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42 Poesie u

pries das Glück, das ihr einen Vorgeschmack der Poesie der
Liebe ohne Prosa gewährt, und überließ sich der Hoffnung,
ihr Dämon werde, seiner Neckereien müde, seine prosaischen
Besuche bei ihr einstellen und sich ein anderes Feld für seine
ernüchternde Thätigkeit suchen. Clothildc aber schloß sic sich
mit aller der Innigkeit an, der sic fähig war, und keine Falte
ihres Herzens blieb dieser verborgen. De» Wunsch Emmelinens
aber, die Freundin ganz bei sich zu behalten, glaubte diese ihr,
j wenigstens vor der Hand, entschieden versagen zu müffen, weil
sic durch ihre schriftliche Zusage zu dem neuen Engagement
sich verpflichtet und sie die einzige Verwandte, die ihr in Liebe
zugethan war, nicht in so weiter Entfernung von sich wissen
wollte. Ueberdem war die Gesellschaftsdame Emmelinens, kürz-
lich erhaltener Mittheilung zufolge, vollständig genesen und
bereit, in ihre Stellung wieder einzutreten, was indessen
nicht eher als bei der Durchreise des Fräuleins durch die Re-
sidenz geschehen sollte.

Diese sollte früher erfolgen, als cs ursprünglich beschlossen
war. Es hatte sich nämlich eine cigcnthümlichc Unruhe Emme-
linens bemeistert, die sie nicht länger mehr auf dem Eulenhorst
litt. Die Liebe macht große, weitberechnete Speculationen. Dieses
Talent sollte auch Clothildens Freundin überkommen. Eine
geheime Stimme flüsterte ihr nämlich zu, cs sei nicht unmög-
lich, daß der Baron die besprochene Herbstreise in der näch-
sten Zeit nach seiner Zurückkunft in die Hcimath bereits an-
trete und mit jungfräulichem Erröthcu machte sic sich das Ge-
ständniß, daß sic selbst an dieser Veränderung des Rciseplanes
Thcil habe. Sie schmeichelte sich mit dem Gedanken, daß die
ganze Reise, von der der Freiherr gesprochen, von ihm gar
nicht projcktirt gewesen und nur den Vorwand zu einem Be-
suche auf ihrer Besitzung abgcben sollte. Nun war ihr die
Annahme unerträglich, der Baron könne vor ihrer Rückkunft
bereits die Reise antrete», und so unwahrscheinlich, ja kaum
denkbar dies auch erschien, bestimmte cs doch ihren Beschluß
zur Abreise. Zudem konnte auch Clothilde nicht länger mehr
auf dem Eulenhorst weilen, weil man ihren Antritt der neuen
Stellung früher, als von vornherein bedungen war, dringend
wünschte. Es blieben ihr nach ihrer Ankunft in der Hauptstadt
muthmaßlich nur wenige Stunde», die sie noch Emmclinen
widmen konnte, dann mußte geschieden werden.

Der Reisemorgcn war angebrochen. Die beiden Freun-
dinnen durchwanderten Hand in Hand noch einmal die erin-
nerungsrcichcn nächsten Umgebungen des Schlosses, nachdem der
Abschied von dessen Bewohnern bereits hinter ihnen lag und
schwärmten von der Zukunft und der Freude des Wiedersehens.
Da meldete der Inspektor, daß angespannt sei. Er erschien in
Reiseklcidern, in hohen Stiefeln und Sporen, die Reitgerte
; in der Hand, um die Gebieterin zu Pferde bis in die Resi-
j dcnz zu begleiten, wo der bevorstehende Wollmarkt seine An-
wesenheit erheischte. Zehn Minuten später saßen die Damen
im Wagen, Zinknagel bestieg seinen Gaul, dessen Gattin ver-
knickte sich ehrerbietigst und die Pferde zogen an. Vom kläffen-
den Schooßhund der Frau Jnspcktorin umschwärmt, rollte die
! schwere Kutsche dahin, und die Seufzer der beiden Damen

d Prosa.

in ihrem Innern verhallten unter dem Geschnatter des Feder-
viehs, das vor den Hufen der brausenden Rosse scheu aus-
einanderstob.

Zwei Tage später hielt vor einem großen Hause in einer ;
der belebtesten Straßen der Residenz eine Droschke an, der |
zwei Damen entstiegen. Sie betraten das Gebäude, während
das Fuhrwerk halten blieb, und die Aeltcre sprach im Gehen
zur Jüngeren: „Sei aber ja nicht zu bescheiden, meine liebe
Clothilde, und wähle Dir etwas Ordentliches aus, denn ich
wünsche Dich möglichst stattlich hcrausgeputzt zu sehen. Du
sollst Deiner neuen Umgebung auch äußerlich imponiren und
zugleich ein freundliches Andenken an mich mit hinweg neh-
men. Also keine Ziererei und mache mir keine Scene!"

Clothilde erfaßte dankend Emmelinens Hand und sagte
mit bewegter Stimme: „Du bist zu gütig, ich verdiene das ■
gar nicht!"

Sie erschien sehr aufgeregt- ihr Gesicht glühte und ihre ;
Hand zitterte, als sie -den Klingelzug an der Thür im ersten
Stock erfaßte. Die Schelle ertönte, eine Minute später öffnete j
sich die Pforte und ein junges Mädchen geleitete die beiden j
Freundinnen über einen Corridor nach einem großen prächtig !
herausgcputzten Gemache, das sich auf den ersten Blick als :
das Atelier eines eleganten Damenklcider-Magazins darstellte. !

Die Frage Emmelinens nach dem Inhaber des Geschäfts I
beantwortete das Mädchen dahin, daß dieser augenblicklich ab-
wesend sei, der Werkmeister indessen sofort zu ihrer Verfüg- .
ung sich stellen werde. Und behend hüpfte die Kleine zum Zim-
mer hinaus.

Ein Gemälde flüchtig betrachtend, standen die beide»
Freundinnen, den Rücken der Thür zugewendet, da, als diese
sich öffnete und mit Scheere und Maß in der Hand der
Werkmeister ins Zimmer schritt. Er befand sich in leichter
Hausklcidung und die dünnen Negligeeschuhe machten seinen
Tritt fast unhörbar. Erst als er in ihrer nächsten Nähe sich
befand, drehten sie sich um, doch, wie in Salzsäulen Plötzlich
verwandelt, starrten sie, keines Wortes mächtig, den Eingctretenen
an — Baron von Müller stand vor ihnen. Auch dieser zuckte,
wie vom Blitze getroffen, zusammen und Leichenblässe überzog
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Poesie und Prosa"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Schneider
Schrecken <Motiv>
Verwechslung
Begegnung <Motiv>
Täuschung
Karikatur
Baron
Junge Frau <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 31.1859, Nr. 736, S. 42

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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