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Der «schre

er sich aber jenem kleinsten Füßchen näherte, dann wurde er
! vollends in Gang und Haltung ein ganz Anderer. Der
höchste Grad von Ehrfurcht lag in seinem Wesen, als nahte
er sich einem Hciligthume, und seine Lippen bewegten sich, als
ob er ein Gebet murmelte. Bedächtig nahm er den Schlüssel
aus der Tasche, schloß auf und kostete. Lange wog er den
Wein auf der Zunge, ängstlich forschend, ob er doch ja von
seiner Güte nichts eingebüßt, prüfte wieder und wieder, und
i endlich, als er sicher war, daß die Qualität sich nicht ver-
! ändert hatte, athmete er tief auf, wie einer, der sich von
j einer schweren Last befreit fühlt, verschloß das Faß wieder,
und schritt dann langsam zum Keller hinaus, indem er vor
sich hinmurmelte: „Gott sei Dank, er ist noch der alte!"

Man glaube aber ja nicht, daß es nur die Güte des
Weines war, die den Stadtschreiber zu solcher Verehrung
! stimmte. Nein, er verehrte diesen Wein nach dem, wie er
benannt war. Er hieß bei ihm der „Fürstenwein", und er
hieß nicht blos so, er war auch, was er hieß. Dieser Wein
war geadelt dadurch, daß alljährlich die durchlauchtigsten
Lippen sich mit ihm benetzten, daß er das Glück hatte, dem
Allcrgnädigstcn Landesvater als Ehren- und Labetrunk zu
dienen. Das kam so. Seit unvordenklichen Zeiten pflegten
! die erhabenen Landesfürsten um die Hcrbstzeit sich in die
benachbarten Forste zu begeben, um dort dem Waidwerk ob-
zuliegen, und seit ebenso unvordenklichen Zeiten pflegten Höchst-
dieselben bei der Durchreise durch B., wenn sie die Huldig-
' ung der Behörden empfingen, aus den Händen des jeweiligen
Stadtschreibers — die Stadtschreiberei lag gerade an der
! Straße — Allerhuldvollst einen kleinen Imbiß entgegenzu-
nehmen, welcher in einem Becher Landwein und einigen der
feinen weißen Brödchen bestand, durch welche B. weit und
breit berühmt war, und deren spezifischen Wohlgeschmack man
an anderen Orten vergebens nachzuahmen gesucht hatte. Kaum
I hatte daher der jetzige Stadtschreiber sein Amt überkommen,
j so war seine erste Sorge gewesen, sich für diesen feierlichen
Tag vorznsehen, und durch unsägliche Anstrengungen war es
ihm gelungen, einen Wein aufzutreiben, der die Krone aller
Weine des Landes genannt zu werden verdiente. Welche
Sorgfalt auf seine Conservirung verwendet wurde, seitdem
seine Durchlaucht das erste Mal davon gekostet und sich durch
den Wein befriedigt gezeigt hatte, kann man sich denken.

! „Wie wir sehen, führt Er einen ebensogutcn Keller als Sein
Vorgänger", hatte Seine Durchlaucht mit gnädigem Nicken
des Kopfes geäußert, nachdem sie den Wein verschmeckt hatte,
und dabei sehr vernehmlich mit der Zunge geschnalzt. Und
so oft der Fürst seitdem von dem Weine genoß, bemerkte er
regelmäßig mit demselben gnädigen Nicken: „Ist immer noch
von gleich prciswürdiger Qualität, Sein Wein, Herr Stadt-
schreiber", und ebenso regelmäßig ward mit der Allerhöchsten
Zunge geschnalzt. Welche Musik diese Worte in den Ohren
des Stadtschreibcrs waren, ist leicht zu ermessen. Aber als
wahre Sphärenharmonie erschien ihm das Schnalzen. @r
wartete darauf in der ängstlichsten Spannung, und wenn es
einmal durch Zufall unterblieben wäre, so würde ihn das

iberwein. 91

zum unglücklichsten Manne gemacht haben. „Sehen Sie
meine Herren," pflegte er jedesmal am Abende des großen
Tages der Gesellschaft in der Bierstube zu sagen, „sehen Sic,
es ist nicht ohne tiefe Berechtigung, wenn ich dem Allerhöch-
sten Schnalzen einen so großen Werth beilege. Auch die
Allcrgnädigsten Worte des Durchlauchtigsten Herrn wirken be-
glückend, beseligend auf unser Herz. Aber dennoch — diese
Worte geben noch keine absolute Garantie dafür, daß Seine
Durchlaucht vollkommen und nach allen Seiten zufrieden sind.
Ein Fürst, so wohlwollenden Herzens wie unser innigst ge-
liebter Landesvater, sagt vielleicht Manches, um die Gemüther
seiner getreuen Unterthanen zu erfreuen, was ihm nicht so
ganz von Herzen geht. Aus purer Gnade kann er, wenn er
den guten Willen erkennt, auch mit einem geringeren
Weine sich zufrieden erklären. Aber etwas Anderes ist cs
mit dem Schnalzen. Das ist ein Naturlaut, in dem nichts
Ueberlcgtes liegt, der quillt nur da hervor, wo der Born
der vollsten Zufriedenheit fließt, da ist volle unumstößliche
Gewißheit. Die Zunge schnalzt nicht, außer wenn sie ganz
und allseitig befriedigt ist. Mit Recht also, Sie werden mir
beistimmen, meine Herren, lege ich das höchste, lege ich alles
Gewicht auf das Allergnädigste Schnalzen Seiner Durchlaucht."

Wiederum war der festliche Tag angebrochen. Böller,
Ehrenpforten, singende Schulkinder, weißgekleidete Jungfrauen, ^
Stadtrath und Stadtvorstände, afles stand vor dem Hause
des Stadtschrcibers bereit. Schon war die Ankunft des
hohen Herrn signalisirt. Da trat der letzte der Schreiber,
ein blutjunger Mensch, ans der Schreibstube heraus, um sich
den Versammelten anzuschließen. Im Hausgange fesselte ihn
ein mit einem bunten Teppich überdeckter Tisch; auf einem
Teller von ächtem Meißner Porzellan stand ein schönverzier-
ter silberner Pokal mit einigen Brödchen:'es war der Labe- .
trunk für Seine Durchlaucht. Der Stadtschrciber hatte den 1
Pokal bereits gefüllt, um damit auf die Straße zu treten,
als er bemerkte, daß seine Hcmdkrausc ein wenig zerdrückt
sei, und war daher, den Pokal niedersetzcnd, rasch' hinauf
in's Zimmer geeilt, um sich dieselbe von seiner Ehehälfte
wieder zurechtlcgen zu lassen. Vorwitzig hob der junge Mann
den silbernen Deckel auf und wunderbar lieblicher Weinduft
kam ihm entgegen. Da erfaßte ihn unwiderstehlich die Lust,
seine Lippen an den geheiligten Becher zu setzen, den gleich
darauf der Mund Seiner Durchlaucht berühren sollte, und
von dem „Fürstenweine" zu kosten. Er wagte es und nippte,
und wie von einem berauschenden Gifttrank umnebelt, trank
und trank er in vollen, immer volleren Zügen. War cs der
himmlische Duft des Weines, war es das unnennbare Wonne-
gefühl, aus dem Becher des Fürsten zu trinken, was ihn
hinriß? Genug, er trank ihn aus den Trank der Labe: der
Becher war leer!

(Schluß folgt.)

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