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Sie beiden
geneigt wären, allerhand brauchbare Dinge, ohne voransge-
gangene Anfrage oder Bezahlung, in sich aufznnehinen, insbe-
sondere so ein Paar fester Bauernstiefel, die freilich zu dem
elenden Schnhwerk der Fremden den stärksten Cvntrast bilde-
teit. Es ivaren zivei französische Marodeure, die von der großen
Straße sich ans nahe liegenden Gründen abseits geschlagen hat-
ten und ans verschiedenen Wald- und Irrwegen endlich von
der Höhe herab in das verborgene Thal gekommen waren.
Obschon den Kerlen an diesem abgelegenen Orte nicht
ganz wohl zu Muthe tvar, indem sie sich klar vorhielten, daß
wenn es den Bauern einfiele, sie für ihre vielen Sünden
büßen zu lassen und heimlich abzuthnn, kein Hahn darnach
krähen tvürde, so hielten sie es doch, als sie in die Nähe der
Bauern kamen, die sich bei ihrem Anblick auf dem Wege ge-
sammelt hatten und die Köpfe zusammensteckten, für's beste,
sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, und die Bauern
durch ein keckes Benehmen einzuschttchtern. So schritten sie
denn, die Flinten nachlässig, aber doch zugleich drohend unter
den Arm nehmend, trotzig ans die vorderste Gruppe zu —
es war der Schultheiß mit den Gemeinderäthen, die man
schnell herbeigerufen hatte — und riefen mit der selbst unter
Mohren und Kalmücken verständlichen Geberde, indem sie mit
dem Finger nach dem geöffneten Mund deuteten: ,,Manger,
manger, tont de suite!“ Die Bauern sahen sie verwundert
, an, ließen sie unbekümmert fort schreien, und betrachteten sie
von allen Seiten. Als endlich den Franzosen die Zeit zu
lang tvnrdc, und sie, iveil sie einmal so viel gewagt hatten,
noch mehr tvagen zu müssen glaubten und plötzlich die Ge-
! wehre aufuahmen, als ob sic schießen oder stechen ivollten,
; in der sicheren Erwartung, daß die Bauern stach allen Seiten
auseinanderlaufen würden, sahen sie sich ans einen Wink des
Schultheißen plötzlich von den jungen Burschen mit Texten,
: Sensen und Heugabeln umringt; ehe sie sich von ihrem
Schrecken erholen konnten, waren ihnen die Flinten ans der
i Hand und die Säbel von der Seite gerissen, und sie er-
warteten nun nichts anderes, als auf die erbärmlichste Weise
massakrirt zu werden. Da sic aber mehr erborgten als wirk-
! lichen Löwenmuth besaßen, so versuchten sie, nachdem das Sy-
stem der Einschüchterung gänzlich mißlungen tvar, ein anderes:
sie tvarfen sich auf die Kniee und baten demüthig um ihr
Leben, tvvbei sie auch einige Drohungen von vengeance und
grande armöe mit einfließen ließen, die sic sich füglich Hütten
ersparen können, da die Bauern kein Wort von allem ver-
! standen. Aber auch außerdem tvürden diese wenig dadurch
bewegt worden sein, denn der Schultheiß hatte, als er, vor
j seinem Hanse sitzend, die Nachricht von der Ankunft der zivei
fremden Gäste erhielt, sogleich zweierlei Maßregeln angeordnet,
einmal, daß die jungen Burschen sich bewaffnen, und dann,
daß einige oben zum Dorf hinauslugen sollten, ob nicht etwa
: noch mehr Franzosen nachkämen, und da hatte er eben in
: letzterer Beziehung die beruhigende Meldung erhalten, daß
weit und breit sonst kein Franzose zu sehen sei.
Da nun das Bolk der Bauern sehr wenig von jener
ritterlichen Großmuth besitzt, die den besiegten und wehrlosen
I _1__
Franzosen.
