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Ein Proletarier.
bewahren. — O erlaubte es nur mein rasches Blut, mein
überströmendes Gefühl, mein volles Herz und — mein leerer
Geldbeutel, auf der Stelle würde auch ich zu jener Narren -
zunft schwören, auch ich wollte dahin ziehen, wo mir nur
die Sonne guten Morgen, die Nachtigall gute Nacht sagte, wo ich
statt eau de mille fleures den Tust von tausend Blumen ein-
saugen könnte, und statt den Thränen leidender Mitbürger,
mir Thauperlen von Blumen und Blättern entgegenleuchteten!
Also der alte Leutner war ein Narr; nun er konnte sich
das schon gefallen lassen, denn einmal hörte er sich nie so
nennen, weil er fast mit Niemanden umging, und die Weni-
gen, mit denen er in Berührung kam, es besser wußten als
die Menge. Ein Heller Berstand, wissenschaftliche Ausbildung
ein langes erfahrungsreiches Leben hindurch, eine vortreffliche
Bibliothek, mehr als hinreichende Mittel, sich das Beste von
dem zu verschaffen, was der menschliche Geist alljährlich durch
Guttenbergs Erfindung der Welt überliefert, ließen ihn leicht
! die Außenwelt verlassen, mit der er doch auf jenem Wege
in iinmerwährender Berührung blieb.
Jeden Tag nach Tisch besuchte er einen vor der Stadt ge-
> legenen Gesellschaftsgarten, wo er eine Tasse Caffee trank,
und bald von den Wirthsleuten, sobald sie seine Eigenheiten
gewahrt hatten, und ihn so wenig als möglich störten, geliebt
und geachtet wurde. Tort ging er bei jedem Wetter eine
Zeitlang auf und ab, und bei dieser Gelegenheit war es, wo
ich ihn kennen lernte; im Vorübergehen hatte er meinen
Namen gehört, mein Vater und Großvater standen ihm nahe,
als er sich noch mit der Welt beschäftigte. Er redete mich an,
unterhielt sich einige Zeit mit mir, und gar bald sah ich ein,
wie voreilig die Menge zu urtheilen pflegt; ich suchte ihn
öfter auf, vermied aber, zu oft zu kommen, oder ging gleich
wieder, wenn es mir schien, als käme ich ungelegen, und so
habe ich gar manche schöne Stunde auf das angenehmste und
lehrreichste zugebracht. Namentlich besuchte ich ihn bei schlechtem
Wetter, da blieb er länger als gewöhnlich, weil in diesem Falle
das Locale in der Regel unbesucht blieb; wie bedauerte er
dann den Wirth, während er bei gutem Wetter und Sonnenschein
zu sagen pflegte: „Herr Wirth, heute wird's Gäste geben vollauf,
ich wünsche Glück zur guten Einnahme;" herzlich fteute er sich,
wenn schon bald sich Jemand einfand, aber sowie die ersten ein-
getteten waren, ging er seiner Wege, und die Angekommenen
sagten: nun geht er wieder fort, der Narr, und dachten nicht im
Entferntesten daran, daß sie eigentlich die Narren wären, mit
denen er nun ein- für allemal nichts zu thun haben wollte.
An einem warmen Sommertage ging ich wieder einmal
hinaus, chn aufzusuchen. Ein feiner Landregen hielt schon seit
einigen Stunden alle Müßiggänger in ihren Wohnungen oder
in den Kneipen, und es war nicht wahrscheinlich, daß unsere
Unterhaltung in dem etwas entfernt von der Stadt liegenden
Locale heute gestört werden dürste.
„Trotz dem Regen besuchen Sie den Alten I" so rief er
mir schon von weitem aus dem Gartenhause zu, in welches
ihn das Wetter für heute genöthigt hatte, „nun das ist gut,
heute wollen wir ein Redliches herunterplaudcrn."
