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Der Cäcilien-Ball.

Ober er nahm das eine oder das andere Buch, das er aus
dem Geschäft zur Durchsicht mitgenommen, und mit hoher Be-
geisterung las er die herrlichen Dichtungen der Klassiker. Dann
löschte er das Licht aus. betete für seine Stiefmutter und seine
Geschwister, und schlief ein.

So ging es lange Zeit, bis er 22 Jahre alt geworden.
Die Leute, an denen er still vorüber ging, hießen ihn den
»armen Teufel". In sein Leben war bis jetzt kein einziger
Sonnenstrahl gefallen, der im Stande gewesen wäre, eine stille,
geistige Knospe zur lebensvollen Blüthe zu erwecken.

Seine einzige Freude war. Sonntags auf dem Chore der
Kirche im Orchester Mitwirken zu dürfen. Er spielte die zweite
®eigc, obgleich er weit schöner die Soli hätte spielen können,
als sein Vordermann, der nicht viel Talent, aber ein schönes
Vermögen besaß. Da oben vom Chor war es so wundervoll hin-
unter zu schauen in die geputzte Menge. Kops an Kopf gedrängt,
lnicten in den Bänken des Mittelschiffes die Frauen und Mägd-
lcin der reichen Bürger. In den Seitenschiffen und direct unter
dem Chor standen in langen Reihen die Banernweiber in ihren
bunten Trachten. Der Pfarrer hatte die Predigt beendet, die
®Mt’e begann, und jetzt schallten in mächtigem Brausen die
herrlichen Orgeltöne durch den Dom. und die Instrumente fielen
.e>n mit Pauken und Trompeten, die Geigen schwirrten und der
Vas; brummte dazu. Da war Gottlieb wie im Himmel und
geigte mit. das; cs eine Freude war.

Jetzt verhallt der letzte Ton durch das hohe Gewölbe.
Nun beginnt der Umzug: Die knieenden Frauen erheben sich,
die Bauernweiber drängen langsam nach vorn. Kirchendiener in
chrcn rothen Mänteln öffnen die haushohen Kästen an den
Pfeilern und holen die bunten Fahnen und die Kreuze hervor,
die Schulkinder nehmen die Kerzen zur Hand, und der Umzug
durch die Kirche setzt sich in Bewegung. Jetzt biegt der Baldachin
um die Ecke, unter welchem geneigten Kopfes die hohe Gestalt
des Bischofs schreitet, und hinterher trippeln die kleinen Mäd-
chen im weißen Gewände, klein und immer größer, bis zu
den Fräulein, den Töchtern der Stadt — — ach Gott, wenn
ttf) nur auch einmal mitgehen dürfte, dachte Gottticb! Er
bernahm ein Seufzen neben, sich, und über die Brüstung, keine
zwei Schritte weit an seiner Seite, schaute ein Mädchen in
das Leben der Kirche hinunter, mit so traurigem Blick, als
hätte sie gerade so gedacht, wie Gottlieb. Er aber rückte
hastig bei Seite und ging, über und über roth, leise in den
Hintergrund zu seinem Pulte.

Der Schlußsatz begann mit dem Orgelpräludium. Gott-
iieb hatte nur Augen für das Mädchen, die dort drüben unter
den andern Sopranistincn mitsang. Wie kommt denn sie hier
herauf unter diese armen Geschöpfe? dachte er immer, und
dachte es noch spät, als er wachend in seinem Dachkämmerchen
auf dem Bette lag.

Nächsten Sonntag war sic wieder da. und so alle Sonn-
lage. Gottlieb war glücklich, wenn er das zarte, bleiche Ge- I
llchtchen. den leicht geneigten Kopf mit dem vollen Lockennetze
iah; aber er versteckte sich immer so. daß sie ihn nicht bemerken j
launte. Auch sah sie nicht um. Ihr Blick lag auf dem Noten-

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hefte, und in den Zwischenpausen lehnte sie an der Brüstung
und sah hinunter in das Schiff der Kirche.

Er kannte das Mädchen. Sie hieß Jula Groß. Da-
mals. als er 14 Jahre alt war. schickte ihn sein Vater in die
Tanzstunde. „Ein Kaufmann muß sich bewegen können!" meinte
er. Da stand nun der „rothe Gottticb" mit seiner langen,
unbeholfenen Gestalt unter den Knaben und Mädchen, die ihn
hinter seinem Rücken ausspotteten; und als die Mädchen zum
Tanze geführt werden sollten, war er zu blöde und stand allein
und traute sich nicht, zu Einer hinzutreten und ihr die Hand
zu bieten, und all' die jungen Leute brachen in ein helles
Gelächter aus. daß ihm schier die Thränen in die Augen kamen.
Da trat ein Mädchen zu ihm. nahm seine Hand und sprach
mit sanfter Stimme: „Komm, ich werde Dir zeigen, wie man
tanzt!" und führte ihn in die Reihen. Seit jenem Tag wollte
er mit Keiner tanzen, als mit der kleinen Jula Groß. Sie
ließ es sich gefallen und ertrug die Neckereien ihrer Gespielen
muthig. Der letzte Tanzabend sollte etwas festlicher begangen
werden; für Gottlieb der letzte Abend mit Jula!

Gottlieb hatte von seiner Großmutter, als sie auf dem
Todtenbette lag. ein altmodisch silbernes Riechfläschchen in Form
eines Herzens, innen vergoldet, als Andenken erhalten und es
als Hciligthnm bewahrt. Das wollte er seiner Jula zum Ab-
schied schenken. Wie glücklich war er im Gedanken an den
freundlichen Blick, das süße.Lächeln ihres rosigen Mundes! —
Als er zu ihr trat und sic um den ersten Tanz bat, sah sie
ihn zornig an und sagte: „mit Ihm tanze ich nicht mehr, und
will überhaupt nichts mehr mit dem „rothen Gottlieb" zu thun
haben!" dann flog sie in die Arme seines bittersten Feindes,
eines Mitschülers, eines hübschen Italieners, in den Tanz.

Dem Gottlieb wollten die Knie einknicken. Er wankte zur
nächsten Bank und sah mit glasigen Augen auf sie hin. die
mit Niemand als dem schönen Italiener tanzte, und fröhlich
lachend in seinem Arme hing. Eine Stunde lang hielt er es
aus. dann wankte er hinaus in die Garderobe, setzte sich hinter
die Kleider auf den Boden und weinte krampfhaft. Später
ging er fort — fort zum Wildbach, der tosend am Kloster

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Cäcilien-Ball"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Adamo, Max
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 72.1880, Nr. 1811, S. 115
 
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