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Ein Mann ber Pünktlichkeit.

Dipfler einen Wagen mit zwei Pferden, später einen solchen
mit einem Pferde, dann nur mehr den Wagen und seit er sein
einziger Patient geworden, auch diesen nicht mehr. Nur der
Kutscher war nun in einen Bedienten verwandelt im Hause
geblieben. Dieser Kutscher war das letzte Opfer der Heilkunst
des Herrn Dipfler geworden. Nach vier verschiedenen sich rasch
folgenden Grundsätzen von dem Herrn Doktor behandelt, hatte
er das Zeitliche gesegnet und an seine Stelle war ein neuer
Diener getreten, der sich von seinem Vorgänger zwar nicht
durch den Namen — denn auch er hieß Johann — wohl
aber dadurch unterschied, daß er um viele Jahre jünger und
unerfahrener war.

Herr vr. Dipfler hatte nicht verfehlt, demselben einen
gründlichen Vortrag über Ordnung und Pünktlichkeit zu halten
und als obersten Grundsatz eines Dieners ihm den ge-
nauen, wörtlichen Vollzug aller Befehle seines Herrn an's
Herz zu legen.

Der neue Johann hatte Talent zur Accurgtcsse. Da er
von seiner Soldatenzeit her es nicht liebte viel zu denken, sondern
nur pünktlich zu gehorchen, bewegte er sich mit mechanischer
Pünktlichkeit in dem engen Kreise der häuslichen Geschäfte
alsbald ziemlich sicher und der Herr Doktor war mit ihm zu-
frieden.

So stand es mit Herrn vr. Dipfler und seinem treuen
Diener Johann. Eines schönen Tages kam nun ein Brief
durch die Stadtpost an den Herrn Doktor. Derselbe war von
einem alten Freunde Dipflers, einem sehr wohlhabenden Manne,
der früh geheirathet und eine Tochter hatte, ans welche der
Doktor im Stillen längst seine Wünsche gerichtet, wenn er auch
nie sich entschließen konnte, davon mehr als einige Andeutungen
seinem Freunde gegenüber verlauten zu lassen. Der Freund
hätte den Herrn Doktor gern zum Schwiegersöhne gehabt, denn
er schützte denselben um seiner gewissenhaften Pünktlichkeit willen
außerordentlich. „Ein Mann wie Doktor Dipfler wird mein
Vermögen nicht verschwenden und meine Tochter glücklich
machen —," so dachte der alte Bornberger bei sich und darum
schrieb er dem Herrn Doktor folgenden Brief:

„Lieber alter Freund!

Durch einen Rheumatismus im rechten Fuße verhindert
Dich zu besuchen, setze ich Dich in Kenntniß, daß ein junger
Mann — Stadtgerichtsassessor — dessen Namen ich Dir
mündlich mittheilen werde, gestern um die Hand meiner
Emma angehalten hat. Ich habe mir drei Tage Bedenk-
zeit ausgebeten. Da ich weiß, daß Du für meine Tochter
immer ein wahrhaft freundschaftliches Interesse hattest, möchte
ich die Angelegenheit mit Dir, meinem alten Freund, be-
sprechen und Deinen Rath hören, ehe ich dem Herrn
Assessor eine entscheidende Antwort gebe. Sei demnach so
gut, heute oder morgen zu uns zu kommen, damit wir
Alles gründlich miteinander erwägen können. Mit herz-

lichen Grüßen

Dein

Bornberger."

Der Brief war verständlich. Herr vr. Dipfler wäre
schier in Unruhe gerathen, aber seinem Grundsätze getreu, der-
artige wichtige Dinge stets auf den andern Tag zu verschieben,
da oft über Nacht die besten Gedanken kommen, steckte er den
Brief ruhig zu sich und unterließ es am ersten Tage, seinen
Freund Bornberger zu besuchen. Seine Gedanken waren aber
seit er den Brief gelesen, lebhafter als sonst auf Emma Born-
berger gerichtet und als er Abends in seinem Zimmer allein
bei der Lampe saß und den Rauch aus einer behäbigen Mcer-
schaumpfeife schweigend vor sich hinblies, da ward ihm klar,
daß Emma und keine Andere für ihn zur Lebensgefährtin passe
und daß er höchste Zeit habe, sich zu entschließen, wollte er
nicht sein Leben lang Hagestolz bleiben. Es fehlte nicht viel,
so hätte sich der Herr Doktor noch Abends spät auf den Weg
zu Bornberger gemacht, aber er hielt an seinem Grundsätze fest
und begab sich zu Bette, um über die Sache noch einmal zu
schlafen.

Nun kommen über Nacht ost die besten Gedanken, bei
Herrn vr. Dipfler kam aber über Nacht noch etwas Anderes.
Wie er nämlich am andern Tage aufstehen will, kann er das
rechte Bein nicht rühren, der Rheumatismus seines Freundes
Bornbergcr war in dasselbe gefahren, und trotz aller An-
strengung erkannte der Herr Doktor bald die Unmöglichkeit,
heute seinen in einem entlegene» Stadttheile wohnenden Freund
zu besuchen. Er wartete bis Mittag, wendete warme Umschläge,
Senfteig, kalte Umschläge, schweißtreibende Pulver, Franz-
branntwein und weiß Gott was sonst noch an — der Rheu-
matismus wurde immer bockbeiniger und zwang ihn, daheim zu
bleiben. Für solche Fälle ist die Stadtpost eine kostbare Er-
stndung. Herr Dr. Dipfler schleppte sich demnach mühsam zu
seinem Schreibtisch, nahm ein extrafeines Briefpapier und schrieb
an seinen Freund folgendes Briefchen:

„Mein lieber alter Freund!

Leider macht auch mir ein plötzlich eingetretener Rheu-
matismus es unmöglich, Deinem Wunsche gemäß Dich zu
besuchen. Du weißt, daß ich seit langer Zeit mein Auge
auf Deine liebe Emma gerichtet habe; ich danke Dir für
den Beweis ächter Freundschaft, den Du mir durch Deine
Mittheilung gegeben. Könnte ich ausgehen, so würde ich
noch heute persönlich Dich um die Hand Deiner Emma bitten,
denn ich bin entschlossen, mit ihr das Leben zu theilen.
Näheres mündlich. Hoffentlich kann ich bis morgen aus-
gehen — jedenfalls rathe ich Dir, ganz abgesehen von
meinen eigenen Wünschen, aufrichtig ab, Dein liebes Kind
einem Stadtgcrichtsasscssor zu geben, In alter Treue

grüßt Dich Dein Dr. Dipfler."

Dipfler hatte den Brief sorgfältig zusammengelegt, dann
wieder entfaltet, noch zweimal überlesen, dann in ein Couvert
gesteckt und dasselbe zugeklebt. Nachdem er die Adresse mit
großer deutlicher Schrift geschrieben hatte, und eben im Begriffe
war, den Johann zu rufen, um ihm das Briefchen zu übergeben,
kam dem Doktor der Zweifel, ob der Brief wirklich im Couvert
sei oder ob er nicht am Ende ein Recept oder ein anderes
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