Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
196

Ein Weihnachtsmorgen.

von einem alten Geizhalse, der noch genug Schätze hinterläßt,
in die sich seine lachenden Erben theilcn können."

„War denn gar kein Verwandter bei ihm, als er starb?"
fragte der Jude, der bereits zu wissen schien, wer von der
Alten gemeint war.

„Nein," versicherte das Weib. „Es ist noch kein Hund
so verlassen krepirt, wie er. Als die Aufwärterin Morgens
zu ihm kam, fand sie ihn todt im Bette. Ihr Erstes war
dann, mich zu holen, um mit mir gehörig aufzuräumen; erst
nachher setzte sie seine Verwandten von seinem Tode in Kenntniß."

„Nun, wenn Ihr unter solchen Umständen mitgenommen
habt, was Ihr erwischen konntet, so ist Euch das nicht zu
verübeln. Aber packt aus, und laßt einmal sehen, was Ihr
erobert habt."

„Es sind nur lauter Kleinigkeiten, die jetzt dem Todtcn
doch nichts mehr helfen würden," sagte die Frau, indem sic
den Bündel öffnete und den erstaunten Blicken des alten Inden
12 leinene Hemden, ein halbes Dutzend Unterbeinkleider, dann
einen ganzen Stoß Handtücher und etliche 20 Paar Socken
zeigte, die in friedlicher Eintracht neben einem halben Dutzend
schwerer, silberner Eßlöffel lagen.

„Aber was schaut denn noch da unter der Wäsche vor!"
fragte der Jude, als er den Zipfel eines Stückes Scidenzenges
bemerkte, der unter den Hemden hervorsah. „Ei, sind denn
das nicht gar Bettvorhänge?"

„Freilich," entgegnete das rohe Weib mit einem höhnischen
Lachen, „ein ganz gut erhaltener, schwerseidener Bettvorhang
ist es, wie Ihr seht."

Sorgcr erschrak. Es kam ihm der Vorhang sehr be-
kannt vor; er sah gerade so aus wie sein eigener, ein Erb-
stück ans seinem väterlichen Hanse, . . . allein es konnte ja
doch ein anderer, ein dem seinigen nur ähnlicher sein.

„Aber so wahr ich lebe," rief der Jude, „wäre es
möglich, daß Ihr den Vorhang heruntergenommen habt,
während er noch in seinem Bette lag?"

„Bah, warum soll man Etwas liegen lasien, wenn man
nur die Hand darnach auszustreckeu braucht?" entgegnete die
Leichenfrau. „Das wäre eine alberne Schwäche. Aber nun
schätzt mir das Zeug und bezahlt mich. Ich kann mich nicht
so lange aufhalten."

Ein satanisches Lachen der Megäre begrüßte das lederne
Geldsäckchen, welches der Jude aus seiner Tasche heranszog,
um die Summe auszubczahlen, über die sich die Diebin mit
dem Hehler geeinigt hatte.

„Sperber," sagte Sorgcr heftig zitternd, „ich verstehe,
ich verstehe! Das Loos des Unglücklichen, der so allein und
vcrlasien starb, wie kein Hund krepirt, um mich des Aus-
druckes dieser Gaunerin zu bedienen, die den Todten auf
seinem Sterbebette beraubte, könnte auch das meinige werden!
. . . Dahin führt ein Leben wie das meinige! .... Aber
barmherziger Gott," rief er plötzlich aus, „was sehe
ich jetzt?" ...

Er fuhr erschreckt zurück, denn die Scene hatte sich
plötzlich verwandelt und er stand dicht vor einem Bette,

welches seiner Vorhänge beraubt war und auf dem,
in ein zerrissenes Leintuch gehüllt, eine Leiche lag.

Das Zimmer war finster, zu finster, als daß nur eini-
germaßen zu erkennen gewesen wäre, was sich Alles in dem-
selben befand. Es ließ sich kein Meubel, keine Tapete, kurz
nichts von seiner Ausschmückung unterscheiden, denn der einzige
matte Lichtstrahl, der zum Fenster hereindrang, siel auf das
Bett des Todtcn, bei dem Niemand wachte. Niemand betete,
Niemand eine einzige Thräne vergoß.

Nur Ratten hörte man unter den Dielen des Fußbodens
knistern. Es war, als wollten sic sich mit aller Gewalt eine
Ocffnung durch die Bretter bohren, um in das Sterbezimmer
zu gelangen. Warum waren sic so gierig, warum begehrten
sie mit so heftigem Scharren und Kratzen Einlaß?

„Geist, Geist!" flehte Sorgcr, „führe mich weg von
hier! Es ist zu gräßlich! . - - Ich werde nie die furchtbare
Warnung vergessen, die dieses Zimmer für mich enthält . . .
Aber führe mich weg, ... ich kann diesen Anblick nicht län-
ger ertragen."

Das Phantom war offenbar die Gefälligkeit selbst, denn
kaum hatte Sorgcr diese Bitte gestellt, als cs mit ihm durch
die Lüfte schwebte und ihn mitten in einem freundlichen Gar-
ten sanft wieder zu Boden ließ.

(Schluß folgt.)
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ein Weihnachtsmorgen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Haube
Bett <Motiv>
Toter <Motiv>
Leichenfrau
Tür <Motiv>
Ältere Frau <Motiv>
Einsamkeit
Karikatur
Beute
Zimmer <Motiv>
Alleinstehender Mann
Diebin
Beutel <Motiv>
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Umhang <Motiv>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 37.1862, Nr. 911, S. 196

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen