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Anschläge und sublimer Gedanken, und sein Gehirn förderte
immer Dinge zn Tage, an die Niemand gedacht hatte.
Dieser flüsterte jetzt dem Schultheißen etwas in's Ohr, der
anfangs laut lachte, dann aber, als der Spitzkopf ihn ver-
sicherte, es sei kein Spaß, sondern lauterer Ernst, ungläubig
den Kopf schüttelte. Jener aber ließ nicht nach, sondern drang ,
immer stärker in ihn und wußte so überzeugend zn reden,
daß der Schultheiß, schon halb gewonnen, den wunderlichen
Plan auch den Anderen mittheilte, die ihn zuerst ebenfalls
als einen Scherz belachten, allmählich aber sich mit ihm be-
freundeten und zuletzt ihn mit Acclamation annahmen und
anseinandergingen, um den Vollzug einzuleiten.

Das erste, was geschah, war, daß die jungen Bursche
den Befehl erhielten, die Franzosen vorläufig in's „Häusle"
zu schaffen. Das „Hänsle" war, wie der Leser entweder
wissen oder doch schon vermnthet haben wird, das Staats-
gefängniß des Orts. Es führte aber seinen Namen ganz
mit Recht; denn es war wirklich ein an das Rathhaus ange-
bantes kleines Häuschen, das einem Nothstall aufs Haar
ähnlich sah. Dorthin wurden die Franzosen geleitet, die
niedrige Thüre geöffnet, und ihnen angedeutet, auf allen
Bieren, ivie es die Höhe der Oeffnung verlangte, in dieses
schmackhafte Logement zn kriechen, wo durch ein schmales,
vergittertes Fenster im Dache ebensogut für Beleuchtung ge-
sorgt war, als durch das eingestrente Stroh für sonstige Be-
quemlichkeit. Als die Franzosen dieses Behältnis; und vol-
lends das Loch sahen, durch das sie kriechen sollten, da em-
pörte sich trotz ihrer Angst doch ihr militärisches Gewissen und
sie versicherten unter vielen Schwüren, daß sie eher sterben
ivollten, als solche Schmach erleiden. Allein alsbald waren
ihnen die Hüte über den Kopf hereingeschlagen und mitsammt
ihrem Inhalt durch die Thüre gedrückt, und als sie sich noch
iveiter sperrten, fuhren ihnen die Bursche mit ihren Heugabeln
so bedeutsam an den Rockschößcn herum, daß sie von selbst
vollends eiligst hineinkrochen. Wie sie dann aber drin waren,
und das Thürlein hinter ihnen verriegelt, da hatten sie erst
die unangenehmsten Gefühle. Denn für's erste sahen sie diesen
engen Verschluß nur als das Präludium von dem an, was
Nachkommen sollte, ans dieses selbst aber machten sie aus dem
Präludium die trübseligsten Schlüsse. Für's zweite hatten
sic einen noch nüchternen Magen, der sehr gebieterisch Befrie-
digung verlangte, und dessen Ungestüm selbst die Todesfurcht
nicht zu dämpfen vermochte.

Allerdings aber verging ihnen der Hunger doch ganz
und gar, als nach Verlauf einer Stunde plötzlich die Thüre
geöffnet und eine Gestalt sichtbar wurde, die ihnen winkte
herauszukommen. Ueberzeugt, daß es jetzt zum Tode gehe,
gehorchten sie und sahen sich dem Schultheißen und den Ge-
meinderäthen gegenüber, hinter denen ein halbes Dutzend der
fatalen Sensen- und Gabelträger sich aufgepflanzt hatte. Jn-
deß beruhigte sie doch die Miene der Leute ein wenig. Denn
sie sahen wohl feierlich und ernst, aber nicht wild und blut-
dürstig aus, und manchmal verzog sich sogar ein Mund etwas
zum Lächeln. Um so gespannter waren sie, was man mit

ihnen anzufangen gedächte. Als sie ihrem Gelaß entstiegen
und ans die Füße gekommen waren bedeutete sie der Schult-
heiß, ihm zu folgen, die übrigen nahmen sie in die Mitte,
und man setzte sich in Marsch. Bald langte man vor einem
stattlichen Hause an — es war das des Schultheißen — mtb
trat über wenige Stufen in die Wohnstube. Hier >var das
erste, was den beiden Franzosen in die Augen fiel, ein ge-
deckter Tisch in der Ecke des Zimmers, und da der Hunger
sich bereits tvieder in seiner ganzen Stärke eingestellt hatte,
so verschlangen sie schon im Geiste den saftigen Braten, den
ihnen, lvie sie wähnten, die Generosität der Bauern zum Er-
satz für die überstandene Angst und tvohl auch, um das zür-
nende Frankreich zn versöhnen, vorsetzen würde.

Wirklich ließ man sie vor den zwei Gedecken, die man
auf dem Tische sah, Platz nehmen, und als sie das franche-
ment gethan, erschien die Hausfrau mit einer dampfenden
Schüssel, die sie ans den Tisch niedersetzte, worauf der Schult-
heiß jedem einen übervollen Teller ansschöpftc und sie cin-
lud zuzugreifen. Sie ließen sich das nicht zweimal sagen,
und da der Hunger bekanntlich ein sehr mächtiger Potentat
ist, so drückten sie auch diese Speise hinab, so absonderlich
sie ihnen Vorkommen wollte, denn in einer heißen, dampf-
enden Milchbrühe schwamm eine Menge Klöße, deren grauer
Farbe man's ansah, daß sie nicht von der feinsten Mehlsorte
waren, und zugleich so zäh und fest, daß die Franzosen bald
; merkten, man müsse sie, ob groß oder klein, ganz verschlucken,
denn beißen ließen sie sich nicht, außer man stocherte sie müh-
sam zwischen den Zähnen heraus. Nun, die Franzosen sind,
wie Jeder weiß, charmante Leute, und so waren auch die
beiden höflich genug, ihren Wirth nicht zn beleidigen, und
zwangen, so gut cs ging, nur manchmal sich bedeutsame
Blicke zuwerfend, die vollen Teller hinunter. Ihr Trost da-
bei >var, daß der.Braten alles tvieder gut machen würde, und
nur das war ihnen leid, daß sie sich mit der verfluchten
Suppe bereits ein gutes Stück ihres, einer besseren Kost
würdigen Appetits, genommen hatten. Als sie fertig tvaren,
schenkte der Schultheiß aus dem großen Krug, der ans dem
Tische stand, einem jeden einen Becher voll ein und hieß sie
Bescheid thnn. Recent genug war das Getränke, und ob es
gleich zu der vvrangcgangenen Speise gar wenig z» stimmen
schien, so leerten sie doch freudig die Becher ans das Wohl
des anrückenden Bratens, dem der scharfe Trank im Magen
ordentlich Platz machte. Aber ivie groß tvar ihr Erstaunen,
als der Schultheiß sie nunmehr einlud, aufznstehen und wic-
der der Thüre znging, »vorauf das übrige Gefolge sie wieder
in die Mitte nahm und ihm nachfolgte. Als tvitzige Köpfe
machten sich's die Franzosen indessen schnell zurecht. Es war
klar: man wollte die Last ihrer Verköstigung nicht Einem
znmnthen, und so theilten sich mehrere darein. Um so eher
ließ sich etwas Tüchtiges erwarten. Und so tvar es auch in
der That.

(Schluß folgt.)

Die beiden Frauzosen.

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