung, welche die Causerie der beiden
Damen in diesem Momente genommen hatte, konnte, wie Sie
wohl einsehen werden, nicine geringe Befriedigung über das
von der Frau Hofräthin angeknüpfte Conversationsthema nicht
vergrößern. „Du, das ist eine seltsame Geschichte," replizirte
die Frau Hofräthin, „wie bist du denn um's Himmels willen
zu diesem Herrn Falke gekommen?" Die Hausfrau erzählte j
nun getreulich die Art und Weise meiner Repräsentation und,
jetzt gesellte sich der Banqnier zu den beiden Damen, wie ich
nicht blos in neueren, sondern auch in alten Sprachen Kennt-
nisse besitze, wie ich neulich ihrem Emmerich eine griechische
Constrnction erklärt hätte, wie ich auch, setzte der Banqnier
hinzu, in der politischen Geschichte bewandert sei, und wie dieß
Alles, so schloß die Hofräthin, eine sehr seltsame Geschichte
sei, die um's Himmels willen nicht früh genug aufgeklärt
werden könne. Die Quadrille hatte mittlerweile mit dem ob-
ligaten solmssä oroisä ihr Ende erreicht, die kleinen Tänzer
und Tänzerinnen hatten ihre Sachen sehr gut gemacht. Nun
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Eine namenlose Novelle.
Dieser nahm mich mit großem Ernst auf die Seite und sagte:
„Monsieur, Sie können tanzen excellcnt und sein eine junge
Mann von Bescheidenheit und Caractore. Sie können ersetzen
meiner Stelle beim Herrn Banqnier xarkaitoment, ick aben
nicht nöthig dieser Lepon!" Dabei drückte er mir freundschaft-
lich die Hand und lud mich ein, ihn öfter zu besuchen. An-
fangs sträubte ich mich, das edle Anerbieten des Herrn Duval
anznnehmen, ließ mich aber endlich von dem freundlichen Ballet- ,
meister überreden, der mir vorhielt, daß ja durch diese un-
schuldige Mystification Niemanden ein Schaden erwachse. Dan-
kend empfahl ich mich und ging in einer sehr behaglichen
Stimmung nach Hause. Einerseits hatte meine schwebende
Existenz festen Grund und Boden gefunden, andererseits um- s
schwebte mich das Bild der reizenden Camilla, deren inniges
Auge ich fortan wieder sehen, deren Glockenftimmchen ich fort-
an wieder hören durfte. Ich setzte also meine Lektionen im
Hause des Banqnier Zorn fort. MeineKenntniß der französischen
und englischen Sprache verschaffte mir bei der Frau des Hauses
viel Ansehen, wie denn auch meine Kenntnisse in anderen
Fächern, die sich gelegenheitlich zeigten, das Erstaunen derselben
, über meine vielseitige Bildung erregten. Dieses Erstaunen
erreichte seinen Höhepunkt, als ich eines Tages meinem Tanz-
eleven Emmerich eine griechische Constrnction erklärte, über die
i sein Hofmeister nicht in's Reine kommen konnte. Ein Tanz-
meister, der eine griechische Constrnction erklärt, ist nun nichts
Alltägliches, und so kam es, daß man mich als eine Art
; Wunderthier ansah. Kam ich mir doch selbst sonderbar genug
| vor, der ich mich in den Tanzunterricht so hincingclebt hatte
und denselben mit einem Eifer und einer Hingebung ertheilte,
. als ob ich mich von Kindesbeinen an dem ausschließlichen
Dienste Tcrpsichorens gewidmet hätte. Freilich hatte Gott Amor
seine Hand mit im Spiele, die mit unfehlbaren Pfeilen mein
armes Herz verwundet hatte. Von Tag zu Tage fühlte ich
meine thörichte Leidenschaft zunehmen. Die reizende Camilla
! hatte all' mein Denken aus dein gewöhnlichen Gleise gebracht.
So oft sie mit ihrem Glockenftimmchen: „Ach lieber Herr
Falke!" rief, fühlte ich mich einen ganz andern Falke, und
wenn sie ihren lilienweißen Arm auf den meinen legte und
mir so lieblich in's Auge sah, hätte ich der moroseste Pedant
sein müssen, um diese reizende Jungfrau nicht zu lieben. Und
es geschah eines Tages, daß int Familienrathe der Beschluß
gefaßt wurde, einen Kinderball zu geben. Eine dunkle Ahn-
ung kommender Ereignisse bemächtigte sich meiner, und doch
waren meine Befürchtungen durch nichts gerechtfertigt; denn
meine Eleven konnten sich mit ihrer Tanzkunst, mit ihrer
schönen Haltung, mit ihrem feinen Anstande vor den rigo-
rosesten Preisrichtern sehen lassen. Die „verhängnißvolle
Faschingsnacht" kam heran. Mit einer Schilderung des Arrange-
ments und einer breiten Characteristik aller geladenen Persön-
lichkeiten der kleinen und großen Welt will ich Sic verschonen;
aber einer Person muß ich erwähnen, die in den hcllcrlcuch-
tetcn Salon eintrat, als schon alle Gäste versammelt waren.
