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j4 Bestellungen weiden in allen Buch- und Kunst- wöchentl. ein Mal. Preis des Bandes (26'Jini.) T

' Handlungen, sowie von allen P osiäniiern und |yrl>‘ bfl. 54 kr.Südd.od. 2Thlr 5 Sgr., excl.Porto

Zeitungsexpeditionen angenommen. Erscheinen bei directem Bezüge. Einzelne Nrn. 9 kr. od. 2'/^ Sgr.

Ein symmetrischer Bürgermeister.

In dem kleinen Städtchen M. herrschte eine große, allgemeine
Aufregung — der Herr Bürgermeister war krank, sogar bedenklich
krank, denn der einzige Arzt in M. mußte den Krankheitsfall
selbst für einen sehr schwierigen halten, weil er zur Konsultation
noch einen gelehrten Collegen aus der vier Meilen entfernten
größeren Kreisstadt berufen hatte. Die guten Bürger von M.

| aber schüttelten die Köpfe und meinten: es müsse doch schlimm
j Mit ihrem Bürgermeister stehen, weil ihr Doktor sich nicht getraue,

I allein mit ihm fertig zu werden.

So bedeutend das Amt eines Bürgermeisters nun auch in
einer großen Stadt ist, in kleinern Laudstädtchcn besteht gewöhnlich
der größte Theil der Macht und Würde meist nur im Titel.
Das Stadtoberhaupt braucht dort kein studirter Mann zu sein;
die Stelle ist „gehaltlos" und die Bürger wählen den Meister
aus ihren Reihen. Viel zu befehlen hat freilich ein solcher
Bürgermeister auch nicht und wollte er es ja thun, so dürfte
er kaum auf unbedingten Gehorsam rechnen können.

Der krank darniederliegende Bürgermeister von M. war
| seines Zeichens im gewöhnlichen Leben ein Maurermeister, ein
schlichter, einfacher Mann voll Ordnungsliebe und einer bei
! seinem Stande leicht erklärlichen Hinneigung zur Symmetrie.

! Diese Letztere war fast zur Leidenschaft bei ihm geworden, und
Alles, was sein Schönheitsgefühl beleidigte, suchte er entweder
Zu verbessern oder zu beseitigen. Ging ihm etwa unterwegs
zufällig auf einer Seite seines Rockes ein Knopf verloren, so
konnte man sicher sein, daß er einstweilen sofort den entsprechenden
Knopf an der andern Seite des Rockes abtrennte, um nicht un-
symmetrisch zu erscheinen.

Einstmals hätte ihn diese Schwärmerei für Symmetrie fast
um sein Amt und um das Vertrauen seiner Mitbürger gebracht.
Man hatte nämlich bei Gelegenheit des Jahrmarktes einen Dieb
erwischt, und dieser ward zu Gefängniß und der damals noch

hie und da üblichen Ausstellung am Pranger oder zu Halseisen
verurtheilt. Ganz M. freute sich schon königlich auf dieses
Schauspiel, und zumal die jugendliche Bevölkerung sammelte mit
Eifer faule Aepsel und verdorbene Eier, um damit bei dieser
sich so selten darbietenden Gelegenheit den Missethätcr nach
Herzenslust zu bombardiren.

Nun befanden sich aber in M. zwei Halseisen, an jeder
Seite des Rathhausthores je eines. Zur Zeit des Amtsantrittes
des Herrn Bürgermeisters war nur an der linken Seite des
Thorweges ein Halseisen angebracht gewesen und dies störte
das symmetrische Gefühl des neuen Würdenträgers so sehr, daß
er schon in der ersten Rathssitzung den Antrag zur sofortigen
Beschaffung eines zweiten Halseisens für die leere rechte Seite
des Thorweges stellte. Dieser so naturgemäße Vorschlag wurde
einstimmig — abgelehut, denn die Bürger von M. behaupteten
mit imponirender Einhelligkeit, daß für sie, sowie für ihre
Kinder und Kindeskinder ein Halseisen unbedingt mehr als
hinreichend sei. Der Bürgermeister grollte Anfangs gewaltig,
endlich aber beruhigte er sich und — ließ auf seine eigenen
Kosten jenes zweite Halseisen an der rechten Thorwegseitc des
Rathhauses anbringen, damit er den entsetzlichen Verstoß gegen
alle Regeln der Symmetrie nicht täglich vor Augen zu haben
brauchte.

Jetzt also sollte einmal das Halseisen in M. in Thätigkeit
kommen, aber dabei gerieth der Schönheitssinn des Herrn
Bürgermeisters wieder in arge Verlegenheit; denn man hatte
ja zwei Halseisen und nur einen Dieb! Da war nun
guter Rath theuer, denn cs gab in ganz M. auch nicht einen
einzigen Verbrecher weiter, den man der Symmetrie wegen hätte
i» das andere Halseisen stecken können. Der Bürgermeister hätte
sonst etwas darum gegeben, wenn man zu jener Zeit noch einen
andern Dieb oder irgend welchen Verbrecher auftreiben würde,
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