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Der Schr

Hand ein ebenso einfaches als sicheres Mittel war, die
Widerspenstige zur Ordnung zu bringen und dem dünnen
Haarboden die vollkommenste Glätte zu verleihen. War

dieser Herstellungsakt vollbracht, dann zog das muntere
Volk der Schreiber hinauf in das große Familienzimmer

zum fröhlichen Mahle. Nach strenger Rangordnung nahm
man die Plätze ein, und nun ward den treuen Arbeitern

der verdiente Lohn. Der Tisch des Stadtschreibers war
gut und reichlich, und wenn seine Untergebenen dennoch
nicht fett dabei wurden, sondern alle ohne Ausnahme durch
eine gewisse abnorme Magerkeit glänzten, so lag das nur
an ihren geringen Anlagen dazu oder an der Art ihres
Berufes, der das Genossene zu schnell wieder hinansarbciten
j machte.

Vielleicht aber auch noch an etwas Anderem. Wir

müssen nun schon indiscret genug sein, um in die tiefsten
Geheimnisse der Stadtschreiberei einzudringen. In dem Keller
des Herrn Stadtschreibers, der immer sehr wohl versehen
war, lag gleich am Eingang ein mächtiges Faß, das eines
Haupts höher war, als alles übrige Volk. Auf diesem stand
' mit Kreide in großen Buchstaben geschrieben: „Schreiberwein."
Der „Schrciberwcin" war ein Hauptkapitel im Haushalte des
Stadtschreibers. Nicht daß er selbst von demselben getrunken
hätte, Gott bewahre! dieser Wein war nur für die unter-
geordnete Schreiberzunft, welcher er indeß in gar nicht karger
Weise gespendet wurde. Zum Mittagessen ein Schoppen und
zum Abendessen ein Schoppen, zum Frühvespern einer und
zum Abendvespern wieder einer, das gab eine volle Maß per
Tag auf die Person. Sonntags Mittags vollends durfte
zum obligaten Sauerkraut und Schwcinsbraten ad libitum
getrunken werden; die große, bauchigte Flasche, die an dem
den Schreibern zugewiesenen Thcile des Tisches stand, füllte
sich an diesem Tage immer wieder von neuem zur Erfrischung
der durstigen Kehlen. Das war nun freilich ein starker Con-
sumo, und der Leser mag denken, der Beutel des Herrn
Stadtschreibers werde das schwer empfunden haben. Aber
in einem geordneten Staatshaushalt ist für Alles vorgesorgt,
und so insbesondere auch dafür, daß, wo sich an der Quan-
tität nicht sparen läßt, die Qualität darnach modifizirt wird.
So war es auch im Haushalte des Stadtschreibers. Während
derselbe für seinen eigenen Bedarf und für gute Freunde und
festliche Gelegenheiten seinen Wein an der wahren Quelle
suchte, und durch seine Beauftragten in den renommirtesten
Weinorten und in den besten Jahrgängen sich mit einem ex-
quisiten Tröpflein versehen ließ, hielt er sich auch einen an-
deren Correspondenten, der ihm in Jahrgängen, in welchen
der Wein weniger durch die Sonne als durch Nebel und
Reif ausgekocht worden war, ein hinreichendes Quantum bil-
ligen Getränkes in minder begünstigten Gegenden anfkaufte.

So entstand der „Schreiberwein," ein überaus gesundes,
gar wenig erhitzendes Getränk. Neu eintretenden Schreibern,
die beim ersten Kosten dieses Weines einige Grimassen schnit-
ten, deren Sinn nicht wohl mißverstanden werden konnte,
pflegte der Stadtschreiber in väterlich beruhigendem Tone zu

: iberwein.

bemerken, daß dieser Wein, in dessen beständigen Genuß sie
jetzt eingesetzt seien, aus einem gar nicht zu verachtenden
Clima stamme, daß man sich aber allerdings ein wenig daran
gewöhnen müsse. Sei das geschehen, dann übe er den aller-
heilsamsten Einstuß auf die Gesundheit, lasse durchaus keine
Unverdaulichkeit aufkommen und erweise sich gerade dadurch,
als das von der lieben Vorsehung so recht eigens für den
Stand der Schreiber gemachte Getränk, da dieser Stand bei
seiner sitzenden Lebensweise sonst leicht an Verdauuugsbeschwer-
den leiden dürfte. Er wußte dabei auf so anschauliche und
überzeugende Weise auszuführen, wie durch diesen Wein die
den Schreibern mangelnde äußere Bewegung um so kräftiger
im Innern des Körpers vor sich gehe, wie durch denselben
alle bösen Säfte beseitigt, alle unverdauten Brocken aufgelöst,
kurz alles Schädliche so gründlich wcggeätzt werde, daß jeder
neue Schreiber bald dazu gelangte, nachdem er das anfäng-
liche Schneiden und Reißen im Leibe überwunden hatte, in
dem Weine den guten Geist zu sehen, der als ein rechtes
Lebenselixir ihm seine Gesundheit bewahren helfe. Ja, die
Schreiber waren alle so in ihren Wein verliebt, daß sie zu
den von ihrem Principal gerühmten guten Eigenschaften noch
eine Menge anderer hinzufanden, die sie mit Wort und That
gegen Jedermann zu verfechten bereit waren. Und wenn der
Wein ihnen auch nicht zum Fettwerden verhalf, so nahmen
sie das ihrem Liebling doch keineswegs übel.

So geht es in der Welt. Die liebe Gewohnheit hilft
-dem Menschen über Vieles hinweg, was ihm das Leben stören
könnte, sie ist der Zucker, der selbst einen sauren Wein süß
macht, und wer das Bessere nicht kennt, dem ist auch das
Schlechtere nicht schlecht. Darum war es von dem Stadt-
schreiber sehr weise gethan, daß er auch an den höchsten Fest-
tagen seinen Schreibern nie etwas Besseres vorsetzte, daß gar
kein anderer Wein für sie cxistirte, als ihr gewohnter Trank.
Denn was würde die Folge gewesen sein, wenn sie mit
dem Weine, den sie tranken, die anderen Sorten hätten ver-
gleichen können, die in den kleineren Fässern enthalten waren,
oder wenn sie gar von dem kleinsten Fäßchen gekostet hätten,
das isolirt dort hinten in der Ecke lag und durch das
vorgelegte Schloß sich als etwas ganz Besonderes kenn-
zeichnete?

Daß es mit diesem Fäßchen seine eigene Bewandtniß
habe, hätte Jeder erkennen müssen, der dabei gewesen wäre,
wenn der Stadtschreiber selbst den Keller besuchte, um seinen
Weinvorrath zu visitiren. Da konnte man die verschiedene
Qualität der Weine deutlich aus dem Mehr oder Minder
von Achtung abnehmen, mit der er sich jedem der Fässer
näherte. Auf den Schreiberwem ging er ohne alle Umstände
zu und maß mit einem Stabe die Völle des Fasses so gleich-
giltig, als wenn hier eben nur die Quantität in Frage käme.
Den anderen Weinen näherte er sich langsamer, respektvoller;
er untersuchte die Fässer von allen Seiten, ließ etwas Weniges
in ein Glas laufen, hielt dieses gegen das Licht, kostete und
probirtc, ob der Wein nichts am Gehalt verloren hätte.
Liebe und Achtung sprach sich in seinen Mienen aus. Wenn
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