Feind sogleich an's Herz drückt, als ob er der beste Freund
wäre, so ließ man die Franzosen ans den Knieen liegen, ohne
ihnen irgendwelches beruhigende Zeichen über ihr künftiges
Schicksal zu geben, wärend der Schultheiß mit den Gemeinde-
räthen bei Seite trat, um zu deliberiren, was man mit den
zivei Schlingeln anfangen sollte. Da gab es drei verschiedene
Meinungen. Die Hitzigsten ivollten die ungebetenen, frechen
Gäste sogleich abgethan wissen. Denn, sagten sie, iver könne
den Kerlen trauen, daß sie nicht mit Heeresmacht wiederkom-
men und zur Rache das Dorf niederbrennen? Jedenfalls
werden sie die Lage des Dorfes verrathen, und dann sei cs
aus mit ihrer bisherigen Sicherheit und Ruhe. Die Wohl-
fahrt einer ganzen Gemeinde aber iviege wohl das Leben von
zwei solchen Gaunern ans. Dieser Rath schien zwar Allen
der sicherste zu sein, aber geivichtige Stimmen wiesen darauf
hin, was da beabsichtigt werde, sei nichts Geringeres als ein
doppelter Mord, und damit dürfe die Gemeinde dem lieben
Gott doch nicht den Schutz vergelten, mit dem er zeither so
sichtbarlich über ihr getvaltet. Lieber solle man die Franzosen
gut bewirthen, und dann frei ihres Weges ziehen lassen, sie
aber bedeuten, daß, wenn sie wicderkämen, man kurzen Pro-
zeß mit ihnen, sowie mit jedem anderen ihrer Landsleute
machen würde. Allein dieser Vorschlag schien doch zu Ivenig
Sicherheit zu bieten. Deßhalb tauchte ein dritter auf, maic
solle die Franzosen in's „Hänsle" stecken und dort so lange
verwahrt halten, bis der Krieg vorüber sei, dann könne man
sie ruhig laufen lassen, und sie müßten selbst sehen, ivie sie
wieder nach Hause kämen. Dieser Vorschlag vereinigte aller-
dings die Vortheile der beiden andern: man war sicher, nicht
verrathen zu werden, und hatte das Gewissen rein erhalten;
aber er widerstrebte dem Geschmack der Bauern unter allen
am meisten. Auf unbestimmte Zeit zwei so gefährliche Bursche
in der Mitte zu haben, sie beständig zu hüten und zu be- !
wachen, und, was die Hauptsache war, zwei solche Fresser
umsonst zu füttern! nein, das ging nicht an, das war un-
möglich. Und >vie würden diese ausgehungerten Gaudiebe
zulangen! Man wußte ja wohl, wie die hungrigen Franzosen-
mägen das übrige Land anfzehrtcn, und so würden diese zwei
auch sicherlich in kurzer Zeit das halbe Dorf aufgefressen
haben. Also auch mit diesem Vorschlag war es nichts. Aber
was dann? Das war die große Frage. Man war voll-
kommen mit seinem Witz zu Ende und sprach hundert Mal >
das schon Gesagte wieder hin und her, ohne zum Schlüsse
zu kommen, so daß selbst den zitternden Franzosen auf den j
Knieen die Zeit zu lang wurde, und sie durch Pantomimen
ihre Wächter baten, sich auf die Bank des nächsten Hauses
niederlnssen zu dürfen, was ihnen auch gestattet wurde. Zur
Vorsicht aber schlug man jedem einen Strick um den Leib
und zog diese Stricke durch einen starken eisernen Ring an
dem Hause, woran man sie wie sonst die unruhigen Ochsen
festband. Sv waren sie für den Augenblick wohl verwahrt,
aber was nun weiter?
