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Der Struwwelpeter als Radikaler.

auf 5 gestiegenen Anzahl von Auflagen und in zahllosen
Eremplaren durch ganz Deutschland verbreitet wurde, sondern
auch in öffentlichen Blättern, welche fich nicht ausdrücklich mit
diesem Zweige der Literatur zu beschäftigen pflegen, z. B. in
der Augsburger Allgemeinen Zeimng wiederholt erwähnt und
angepriesen ward. Wir erkannten darin ein oft geübtes
Manoeuver der Partei, die fich namentlich der dämonischen
Kraft der Presse mit unglücklichem Glück zu bedienen weiß.
Freilich gibt es, Gott Lob, der lieben Kinder in Deutschland
genug, und auch an Theilnahme für ihre Literatur fehlt es
dem, trotz aller gegencheiligen Bemühungen kindlich gebliebe-
nen Sinne deutscher Nation nicht; aber fünf Auflagen, und
sogar eine franzöfische Uebersetzung (?ierre-8lrouvelj, die in
dem verdächtigen Elsaß erschienen sein soll, waren ein unver-
hältnißmäßigeS Resultat, wie es in neuester Zeit nur verbotene
oder radicale Erzeugnisse haben können, während die wahrhaft
gute Presse bekanntlich nirgends ihre Kosten zu decken pflegt.
Durch diese, vielleicht von einigem Scharffinne zeugende Ent-
deckung, argwöhnisch gemacht, — denn, da wir selbst nicht
Vater find, auch durch ernste Berufsarbeiten von fchönwiffen-
schaftlicher Beschäftigung ferngehalten werden, hätten wir daS
Werk sonst vielleicht übersehen, — ließen wir uns die neueste
Auflage deS Struwwelpeter in müßiger Stunde holen, und
durchblätterten fie mit wachsendem Entsetzen. Dieses Werk
ist durch und durch negativ; eS verräth fich schon damit,
und charakterifirt seine ganze Richtung. Statt der lieben,
zarten Jugend nur Beispiele des Guten und Schönen vor-
zuhalten, Beispiele der Wahrheit, Gottesfurcht und Tugend,
gibt eS ihr lediglich Mängel, Unarten und Verbrechen,
aber in so verführerisch - schönen Bildern, daß dieselben,
statt deS angeblichen Zweckes der Abschreckung, gerade die
entgegengesetzte Wirkung erzielen. Beurkundet nicht diese eine
Eigenschaft den inneren und nothwendigen Zusammenhang
dieser sogenannten Kinderschrnr, mit den verdammungswür-
oigen Produkten neuftanzöfischer Romantik und jungdeutscher
Novellistik?

Wir gehen über diesen ersten und allgemeinen Eindruck
hinweg, um in dem einzelnen Beispiele die Wahrheit unserer
Bemerkung darzustellen. Was bietet uns gleich das Titelkupfer?
Ein Kind, das ißt! Welcher grobe Materialismus, welche An-
reizung zum gemeinen Sinnengenuffe! Warum nicht ein beten-
der Knabe, und ein Mägdlein mit dem Strickstrumpf, darunter
das gute alte Sprüchlein: „ORA ET LABORA?“ Oben hän-
gen, als lockendes Spielzeug — Waffen: eine Flinte und ein
Säbel, letzterer sogar entblößt —! — Also eine Aufforderung
zum offenen Widerstande gegen die Staatsgewalt an das junge
Gemüth! Wir haben in unserer Kinderzeit an einem Krippen-
spiel uns lang und innig ergötzt; es waren Schäflein dabei,
— freilich nur ein Klümpchen Baumwolle auf vier Schwefel-
Hölzchen, — ein heiliger Joseph mit einer Flachsperücke, ein
ChristuSkind aus Wachs, eine Einfiedelei von Buchbinder-
Pappe, und wie glücklich find wir in diesen einfachen, zum
Herzen redenden Dingen gewesen, wie haben diese, damals !
l uns fttllich unverständlichen Symbole den kirchlichen Sinn in

uns geweckt! Nicht umsonst fingt ein großer Dichter: „Hoher
Sinn liegt oft im kindischen Spiel," und die bleibende Ge-
walt erster Eindrücke ist gewiß Jedermann klar. Wir schau-
dern, wenn wir heul' zu Tage, vor einem Spielwaarenlager
stehen bleibend, kleine Eisenbahnen, blecherne Dampswagen,
Puppen - Toiletten, Küchengeschirrlein, Kanonen und ähnliches
Mordgewehr zusammengestellt erblicken. Was lemt das arme
Kind aus solchen Aeufferlichkeiten? Welllust und Welteitelkeil,
ein frivoles Spiel mit furchtbaren Naturkräfte», die ihm besser j
ewig unbekannt blieben, einen Hang nach finnlichen Genüssen
und Zerstreuungen; sonst nichts!

zeichnen es ab, so gut wir verniögen *), freilich ohne die
Hauptsache, die Farben, zu geben, und fügen unserer Erklärung
hinzu: Dieser Struwwelpeter, angeblich ein abschreckendes Bei-
spiel körperlicher Unreinlichkeit und Verwahrlosung, ist im
Grunde nichts anders, als die Verführung zu burschenschaft- j
lichen Tendenzen durch bestechende Darstellung eines Ideales
von einem .deutschen Jünglinge." Oder trugen fie nicht gerade
so ihr Haar, die unglücklichen Verirrten, die vor zwei, drei
Jahrzehnten unser Vaterland an den Rand des Abgrundes
brachten?! Ist daS nicht der .altdeutsche Rock" mit dem über-
gelegten, mehr oder weniger weißen Hemdkragen? Pfui, welche
Bosheit, welche Verstellung, welch' schamlose Abfichtlichkeit in
jedem einzelnen Zuge! Links die Scheere, — was will fie
anders, als daß fle einen Theil der ausübenden Gewalt, die
nach gehelligten Verträgen bestehende Censur, verhöhnt? Der
im Originale rothe Rock, drückt er nicht Freude aus, die maß-
los wachsenden Nägel die maßlos wachsende Kraft des Volkes? ;
Spricht die grüne Farbe des Strumpfes nicht symbolisch aus:
.Dieser deutsche Jüngling hofft aus den Strumpf zu kommen?!?" !

Aber, Geduld nur: noch klarer wird die geheime Sprache
und die Fülle tiefliegender Anspielungen des verruchten Werkes
von uns an den lichten Tag gezogen werden. Die »Geschichte
vom bösen Friedrich" ist offener Aufruf zur Empömng, ist
beredte Apologie des Communismus. Wer unter dem Friederich
gemeint ist, der .ein arger Wütherich" genannt wird, das ver-
bietet uns der Respekt zu vermuthen; der Hund aber, den der
.bitterböse Friederich" mit der Peitsche schlägt und tritt, und
immer mehr schlägt, bis er »sehr heult", dieser Hund gilt in

") Siehe da« Bild zu Anfang.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Struwwelpeter als Radikaler"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Hund <Motiv>
Bein <Motiv>
Hundebiss
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Der Struwwelpeter <Motiv>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 6.1847, Nr. 137, S. 130
 
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