So aufgeräumt hatte ich ihn lange nicht gesehen; wir
unterhielten uns längere Zeit, und wie gewöhnlich waren es
j wieder die Wunder der Natur und das Reich der Poesie, welche
den Stoff zur Unterhaltung hergaben. In einer zufällig ein-
gettetenen Pause führte ich einen schon längst gehegten Ent-
schluß aus, die Gelegenheit heute am günstigsten glaubend; ich
fragte ihn nämlich, „was ihm denn wohl die Welt zu Leide
gethan, daß er sie meide und ein Menschenfeind geworden wäre?"
„Ein Menschenfeind?" sagte er, und sah mich so seltsam
dabei an, daß ich schon innerlich bereute, die Frage gethan
zu haben, „für einen Menschenfeind halten mich also die
Leute? o nein, das bin ich nicht," und sein Ernst ging in ein
leises Lächeln über, „und namentlich Sie, junger Freund,
sollten das besser wissen," fuhr er zu mir gewendet fort,
„von Ihnen hätte ich dies harte Wort am wenigsten erwartet."
Verlegen stammelte ich Entschuldigungen, aber er wehrte
ab, und sagte lächelnd:
„Lassen Sie es nur gut sein, ich glaube Ihnen Alles, weiß
ich doch nur zu gut, wie schwer es ist, den Vorurtheilen der
Menge zu entsagen. Nein, junger Freund, ich bin kein Men-
schenfeind, ich liebe die Menschen heute noch, wie ich sie stets
geliebt, und Ihnen kann ich es ja wohl sagen, ich thue ihnen
Gutes, wo ich kann. — Ich habe mich viel herumgetummelt
in der Welt, jetzt will ich Ruhe, jetzt will ich Friede haben;
und hätte ich beides, wenn ich mich herumttiebe unter
den Menschen und nicht allein wäre mit mir selber? Waren
denn nicht, wie ein Dichter bemerkt, schon zwei Menschen zu-
viel im Paradies? Und was soll ich auch dort in jenem Ge-
wimmel, das man gewöhnlich Welt nennt? Müßte ich denn
nicht, um nur eines anzuführen, meinen bequemen grauen
Flaus vertauschen mit einem jener lächerlich zugestutzten Röcke,
wollte ich nicht, als ein angegaffter Fremdling unter ihnen
herumgehen? Soll ich ihre Gesellschaften besuchen? Habe ich
darum in London und am Rhein die Spielhöllen besucht und
verflucht, um nun meine Abende zuzubringen am Kartentisch
in Gesellschaft einiger langweiliger Damen? Ich habe in Paris
Herrliches von Gluck, in Wien und Prag von Haydn, Mozart
und Beethoven gehört, wollen Sie mir zumuthen, einen der
jetzt bestehenden niusikalischen Vereine zu besuchen, wo im
gedrückt vollen Saale einer Schaar ewig schnatternder Gäns-
chen und liebkosenden jungen Herren von oft noch dazu höchst
arroganten Sängern, selten etwas mehr als Mittelmäßiges
geboten wird? Zu Hause umstehen mich die Heroen unsrer
alten und neuern Literatur, und fordern mich auf in ihren:
Studium zu schwelgen; soll ich aus der Mitte der Herrlichen
heraus, und einen jener sogenannten Dichtervereine besuchen,
wo sie sich gegenseitig ansingen, und sich nicht entblöden, ihre
eigne Langweiligkeit zu persifliren? wo sie prahlend an die
Spitze stellen, ihre Thätigkeit sei hauptsächlich dahin gerichtet,
das Feld der Literatur und Poesie auch den Laien zugänglich
zu machen, und diesen, sowie sich selbst eine beffere gesell-
schaftliche Unterhaltung zu verschaffen, als gewöhnlich zu finden
ist, und die sodann, ganz im Gegensätze zu diesem ihrem Vor-
haben, einen gebildeten jungen Mann durch die Ballotage
Ein Proletarier.