Zum Glück war unter den Gemeinderäthen einer, den
man im Dorfe als einen Spitzkopf ansah. Er war voll listiger
Sie beiden
geneigt wären, allerhand brauchbare Dinge, ohne voransge-
gangene Anfrage oder Bezahlung, in sich aufznnehinen, insbe-
sondere so ein Paar fester Bauernstiefel, die freilich zu dem
elenden Schnhwerk der Fremden den stärksten Cvntrast bilde-
teit. Es ivaren zivei französische Marodeure, die von der großen
Straße sich ans nahe liegenden Gründen abseits geschlagen hat-
ten und ans verschiedenen Wald- und Irrwegen endlich von
der Höhe herab in das verborgene Thal gekommen waren.
Obschon den Kerlen an diesem abgelegenen Orte nicht
ganz wohl zu Muthe tvar, indem sie sich klar vorhielten, daß
wenn es den Bauern einfiele, sie für ihre vielen Sünden
büßen zu lassen und heimlich abzuthnn, kein Hahn darnach
krähen tvürde, so hielten sie es doch, als sie in die Nähe der
Bauern kamen, die sich bei ihrem Anblick auf dem Wege ge-
sammelt hatten und die Köpfe zusammensteckten, für's beste,
sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, und die Bauern
durch ein keckes Benehmen einzuschttchtern. So schritten sie
denn, die Flinten nachlässig, aber doch zugleich drohend unter
den Arm nehmend, trotzig ans die vorderste Gruppe zu —
es war der Schultheiß mit den Gemeinderäthen, die man
schnell herbeigerufen hatte — und riefen mit der selbst unter
Mohren und Kalmücken verständlichen Geberde, indem sie mit
dem Finger nach dem geöffneten Mund deuteten: ,,Manger,
manger, tont de suite!“ Die Bauern sahen sie verwundert
, an, ließen sie unbekümmert fort schreien, und betrachteten sie
von allen Seiten. Als endlich den Franzosen die Zeit zu
lang tvnrdc, und sie, iveil sie einmal so viel gewagt hatten,
noch mehr tvagen zu müssen glaubten und plötzlich die Ge-
! wehre aufuahmen, als ob sic schießen oder stechen ivollten,
; in der sicheren Erwartung, daß die Bauern stach allen Seiten
auseinanderlaufen würden, sahen sie sich ans einen Wink des
Schultheißen plötzlich von den jungen Burschen mit Texten,
: Sensen und Heugabeln umringt; ehe sie sich von ihrem
Schrecken erholen konnten, waren ihnen die Flinten ans der
i Hand und die Säbel von der Seite gerissen, und sie er-
warteten nun nichts anderes, als auf die erbärmlichste Weise
massakrirt zu werden. Da sic aber mehr erborgten als wirk-
! lichen Löwenmuth besaßen, so versuchten sie, nachdem das Sy-
stem der Einschüchterung gänzlich mißlungen tvar, ein anderes:
sie tvarfen sich auf die Kniee und baten demüthig um ihr
Leben, tvvbei sie auch einige Drohungen von vengeance und
grande armöe mit einfließen ließen, die sic sich füglich Hütten
ersparen können, da die Bauern kein Wort von allem ver-
! standen. Aber auch außerdem tvürden diese wenig dadurch
bewegt worden sein, denn der Schultheiß hatte, als er, vor
j seinem Hanse sitzend, die Nachricht von der Ankunft der zivei
fremden Gäste erhielt, sogleich zweierlei Maßregeln angeordnet,
einmal, daß die jungen Burschen sich bewaffnen, und dann,
daß einige oben zum Dorf hinauslugen sollten, ob nicht etwa
: noch mehr Franzosen nachkämen, und da hatte er eben in
: letzterer Beziehung die beruhigende Meldung erhalten, daß
weit und breit sonst kein Franzose zu sehen sei.
Da nun das Bolk der Bauern sehr wenig von jener
ritterlichen Großmuth besitzt, die den besiegten und wehrlosen
I _1__
Franzosen.
