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Ei ne Fahrt in die Eisregioncn des Nordpols. 19

Tie Masse besteht hauptsächlich aus größtentheils vorsünd-
! fluthlichcn Pflanzenfasern, die in dein Eise fest verwachsen sind,
j die Stücken aber setzt man, ehe sie benutzt werden können,
einige Tage der vollen und unmittelbaren Kälte aus; dadurch
frieren die wässerigen Theile vollkommen ans und der Torf
ist zum Gebrauch fertig.

Schultze besaß überdies noch eine alte Sattelpistole, die
er aber ganz fest in Pelz eingcnäht hatte, daß sich nur das
Schloß frei bewegen konnte und die Mündung offen blieb —
das Visier war von Leder. Hierzu goß er, da er kein Blei
hatte, ebenfalls eisene Kugeln. Seine Kugelform bestand aus
Holz, diese rieb er inwendig recht derb mit Thran ans, goß
Wasser hinein, und hielt die Form dann ebenfalls einen
Moment in die freie Luft, wonach die Kugel, sobald er die
Form öffnete, rund und schwer herausfiel. Sein Kugelbeutel
war ein kleines Netz, das er auswendig umhängen hatte —
sein Pulvcrvorrath übrigens fast erschöpft, und er freute sich
nicht wenig, als ihm Capitain Daring ein kleines Horn voll gab.

So ausgerüstet traten wir am nächsten Morgen, nachdem
wir vorher von unseren freundlichen Wirthen herzlichen Ab-
schied genommen, unfern Marsch an, denn wir beabsichtigten
gar nicht wieder hieher, sondern nun so rasch als möglich
nach unserem Fahrzeug zurückzu kehren, um dort wo möglich
noch vor Januar einzutreffen, und an dessen Bord, anstatt
in oder auf dem Eise, überwintern zu können. Auch Schultze,
mein irokesischer Landsmann, hatte sich entschlossen, uns zu
begleiten; als er uns sah, war die Erinnerung an die Heimath
wieder in ihm erwacht, und er sehnte sich zurück nach Weib
und Kind, von denen ihn das unerbittliche Geschick nun schon
seit cilf Jahren getrennt gehalten.

Nur eines befürchteten wir, daß nämlich wilde Thiere die
Leichen der Mannschaft des "North Star zerrissen und fort-
geschleppt hätten, und wir dadurch verhindert iverden würden,
uns ivirklich von dem Untergang unserer Landsleute selbst
zu überzeugen. Schultze aber, der uns später auch auf dem
Rückmarsch als Führer unschätzbare Dienste leistete, versicherte
uns das Gegentheil, und sagte uns, mir würden dort auf's
Neue den Beleg finden, welche Gewalt der Frost in diesen
Regionen ausübe — und er hatte recht.

Nach einem zwar kurzen, aber beschwerlichen Marsch über
rauhe zerrissene Eisblöcke hin, erreichten wir endlich das letzte
Lager unserer armen Kameraden, und groß war unser Er-
staunen in der Thal, als wir die Körper, sieben an der Zahl
und die letzten jener kühnen Schaar wackerer Seefahrer, noch
unverletzt und fast wie lebend, aber nur starr und regungs-
los auf dem Eise in langer Reihe ausgestreckt fanden —
denn die Eskimos hatten die Leichen, ihrer eigenen Sitte
gemäß, alle mit den Köpfen gen Norden, die Füße dem
warmen Süden zugekehrt, wie sie selber an ihren Feuern
lagern, geordnet.

Kein Zeichen ließ sich dabei an diesen Ueberresten irdischer
Leiber erkennen, daß sie vom gierigen Zahn der Bären und
Seewölfe, von denen wir doch hier zahlreiche Spuren fanden,

angegriffen wären, als ich mich aber hierüber verwundert gegen
meinen "Namensvetter äußerte, deutete dieser lächelnd mit sei- j
nein Fausthandschuh auf eine Menge kleiner weißschimmernder
Gegenstände hin, die überall um die Körper zerstreut lagen.
Ich hatte sie wohl früher bemerkt, aber nicht weiter beachtet,
und fand jetzt zu meinem Erstaunen bei näherer Untersuchung,
daß es eben so viele Zähne und Fänge wilder Bestien waren,
die an manchen Stellen das Eis förmlich bedeckten.

Es klingt wunderbar, und ist doch Thatsache — so hart
waren die Leichen gefroren, daß die Raubthiere, die sich in
wilder Gier auf die schon geglaubte Beute warfen, die starre
Hülle selbst mit ihren gewaltigen Fängen nicht zu durchboh-
ren vermochten, und nun in immer wachsenden! Grimm so
toll und wüthend nach den ihrcni Bisse trotzenden Gliedern
schnappten, bis sie einen Theil ihrer Zähne ausgebrochen
hatten und endlich in Schmerz und Verzweiflung von einein
so hoffnungslosen Versuche abstehen mußten.

Ich schlug mir mit dem Kolben von Schnitzes Sattel-
pistole eine Locke von einer der Leichen ab, deren Familie
ich in Pensylvanien kannte, und der ich ein Andenken an
den Verlorenen mitzubringcn wünschte. Traurig verließen
wir endlich, an unsere eigene Rückkehr denkend, den schauder-
haften Platz des Todes.

Wenig bleibt jetzt mehr zu erwähnen; von unserem deut-
schen Eskimo geftihrt, erreichten wir nach etwa fünfwöchent-
lichem Marsch, freilich erst mit Besiegung ungeheurer Schwie-
rigkeiten, aber doch glücklich und ohne mehr als noch vier
der unseren, theils durch Krankheit (die sie sich durch den
zu häufigen Genuß einer dort wildwachsenden Eisbeere zu-
gezogen) theils durch die übermäßige Kälte, zu verlieren,
unser Schiff, wo wir von der zurückgebliebenen Mannschaft,
die uns schon als tobt verloren gegeben, mit jauchzendem Jubel-
ruf empfangen wurden.

Den Winter mußten >vir freilich dort liegen bleiben, da
der hinter uns liegende, bis dahin noch flüssig gewesene Ea-
nal ebenfalls fest zufror, und uns wie auf trockenem Lande
zurückließ. Sobald aber im Juli die Eismassen aufthauten,
und die Bahn wieder frei wurde, gingen wir, jetzt fest über-
zeugt, daß eine Passage für die Schifffahrt nie auf diesem
Wege lvürde entdeckt werden können, mit freudigem Herzen
unter Segel und kehrten in südlichere Zonen zurück.

Am ersten Oktober nächsten Jahres liefen tvir glücklich
an Staaten Island vorüber, im Hafen von New-Aork ein,
und von hier aus ist es, wo ich mir erlaubt habe, Ihnen, j
verehrte Redaktion, diese sicherlich interessante und mancherlei
Neues enthaltende Schilderung unserer Fahrt in die Eisre-
gionen zu übersenden.

P. 8. Gottlieb Schultze ist glücklich und gesund mit uns hier j
eingetroffen, und läßt sich Ihnen ebenfalls bestens empfehlen.

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