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Der Schr

neue Reize zu bieten. Die Fürstin war schöner, liebenswür-
diger als je, sie bezauberte Alles, nicht am wenigsten den
gestrengen Herrn Gemahl selbst. Er war voll Lobes und

rühmte Alles mit lauten Worten. „Sollten Sie es glauben,

mein theurcr Herr Gemahl," Hub die Fürstin bei einem
solchen Lobe an, „daß alle diese Genüsse, worüber Sie so
freundlich sind Ihre Zufriedenheit auf eine für mich so
schmeichelhafte Weise auszudrücken, daß alle diese Genüße
nur relativ sind, daß es Leute gibt, denen das Schlechteste
zu genießen, ebensolches Vergnügen macht, wie uns das
Beste?" Der Fürst bestritt es und meinte, man möge
sich wohl daran gewöhnen, Geringes ohne Widerwillen
zu genießen, aber einen wirklichen Genuß könne man
dabei doch nicht haben, und was entschieden schlecht sei,
werde sicherlich keinem Menschen als gut erscheinen. „Nun
wohl," entgegnete die Fürstin, „ich habe den Beweis zur
Hand. Ich bitte Sie, von diesem Weine zu kosten." Sie
winkte und man präsentirte dem Fürsten einen Pokal. Er
kostete davon, schluckte, hustete, sprudelte zwar aus Achtung
für seine Gemahlin dieses Mal das Getränke nicht wieder her-
aus, schnitt aber eine entsetzliche Grimasse und rief: „Welch'
abscheulicher Trank! Zum Teufel! Woher bringen Sie den,
meine Theure?" „Sie kennen ihn nicht, mein Herr Ge-
mahl?" antwortete sie, „das wundert mich, es ist ja ein alter
Bekannter von Ihnen!" „Von mir? dieser Wein? dieser
Höllcntrank? Wie wäre das möglich?" rief der erstaunte
I Fürst. „Erinnern Sie sich wirklich nicht mehr? Es ist ja
noch gar nicht so lange her, auf Ihrer letzten Jagdfahrt,
da ward er Ihnen als Labetrunk geboten, und Sie fanden
i ihn, gewürzt durch den Durst, bei dem Staub und der Hitze
des Tages gar nicht so schlecht." „Wie, was? Nicht schlecht
hätte ich ihn gefunden? Ja, jetzt fällt mir's ein, der infame,
boshafte Schlingel von Stadtschreiber! der soll mir nicht so leer
ausgehcn! Und schickt mir wohl jetzt auch noch zum Hohn eine
weitere Probe von seinem schändlichen Getränk zu! Ist der Kerl
von Sinnen? Weiß er nicht, mit wem er's zu thun hat?

! Aber, bei Gott!" — Die große Zornader auf der Stirne
des Fürsten schwoll hoch an, alle Anwesenden verfielen in
ein bängliches Schweigen, und jeder wunderte sich höchlich
im Stillen, wie die liebenswürdige und sonst immer so takt-
j volle Frau ihn heute so reizen und den schönen Abend so
absichtlich verderben möge. Sie antwortete aber ganz unbe-
| fangen: „Sie vergessen, mein Gemahl, daß wir unsere Con-
troverse noch nicht zu Ende geführt haben, und daß ich
i Ihnen den Beweis für meine Behauptung noch schuldig bin.
l Erledigen wir also, wenn es Ihnen beliebt, zuerst diesen
! Gegenstand. Sollten Sie es glauben, daß es Menschen gibt,
die in diesem Wein, der Ihnen so abscheulich vorkommt, das
Höchste sehen, was einem Gaumen geboten werden könne?"

1 „Nein, das glaube ich nun und nimmermehr, und Sie wer-
den mich auch nie davon überzeugen", sagte der noch immer

ib er wein. 103

erbitterte Fürst, „und wenn Sie vollends meinen oder sich
haben glauben machen lassen, der verfluchte Schlingel von
Stadtschreibcr gehöre zu diesen Menschen, so täuschen Sic
sich sehr. Nein, das weiß ich besser, der —" „Schon wie-
der dieser Stadtschreiber!" fiel ihm die Fürstin ins Wort,
„ich fange an, den Mann ordentlich zu hassen, daß er sich
so unberufen immer auf's neue in unser Gespräch eindrängt.
Aber nicht er ist es, der mir meinen Satz beweisen soll,
sondern ein anderer." Sie winkte und zu der geöffneten
Thüre trat der Schreiber herein und warf sich dem Fürsten
zu Füßen. „Was soll das?" fragte dieser erstaunt, „was
will der junge Mensch?" „Mir zu meinem Beweise ver-
helfen", sprach lächelnd die Fürstin, indem sie sich erhob und,
den Arm anmuthig auf die Schulter ihres Gemahls stützend,
diesem erzählte, wie der Stadtschreiber den ausgesuchtesten
Wein, dieselbe Sorte wie bisher für ihn bereit gehalten, wie
der junge Mann in der Eile, hinauszukommen, aus Versehen
den Pokal umgestoßen — denn daß er ihn an seine Lippen
gesetzt, diese grenzenlose Frechheit würde der Fürst nie ver-
ziehen haben — und nun im guten Glauben, daß es keinen
besseren Wein gebe als den „Schreiberwein", den einzigen,
den er kannte, von diesem eingegossen habe. Der Fürst, der
aus schönem Munde gerne eine Fürbitte annahm, verzieh
dem Schreiber seine Unbesonnenheit und geruhte auch, daß
man dem armen Stadtschrciber, dessen Jammer ihn fast
rührte, zu wissen thue, seine völlige Schuldlosigkeit bezüglich
des Weines sei an den Tag gekommen, und er dürfe sich
nach wie vor Allerhöchster Gnade getrösten.

So blieb für diesen nichts als das Räthsel übrig, wie
denn der edelste Wein in Gift verwandelt worden sei, und
dieses Räthsel wurde auch beim nächsten Besuche des Fürsten,
dem er mit der gespanntesten Erwartung entgegensah, seiner
Lösung nicht näher gebracht, als der Fürst huldvoll den Po-
kal annahm, als er, nachdem er getrunken, wieder ein kräf-
tiges Schnalzen hören ließ, dessen Ton alle Anwesenden bis
zu Thränen rührte, und den Worten: „Ja, das ist wieder
das alte, preiswürdige Getränke", mit einem bedeutungsvollen
Blick die weiteren beifügte: „Das ist ein anderer Wein als
voriges Jahr, das ist kein — „Schreibcrwcin !" — „Schreiber-
wein?" riefen Alle entsetzt, als der Fürst abgefahren war,
„Schreiberwein hat er getrunken und es hat ihm nichts ge-
schadet?" — „Schreibcrwcin!" wiederholte wieder und wie-
der der Stadtschreibep, und dunkle Ahnungen, Möglichkeiten
dämmerten in ihm auf, der Verdacht eines schwarzen Ver-
brechens beschlich ihn. Aber zu rechter Zeit für die Ruhe
seines Herzens warf er alle diese düsteren Gedanken von sich,
riß sich ein für alle Mal von diesen Nachtgespenstern los
und wandte sich ganz der neuaufgcgangenen Sonne fürstlicher
Gnade zu. Und auch später, wenn ihm je wieder ein schlim-
mer Gedanke aufflieg, hatte er einen kräftigen Talisman, den
bösen Geist zu bannen, das Wort: „Er hat wieder geschnalzt!"
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