Fliegende Blätter (61.1874 (Nr. 1511-1536))

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Vereins-Epidemie.

schlage ich Ihnen daher als erste Resolution vor, wo möglich
einstimmig auszusprechen, daß ich in Ihrem Sinne gesprochen
habe." (Rasendes Bravo.)

Präsident: „Die erste Resolution ist angenommen. Der
Begriff eines Lumpen muß zeitgemäß erweitert werden. (Noch-
maliges Bravo.) Herr Beinringler hat das Wort!"

Beinringler: „Verehrte Lumpen- und Hadernsammler-
versammlung! Die Lumpen werden bekanntlich nicht gezählt,
sondern gewogen. (Bravo.) Je größer daher die Lumpen sind,
um so mehr fallen sie in's Gewicht, je kleiner, desto weniger geben
sie aus. Wir müssen daher dahin trachten, daß nicht nur die
kleinen, sondern auch die großen und größten Lumpen
zum Einstampf kommen, und gebe ich mir die Ehre, Ihnen
vorzuschlagen, die zweite Resolution in diesem Sinne zum Be-
schlüsse zu erheben!" (Allgemeines Bravo.)

Präsident: „Auch diese zweite Resolution ist ange-
nommen!"

Eine Dame aus dem Hintergrund: „Ich bitte
um's Wort!"

Präsident: „Frau Radelberger hat das Wort!"

Frau Radelberger: „MeineHerrn! Ich sammle nun seit
25 Jahren! Es sind mir viele Lumpen unter die Hand gekommen,
das dürfen Sie glauben. Wenn man so ein gesammeltes Dasein
hinter sich hat, dann erwacht der Wunsch nach Versorgung.
Ich rede nicht von mir, — ich rede von uns Allen. (Bravo.)
Was würde aus der Welt, aus dem Staate, wenn wir nicht
wären? Wie könnte Kultur und Politik gedeihen ohne Papier?
Ist nicht Papier die Seele des modernen Kulturstaates? Ohne
Papier keine Bücher, keine Zeitungen, keine Akten, also ohne
Papier keine Bildung, kein Fortschritt, kein Staat — aber ohne
Lumpen kein Papier! Wir Lumpcnsammlerinnen machen keinen
Staat, aber der Staat muß für uns sorgen, weil er ohne uns
nicht existiren kann. Darum verlangen wir Staatspensionen für
alte sammlungsunfähige Lumpen-Sammler, und Sammlerinnen,
das ist meine Meinung! (Unermeßlicher Beifall.)

Präsident: „Hat Fran Radelbcrger in Ihrem Sinne
gesprochen? (Allgemeines Ja.) Also erkläre ich Namens des
ersten Vereinstages: wir verlangen Staatspensioneu!" (Bravo.)

Stimme aus dem Hintergrund: „Wenn wir's nur
schon hätten!"

Präsident: „Geduld! Meine Herrn! Mit der Zeit kommt
Alles. Aber noch auf Eines möchte ich Hinweisen. Das Schlag-
wort iniserer Zeit ist Salubrität. Wer macht sich um die
Gesundheitspflege, um die öffentliche Reinlichkeit verdienter, als
wir, die wir alle alten gesundheitsschädlichen Lumpcnstoffe sammeln,
dem Verkehre entziehen und dadurch die Welt vor dem Gifte
der Ansteckung bewahren? Ich schlage Ihnen deßhalb als Schluß-
resolution den Wunsch vor, daß wir Lumpen- und Hadernsammler
als Medicinalpcrsoncn geachtet und in allen Gcsundheitsrüthen
der größeren Städte Sit) und Stimme zu erhalten berechtigt
erklärt werden sollen. (Stürniischcr Beifall.) Wünscht noch
Jemand das Wort? (Stillschweigen.) Wen» nicht „ so erkläre
ich den ersten Vereinstag für geschlossen und lade Sie ein, auf

das fernere Gedeihen unserer Sache ein Hoch auszurufen." (Drei-
faches Hoch.)

Frau Radelberger: „Meine Herrn! Unfern Präsi-
denten für die umsichtige Leitung ein donnerndes: „Ha—der
Lump!" (Hundertstimmiges „Ha—der Lump". Allgemeine Ver-
brüderung. Heitere Geselligkeit und gemüthliche Unterhaltung bis
spät in die Nacht.)

Damit endet der erste Lumpensammler-Tag.

Demis-Miris.

Aus Drmokrit's Liederbuch.

Von l)r. Märzroth.
(Fortsetzung.)

Muulerfpiegel.

„Selbsterkenntniß" liefert Spiegel,
Scharf und ohne Fehl im Glas,
Aber wahre Wunderspiegel
Kriegt man bei Frau Vanitas!

Wer in jene wagt zu blicken
Ziehet oft ein schief Gesicht,

Denn sein Bilduiß in dem Spiegel
Manchmal, ach, bchagt's ihin nicht!

Wer in diesem sich betrachtet.

Dem sein Ich gewiß gefällt.

Bei Fran Vanitas die Spiegel
D'rum bezieht auch alle Welt.

Und die Sache ist natürlich:

Sieht hinein ei» Esels köpf.

Sieht heraus ein — edler Löwe
Mit dem stolzen Mähnenschopf.