Die Hofräthin v. Kleh liebte'cs eben, ein gewisses Aufsehen
hervorzubringen. Mir war die Frau Hofräthin bis jetzt un- |
bekannt gewesen; aber ein gewisses Etwas, von dem ich mir
noch heute keine Rechenschaft geben kann, machte bei ihrem
Eintritte mein Herz pochen. Schon tönten die Anfangsakkorde
einer Quadrille und ich arrangirte die kleine Tanzgesellschaft.
Erste Tour, Pantalvns! — Camilla war mein vis-a-vis und
blickte mich mit einem frohsinnigen Lächeln an. Aber dieß-
mal erwiderte ich dieses Lächeln nicht; denn mich beherrschte
der Gedanke, daß mich die Hofräthin fixire, ich fühlte ihre auf
mir haftenden Blicke ordentlich durch meine weiße Weste durch-
brennen, und meine ganze Aufmerksamkeit spannte sich nach
jener Seite hin, Ivo die Hofräthin an der Seite ihrer Freundin
der Banquiersgattin saß. „Wie bist du mit dem Tanzmcister
zufrieden, den ich dir anempfohlen habe?" fragte die Hofräihin.
Ich hörte diese Frage ganz deutlich, und alle meine Fibern
pulsten nach dem Sopha hin, auf dem die beiden Frauen
saßen. Die Erwiderung der Banquiersgattin konnte mit einem
Wörtchen mehr — mich verderben, mit einem Wörtchen weniger
— mich meiner unendlichen Angst entledigen. „Das ist der
Lohn der bösen Thal," recitirte ich zwischen den Zähnen,
„daß sie fortzeugend Böses muß gebären!" Nun hörte ich
deutlich die Erwiderung - ich athmetc wieder aus. Die
Banquiersgattin hatte sich geäußert: „Mit deinem Tanzmeister,
liebe Hofräthin, bin ich sehr zufrieden. Er ist nicht blos ein
ausgezeichneter Tanzmeister, sondern auch ein kenntnißreicher
Mann. Er spricht französisch" — „Nun, das ist ja seine
Muttersprache," bemerkte hierauf die Hofräthin, „dafür spricht
er gebrochen deutsch." „So?" meinte die Banquiersgattin,
„das habe ich nicht bemerkt, liebe Hofräthin, „du irrst dich
ganz entschieden, er spricht im Gcgcntheile sehr gut deutsch!"
Ich schwitzte auf eine verhängnißvolle Weise. Die Hofräthin
sprach mit imponirender Gewißheit: „Im Gcgentheil irrst du
dich ganz entschieden — Hdrr Duval hat nie gut deutsch ge-
sprochen ; doch warum hast du ihn nicht zur heutigen Soiräe
eingeladen, er hätte alles so hübsch arrangirt!" „Liebe Hof-
räthin, das ist doch recht sonderbar, auch du nennst ihn Duval,
er heißt ja Falke, da siehst du ihn, meiner Camilla vis-a-vis!"
Tie verhängnißvolle Wendung, welche die Causerie der beiden
Damen in diesem Momente genommen hatte, konnte, wie Sie
wohl einsehen werden, nicine geringe Befriedigung über das
von der Frau Hofräthin angeknüpfte Conversationsthema nicht
vergrößern. „Du, das ist eine seltsame Geschichte," replizirte
die Frau Hofräthin, „wie bist du denn um's Himmels willen
zu diesem Herrn Falke gekommen?" Die Hausfrau erzählte j
nun getreulich die Art und Weise meiner Repräsentation und,
jetzt gesellte sich der Banqnier zu den beiden Damen, wie ich
nicht blos in neueren, sondern auch in alten Sprachen Kennt-
nisse besitze, wie ich neulich ihrem Emmerich eine griechische
Constrnction erklärt hätte, wie ich auch, setzte der Banqnier
hinzu, in der politischen Geschichte bewandert sei, und wie dieß
Alles, so schloß die Hofräthin, eine sehr seltsame Geschichte
sei, die um's Himmels willen nicht früh genug aufgeklärt
werden könne. Die Quadrille hatte mittlerweile mit dem ob-
ligaten solmssä oroisä ihr Ende erreicht, die kleinen Tänzer
und Tänzerinnen hatten ihre Sachen sehr gut gemacht. Nun
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