bewahren. — O erlaubte es nur mein rasches Blut, mein
überströmendes Gefühl, mein volles Herz und — mein leerer
Geldbeutel, auf der Stelle würde auch ich zu jener Narren -
zunft schwören, auch ich wollte dahin ziehen, wo mir nur
die Sonne guten Morgen, die Nachtigall gute Nacht sagte, wo ich
statt eau de mille fleures den Tust von tausend Blumen ein-
saugen könnte, und statt den Thränen leidender Mitbürger,
mir Thauperlen von Blumen und Blättern entgegenleuchteten!
Also der alte Leutner war ein Narr; nun er konnte sich
das schon gefallen lassen, denn einmal hörte er sich nie so
nennen, weil er fast mit Niemanden umging, und die Weni-
gen, mit denen er in Berührung kam, es besser wußten als
die Menge. Ein Heller Berstand, wissenschaftliche Ausbildung
ein langes erfahrungsreiches Leben hindurch, eine vortreffliche
Bibliothek, mehr als hinreichende Mittel, sich das Beste von
dem zu verschaffen, was der menschliche Geist alljährlich durch
Guttenbergs Erfindung der Welt überliefert, ließen ihn leicht
! die Außenwelt verlassen, mit der er doch auf jenem Wege
in iinmerwährender Berührung blieb.
Jeden Tag nach Tisch besuchte er einen vor der Stadt ge-
> legenen Gesellschaftsgarten, wo er eine Tasse Caffee trank,
und bald von den Wirthsleuten, sobald sie seine Eigenheiten
gewahrt hatten, und ihn so wenig als möglich störten, geliebt
und geachtet wurde. Tort ging er bei jedem Wetter eine
Zeitlang auf und ab, und bei dieser Gelegenheit war es, wo
ich ihn kennen lernte; im Vorübergehen hatte er meinen
Namen gehört, mein Vater und Großvater standen ihm nahe,
als er sich noch mit der Welt beschäftigte. Er redete mich an,
unterhielt sich einige Zeit mit mir, und gar bald sah ich ein,
wie voreilig die Menge zu urtheilen pflegt; ich suchte ihn
öfter auf, vermied aber, zu oft zu kommen, oder ging gleich
wieder, wenn es mir schien, als käme ich ungelegen, und so
habe ich gar manche schöne Stunde auf das angenehmste und
lehrreichste zugebracht. Namentlich besuchte ich ihn bei schlechtem
Wetter, da blieb er länger als gewöhnlich, weil in diesem Falle
das Locale in der Regel unbesucht blieb; wie bedauerte er
dann den Wirth, während er bei gutem Wetter und Sonnenschein
zu sagen pflegte: „Herr Wirth, heute wird's Gäste geben vollauf,
ich wünsche Glück zur guten Einnahme;" herzlich fteute er sich,
wenn schon bald sich Jemand einfand, aber sowie die ersten ein-
getteten waren, ging er seiner Wege, und die Angekommenen
sagten: nun geht er wieder fort, der Narr, und dachten nicht im
Entferntesten daran, daß sie eigentlich die Narren wären, mit
denen er nun ein- für allemal nichts zu thun haben wollte.
An einem warmen Sommertage ging ich wieder einmal
hinaus, chn aufzusuchen. Ein feiner Landregen hielt schon seit
einigen Stunden alle Müßiggänger in ihren Wohnungen oder
in den Kneipen, und es war nicht wahrscheinlich, daß unsere
Unterhaltung in dem etwas entfernt von der Stadt liegenden
Locale heute gestört werden dürste.
„Trotz dem Regen besuchen Sie den Alten I" so rief er
mir schon von weitem aus dem Gartenhause zu, in welches
ihn das Wetter für heute genöthigt hatte, „nun das ist gut,
heute wollen wir ein Redliches herunterplaudcrn."
