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186

Der Stillst«

augenblicklich füllte, sobald es leer geworden. Mir schien sie
heute nicht hold, denn mein Glas blieb immer so lange leer,
bis der Vater in schmollendem Tone sagte: „Heliodore, fülle doch
diesem Herrn das Glas!" Fast mit widerstrebender Hand goß
Heliodore den duftenden Nektar in mein Glas, aber dabei sah
sie mich so schelmisch an und dann wieder so innig, fast flehent-
lich, daß es mir im Herzen klar ward, es sei nicht Abneigung
gegen mich, was sie bestimme, mir den Nektar in so spärlichen
Dosen zu reichen, sondern irgend eine Schalkheit, an denen das
weibliche Herz ja so reich ist, müsse dahinter stecken nnd unter
dem Scheine der Disharmonie sei doch vollendete Harmonie
unter uns.

Die schelmischen Blicke Heliodorens einerseits, anderseits
das Vergnügen, das es mir immer machte, einen Gelehrten auf
seinem Steckenpferde herumreiten zu sehen, veranlaßten mich, den
guten Professor immer in Athem zu erhalten und ich sagte nun:
„Wenn unsere Erde in so raschem Fluge dahinsaust und wir
die Bewegung gar nicht bemerken, wie rasch denn der Flug
eines Vogels sein müsse, von dem wir doch deutlich bemerken,
daß er vorwärts komme?"

„Was — vorwärts kommen?" eiferte der Professor, „der
Vogel kommt nicht vorwärts, sage ich Ihnen, er erhebt sich
durch die Kraft seiner Schwingen in eine gewisse Höhe, die,
wie sie leicht sehen können, bei dem verschiedenen Bau der
fliegende» Thiere ungleich ist. Die Kraft der Flügel reicht
aber aus, um ihn eine Zeit lang in der Lust schwebend zu er-
halten, und die Gegenstände fliehen unter seinem Leibe weg.
Das ist die Drehung der Erde, sage ich Ihnen! Ja Herr, so
ist es! — Diese Idee ist Ihnen neu, nicht wahr? sie geht
auch von mir aus, aber ich kan» Ihnen die Sache beweisen durch
Ziffern und Zahlen. Ja, ich weiß wohl, daß in neuester Zeit
wieder Männer austauchen, die den Lehrsatz Galilei's umstoßcn
wollen, aber ich will ihn beweisen. Mit einem Werke über die
Rotation der Erde will ich jeden Zweifel aus der Brust des
Menschen reißen, und jedem Laien muß es klar sein, daß und
wie sich die Erde bewegt. Ich will das beweisen durch alle
Sinne, ja durch den gröbsten aller Sinne — den Geruchsinn
— können sie wahrnehmen, in welcher Luftschicht wir eben sind.

Riechen Sie nichts?" fragte der Professor, indem er in
der Lust herumschnüffclte, „Mokka und Knaster — wie?"

Um ihm gefällig zu sein, schnüffelte ich auch eine Weile
in der Luft herum und sagte: „in der That, es kömmt mir
auch so vor."

„Nun also," da haben Sie den Beweis," -rief triumphirend
der Professor, „den Beweis für die West - Ost - Notation der
Erde durch den nervös olkaetonns. Wir haben eben die Luft-
schicht der Türkei passirt."

Im Eifer des Gespräches flog dem Professor der Cigarrcu-
stummel aus dem Munde und lief, gemäß den Theorien seines
Herrn, von Ost nach West, lvoraus der Professor mit schlaf-
trunkenen Augen die Drehung der Erde West-Ost per visum
constatirte. Der Cigarrcnstummel rollte fast bis zu den Füßen
Heliodorens, die, als ich sie anblickte, den Finger an den Mund

nd der Erde.

hielt, wodurch sie mir offenbar andeuten wollte, daß ich schweigen
solle. Der Professor, der sich müde geredet hatte und vielleicht
über Zahlen nachdachte, schwieg auch und ich trat mechanisch an
den Tubus, kreuzte die Hände über dem Rücken und schaute
nach den Sternen empor.

Ein paar Minuten herrschte tiefe Stille, da fühlte ich mich
plötzlich von einer zarten Hand am Mittelfinger leise gedrückt.
Die Hand des Professors konnte es nicht sein, da er von
chemischen und physikalischen Experimenten, die er häufig machte,,
eine sehr rauhe Hand hatte. Es war auch nicht der Professor
gewesen, sondern Heliodore, die, als ich mich nach ihr umsah,
abermals die Pantomime des Schkbeigens machte und mit der
linken Hand auf den Professor deutete, der über einem Buche
eingeschlafen war. Das war ein kritischer Moment, den Heliodore
offenbar herbeiführen wollte; darum also hatte sie dem Vater
sooft eingeschenkt! Lange schon hatten sich unsere Augen gesagt,
daß wir uns lieben. Ueber die Lippen war das Geständniß
noch nicht gekommen, da wir hiezu nie Gelegenheit gefunden.
Desto gefährlicher war die jetzige Situation. Ein halblautes
Wort konnte den Professor wecken und seinen Zorn dazu.

Obwohl ich sein bester Freund war, hätte er mir doch
ein Liebesverhältniß mit seiner Tochter, die er überaus liebte
und mit welcher er sehr hohe Pläne hatte, nie verziehen; um
so weniger ein tete ä tete hinter seinem Rücken. Aber die
Liebe hat eine andere Sprache, die nicht des schallenden Wortes
bedarf. Meine Linke hielt Heliodorens linke Hand, und die
Rechte auf das Herz legend, suchte ich ihr dadurch anzudeuten,
daß mein Herz nur für sie schlage. Auch Heliodore legte die
Hand auf ihr Herz und so standen wir eine Weile Auge in
Auge versunken, stumm, unbeweglich, und vergaßen die Sterne
über uns und die Drehung der Erde unter uns.

Aber unsere Herzen standen nicht lange stille. Ich versuchte
Heliodore an meine Brust zu ziehen und einen glühenden Kuß
der Liebe auf ihre Rosenlippen zu drücken. Heliodore wider-
strebte nicht! Sie ließ sich von mir an's Herz drücken, um-
schlang meinen Nacken mit ihren weißen Armen, und innig hingen
wir Mund an Mund in lautloser Stille in Wonne aufgelöst.
Ueber unserem Haupte die funkelnden Sterne, zu unseren Füßen
die schlafende Welt der fühlenden Geschöpfe! Uns dünkte, wir
seien die einzigen Wesen, die jetzt wachen nnd die Wonne des
Lebens genießen, und welche Wonne! — die unnennbare Wonne
stiller inniger Liebe! — Wie lange das gedauert, wie oft wir
uns den ersten Kuß gegeben hatten, wußten wir nicht. Wahr-
scheinlich wäre auch der Komet darüber auf- und untergegangen,
wenn nicht eine höchst prosaische Sache den herrlichen Moment
zerstört hätte. O Fluch dem plumpen Kobolde irdischer Prosa!
— wie ist er immer bereit den Menschen, die sich im poetischen
Fluge über das Alltagsleben erheben wollen, seine Schlingen
um die Füße zu werfen und sie mit dem ganzen Bleigewichte
seines plumpen ekelhaften Wesens zu Boden zu ziehen.

Der verhängnißvolle Cigarrenstummel, der dem Professor
aus dem Munde gefallen war, sollte dießmal das Werkzeug des
boshaften Dämons sein. Als Heliodore zum letzten Male ihre
Arme recht innig um meinen Nacken schlang und sich dabei
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