Feind sogleich an's Herz drückt, als ob er der beste Freund
wäre, so ließ man die Franzosen ans den Knieen liegen, ohne
ihnen irgendwelches beruhigende Zeichen über ihr künftiges
Schicksal zu geben, wärend der Schultheiß mit den Gemeinde-
räthen bei Seite trat, um zu deliberiren, was man mit den
zivei Schlingeln anfangen sollte. Da gab es drei verschiedene
Meinungen. Die Hitzigsten ivollten die ungebetenen, frechen
Gäste sogleich abgethan wissen. Denn, sagten sie, iver könne
den Kerlen trauen, daß sie nicht mit Heeresmacht wiederkom-
men und zur Rache das Dorf niederbrennen? Jedenfalls
werden sie die Lage des Dorfes verrathen, und dann sei cs
aus mit ihrer bisherigen Sicherheit und Ruhe. Die Wohl-
fahrt einer ganzen Gemeinde aber iviege wohl das Leben von
zwei solchen Gaunern ans. Dieser Rath schien zwar Allen
der sicherste zu sein, aber geivichtige Stimmen wiesen darauf
hin, was da beabsichtigt werde, sei nichts Geringeres als ein
doppelter Mord, und damit dürfe die Gemeinde dem lieben
Gott doch nicht den Schutz vergelten, mit dem er zeither so
sichtbarlich über ihr getvaltet. Lieber solle man die Franzosen
gut bewirthen, und dann frei ihres Weges ziehen lassen, sie
aber bedeuten, daß, wenn sie wicderkämen, man kurzen Pro-
zeß mit ihnen, sowie mit jedem anderen ihrer Landsleute
machen würde. Allein dieser Vorschlag schien doch zu Ivenig
Sicherheit zu bieten. Deßhalb tauchte ein dritter auf, maic
solle die Franzosen in's „Hänsle" stecken und dort so lange
verwahrt halten, bis der Krieg vorüber sei, dann könne man
sie ruhig laufen lassen, und sie müßten selbst sehen, ivie sie
wieder nach Hause kämen. Dieser Vorschlag vereinigte aller-
dings die Vortheile der beiden andern: man war sicher, nicht
verrathen zu werden, und hatte das Gewissen rein erhalten;
aber er widerstrebte dem Geschmack der Bauern unter allen
am meisten. Auf unbestimmte Zeit zwei so gefährliche Bursche
in der Mitte zu haben, sie beständig zu hüten und zu be- !
wachen, und, was die Hauptsache war, zwei solche Fresser
umsonst zu füttern! nein, das ging nicht an, das war un-
möglich. Und >vie würden diese ausgehungerten Gaudiebe
zulangen! Man wußte ja wohl, wie die hungrigen Franzosen-
mägen das übrige Land anfzehrtcn, und so würden diese zwei
auch sicherlich in kurzer Zeit das halbe Dorf aufgefressen
haben. Also auch mit diesem Vorschlag war es nichts. Aber
was dann? Das war die große Frage. Man war voll-
kommen mit seinem Witz zu Ende und sprach hundert Mal >
das schon Gesagte wieder hin und her, ohne zum Schlüsse
zu kommen, so daß selbst den zitternden Franzosen auf den j
Knieen die Zeit zu lang wurde, und sie durch Pantomimen
ihre Wächter baten, sich auf die Bank des nächsten Hauses
niederlnssen zu dürfen, was ihnen auch gestattet wurde. Zur
Vorsicht aber schlug man jedem einen Strick um den Leib
und zog diese Stricke durch einen starken eisernen Ring an
dem Hause, woran man sie wie sonst die unruhigen Ochsen
festband. Sv waren sie für den Augenblick wohl verwahrt,
aber was nun weiter?
Zum Glück war unter den Gemeinderäthen einer, den
man im Dorfe als einen Spitzkopf ansah. Er war voll listiger