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Ein Proletarier.

excludiren, aus keinem andern Grunde, als weil er — ein
Schneider ist." ■—

„Sehen Sie, solche Lächerlichkeiten der sogenannten guten
Gesellschaft könnte ich noch mehr anführen, wenn es nicht an
diesen wenigen schon übergenug wäre. — Und das ist nur die
alberne Seite, die man allenfalls meiden und still belächeln
könnte; aber wie sich anders retten, als durch schnelle Flucht
zu sich selbst, in selbstgewählte Einsamkeit, vor der schwarzen
sündhaften? Ich meine hier nicht jene grauenvollen Verbrechen
wie Raub und Mord; das sind schauderhafte Einzelheiten, die
Gott sei Dank nur selten Vorkommen, und deren oft mehr zu
bemitleidende als zu verdammende Vollbringer der strafenden
Gerechtigkeit, sei es auch nicht das Schwert des Henkers, son-
dern das eigne rächende Gewissen nie entgehen; ich meine
Jämmerlichkeiten, die sich jenem rothen Faden gleich durch alle
socialen Verhältnisse hindurch ziehen, und wir wollen es zur
Ehre der Menschheit glauben, nur in der eigenen Schwäche
derselben begründet sein mögen. Sie werden mich nicht verstehen,
kaum wissen, was ich meine, junger Freund, nicht wahr?
Statt allem weiteren Auseinandersetzen will ich Ihnen eine
kurze Episode aus meinem Leben erzählen, die über das Ge-
sagte hinlänglich Licht geben wird, so daß ich nichts weiter
werde hinzuzusetzen haben. Vielleicht mag sie manchem klein
und unbedeutend erscheinen, aber glauben Sie mir, sie ist
es nicht; sind denn nur das die wichtigsten Ereignisse im
Interesse der Menschheit, welche die Glocken weit in das
Land hinansläuten? Muß es denn immer der Donner der
Kanonen sein, der den Gang der Weltgeschichte ändert?

Nach einer kurzen Pause fuhr mein alter Freund fort
wie folgt: „Ich habe Ihnen schon öfter von meinem Sohne
erzählt, der seit längerer Zeit froh, zufrieden, und mithin
glücklich in Amerika lebt. Nachdem Sie in unserni heutigen
Gespräche meine Ansichten von der Welt in mancher Hinsicht
kennen gelernt haben, werden Sie es nicht mehr seltsam finden,
daß ich selbst ihn auf eine Lebensbahn zu leiten gesucht, die
er nachher zu meiner großen Freude aus freiem Antriebe ver-
folgte, welche aber doch von der meinigen abweichen, das heißt,
über kurz oder lang chn von mir trennen mußte; ich wollte
mein müdes Haupt in die geliebte vaterländische Erde nieder-
legen, dies ist der einzige Grund, warum ich ihn nicht in
seine neue Heimath begleitete. Seine Neigung kam also wie
gesagt, meinen Wünschen entgegen, die Menschen sollte er
kennen lernen, darum ließ ich ihn reisen, und wenn er ein- !
mal reich an Erfahrung und Lebensklugheit, dann sollte er
eine möglichst selbstständige und unabhängige Stellung ein-
nehmen; darum schickte ich ihn nach Amerika, um dort auf
einer freien Erde, auf seiner eigenen Scholle, sein eigner
Herr und.Knecht zu sein, und wenn ihm auch fast jede Mi-
nute zuruft: du bist ein Mensch, so ist er doch den Jäm-
merlichkeiten so fern als möglich, mit denen die Herren der
Schöpfung sich untereinander so weidlich quälen."

Er mochte etwa zwölf Jahre alt sein, als ich an einem heißen
Nachmittage einen Spaziergang mit ihm machte; wir gingen
längs des Flusses in einem schattigen Gehölz, um einen pas- z

senden Badeplatz aufzusuchen; der Fluß hatte keine gefährlichen
Stellen, und gerne erfüllte ich die Bitte meines Sohnes, die
matten Glieder im kühlen Bade zu stärken. Wir bemerkten
Niemand als einen jungen Mann, der allem Anscheine nach
in derselben Absicht gekommen war. Ich hatte niich etwas
entfernt vom Flusse unter einen Baum gesetzt und besah die
im Abendroth so herrlich daliegende Vaterstadt. Plötzlich weckte
mich furchtbares Hilfegeschrei aus meinen Träumen; ich eilte angst-
voll ans Ufer, denn die Stimme war die meines Sohnes. Tort
angekommen, sah ich aber zu meiner unbeschreiblichen Freude
denselben bereits an der Hand des erwähnten jungen Mannes,
wenn auch bleich und zitternd, doch wohlbehalten, den festen
Boden betreten. Wir wußten nicht, daß am andern Ufer eine
bedeutende Strecke weit der Fluß von ziemlicher Tiefe sei, ein
furchtbarer Stoß an einen im Wasser verborgenen Baumstamm
erlahmte seine Kraft beim Durchschwinimen jener gefährlichen
Stelle, und wahrscheinlich hätte ich in dieser Stunde meinen
Einzigen verloren, wenn nicht der Fremde, noch halb gekleidet,
sich muthig in die Fluth geworfen, und ihn gerettet hätte.
In der Verwirrung griff ich in die Tasche und bot ihm alles
Geld, das ich bei mir hatte; denn so sind die Reichen auch
die Besten; weil für sie gewöhnlich ihr Mammon Alles ist, so
meinen sie auch alles andre damit ausglcichen zu können.
Lächelnd wies aber der Wackre meine volle Hand zurück. „Geben
Sie das einem Aermern, als ich bin," sagteer, „ich brauche,
Gott sei Tank, kein Almosen," er breitete die durchnäßten
Kleidungsstücke auf den Rasen zum Trocknen und sprang in
die Fluth. Ich half meinem Sohn beim Ankleiden und führte
den noch immer Erschrockenen langsam nach Hause. Angst und
Besorgniß um ihn ließen mich alles andre vergessen, und so
hatte ich den großmüthigen Retter nicht einmal um seinen
Namen gefragt; ich habe ihn später nicht wieder gesehen,
und so bin ich denn sein großer Schuldner geblieben.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

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Titel/Objekt
"Ein Proletarier"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
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Nacht <Motiv>
Karikatur
Holz <Motiv>
Dieb <Motiv>
Diebstahl <Motiv>
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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 8.1848, Nr. 182, S. 107

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