So aufgeräumt hatte ich ihn lange nicht gesehen; wir
unterhielten uns längere Zeit, und wie gewöhnlich waren es
j wieder die Wunder der Natur und das Reich der Poesie, welche
den Stoff zur Unterhaltung hergaben. In einer zufällig ein-
gettetenen Pause führte ich einen schon längst gehegten Ent-
schluß aus, die Gelegenheit heute am günstigsten glaubend; ich
fragte ihn nämlich, „was ihm denn wohl die Welt zu Leide
gethan, daß er sie meide und ein Menschenfeind geworden wäre?"
„Ein Menschenfeind?" sagte er, und sah mich so seltsam
dabei an, daß ich schon innerlich bereute, die Frage gethan
zu haben, „für einen Menschenfeind halten mich also die
Leute? o nein, das bin ich nicht," und sein Ernst ging in ein
leises Lächeln über, „und namentlich Sie, junger Freund,
sollten das besser wissen," fuhr er zu mir gewendet fort,
„von Ihnen hätte ich dies harte Wort am wenigsten erwartet."
Verlegen stammelte ich Entschuldigungen, aber er wehrte
ab, und sagte lächelnd:
„Lassen Sie es nur gut sein, ich glaube Ihnen Alles, weiß
ich doch nur zu gut, wie schwer es ist, den Vorurtheilen der
Menge zu entsagen. Nein, junger Freund, ich bin kein Men-
schenfeind, ich liebe die Menschen heute noch, wie ich sie stets
geliebt, und Ihnen kann ich es ja wohl sagen, ich thue ihnen
Gutes, wo ich kann. — Ich habe mich viel herumgetummelt
in der Welt, jetzt will ich Ruhe, jetzt will ich Friede haben;
und hätte ich beides, wenn ich mich herumttiebe unter
den Menschen und nicht allein wäre mit mir selber? Waren
denn nicht, wie ein Dichter bemerkt, schon zwei Menschen zu-
viel im Paradies? Und was soll ich auch dort in jenem Ge-
wimmel, das man gewöhnlich Welt nennt? Müßte ich denn
nicht, um nur eines anzuführen, meinen bequemen grauen
Flaus vertauschen mit einem jener lächerlich zugestutzten Röcke,
wollte ich nicht, als ein angegaffter Fremdling unter ihnen
herumgehen? Soll ich ihre Gesellschaften besuchen? Habe ich
darum in London und am Rhein die Spielhöllen besucht und
verflucht, um nun meine Abende zuzubringen am Kartentisch
in Gesellschaft einiger langweiliger Damen? Ich habe in Paris
Herrliches von Gluck, in Wien und Prag von Haydn, Mozart
und Beethoven gehört, wollen Sie mir zumuthen, einen der
jetzt bestehenden niusikalischen Vereine zu besuchen, wo im
gedrückt vollen Saale einer Schaar ewig schnatternder Gäns-
chen und liebkosenden jungen Herren von oft noch dazu höchst
arroganten Sängern, selten etwas mehr als Mittelmäßiges
geboten wird? Zu Hause umstehen mich die Heroen unsrer
alten und neuern Literatur, und fordern mich auf in ihren:
Studium zu schwelgen; soll ich aus der Mitte der Herrlichen
heraus, und einen jener sogenannten Dichtervereine besuchen,
wo sie sich gegenseitig ansingen, und sich nicht entblöden, ihre
eigne Langweiligkeit zu persifliren? wo sie prahlend an die
Spitze stellen, ihre Thätigkeit sei hauptsächlich dahin gerichtet,
das Feld der Literatur und Poesie auch den Laien zugänglich
zu machen, und diesen, sowie sich selbst eine beffere gesell-
schaftliche Unterhaltung zu verschaffen, als gewöhnlich zu finden
ist, und die sodann, ganz im Gegensätze zu diesem ihrem Vor-
haben, einen gebildeten jungen Mann durch die Ballotage