! 154 Die Folgen ei
■ sich erfreuend, trotz seines knappen Einkommens zufrieden mit
sich, den Seinigen und der ganzen brauberechtigten Bürger-
schaft Thausens. — Zu dieser Zufriedenheit trug allerdings
der Charakter seiner Frau sehr viel bei; denn diese, einfach
| und karg im elterlichen Hause erzogen, war nichts weniger
' als vergnügungssüchtig, und der regelmäßige Sonntagsspazier-
gang in der schönen Jahreszeit — denn während derWintermo-
! nate wurden diese Gänge eingestellt—waren ihre einzige Berühr-
| ung mit der Außenwelt. Am wohlsten war ihr. wenn nach
des Tages Last und Mühe mit Kindern und Küche, diese Er-
steren Abends nach sieben Uhr oder etwas später zu Bette ge-
! bracht waren, und Herr Ductus seine Pfeife und den Haus-
j schlösset genommen hatte, um zum Bier zu gehen, wo er je-
! doch als ordnungsliebender Staatsbürger nicht länger blieb, als
bjs zehn Uhr. Dann setzte sich Madame Ductus in ihren Lehn-
stuhl, nahm ein Packet defecter Kleidungsstücke der Kinder vor,
und schlief in der redlichen Absicht diese auszubessern gewöhn-
lich ein, wobei sie den Bortheil hatte, daß diese Beschäftigung
nie ihr Ende erreichte, und erwachte nur dann, ivenn ein Ge-
schrei aus der Schlaskammer der Kinder oder die Schritte des
heimkehrenden Herrn Ductus aus der Hausflur ertönten.
So waren dieser anspruchslosen und glücklich in ihrer
, langweiligen Einförmigkeit sich bewegenden Familie sieben Jahre
vergangen, als eines Tages die Rückkehr eines Jugendfreun-
j des des Herrn Ductus nach Thansen eine Veränderung in
den Maschinengang des bisherigen Lebens desselben brachte,
die von den vortheilhaftesten Folgen für Frau, Kinder, Dienst-
mädchen, Katze und Canarienvogel war.
Der Jugendfreund des Herrn Ductus war ein berühmter
Virtuose, deren es jetzt von der Violine bis zur Baßgeige und
Kesselpauke Hunderte gibt; derselbe hatte mehrere Jahre als
Expectant mit 150 Rthlr. in der Kapelle eines berühmten
Hoftheaters zugebracht, und war durch einen glücklichen Zufall
i einem auswärtigen Kapellmeister recommandirt worden, welcher
ihn nun mit einem sechsfach höhern Gehalte für die Peters-
burger Hofkapelle engagirt hatte. Um daher seine Vaterstadt
noch einmal zu besuchen, kehrte er auf seiner Reise nach Ruß-
; land noch einmal nach Thausen zurück, und der erste bekannte
' Bewohner derselben, welchem er auf der Straße begegnete, war
Herr Ductus, der eben mit einem voluminösen Actenbande
unter dem Arme im ruhigen Bewußtsein seiner Würde nach
dem Rathhause zuschritt, um hinter dem Gitterwerk seiner
Canzelle die Expeditionsstunden des Vormittags abzuhalten.
Ein Ausruf des Erstaunens von beiden Seiten, eine
Umarmung, und der in dem Treiben der großen Städte rou-
tinirte lebenslustige Künstler bot seinem Freunde den Arm, und
ging im Gespräch, eine Frage an die andere knüpfend, mit
Herrn Ductus mehrere Sttaßen entlang, bis sie zufällig vor
der Bleizucker'schcn Weinstube stehen blieben. In diesem Augen-
! blicke schlug die Uhr auf dem Rathhausthurm neunmal, und
' Herr Ductus ließ den Arm seines Freundes plötzlich los, packte
sein Aktenstück fester >md wollte Abschied nehmen.
Was Teufel!" rief lachend der Künstler, „ich glaube
gar, du willst mich hier verlassen. Das wäre neu, wer weiß,
es Frühstücks.
ob wir uns je Wiedersehen; daher laß uns hier eine Flasche
Hochheimer ausstechen, und von dem plaudern, was uns ge-
genseittg begegnet, seitdem wir uns nicht gesehen."
„Liebster Freund," entgegnete Herr Ductus verlegen,
„um diese Zeit ist man gewohnt, mich in meiner Expedition
zu finden, und noch nie, seit ich angestellt bin, habe ich diese
Stunden, an welche mich der Dienst bindet, auf leichtsinnige
Weise versäumt."
Der lebenslustige Künstler, Herr Schakan, der berühm-
teste Fagottist seines Jahrhunderts, hatte nicht die geringste
Idee von der Pünktlichkeit, mit welcher so viele Beamte die
vorgeschriebene Expeditionszeit zu halten pflegen; er wußte
nicht, daß es sehr Viele gab, die mit dieser zur Gewohnheit
gewordenen Pünktlichkeit die sttengste Thätigkeit verbanden
und jede Minute dieser Zeit dem regsten Pflichteifer widme-
ten; eben so wenig wußte er, daß es aber auch Viele gab,
die eben so pünktlich zwar während der vorgeschriebenen
Stunden auf ihrer Expeditton zu finden waren, aber hinter
ihren Canzellenwänden sehnsüchtig des letzten Glockenschlages
harretcn, der sie wieder voni Dienste befreite.
Herr Schakan sah daher seinen Freund nach desien Er-
klärung halb staunend, halb spöttisch an, zog ihn jedoch, dessen
Sttäuben nicht beachtend, ins Haus des Weinhändlers, und
rief, als jener immer wieder von Neuem sich besttebte, sei-
nen Arm frei zu machen, um wie es schien nach dem Rath-
hause zu eilen: „Nun mein Himmel, einmal wirst du doch
mir zu Liebe eine Ausnahme machen können!"
„Ja!" stammelte Herr Ductus: „das würde ich sehr
gern, herzlich gern, aber Verehrtester Freund, ich muß es dir
nur gestehen, ich bin noch nie um diese Zeit auf einem öffentlichen
Ort gesehen worden, und ich schäme mich fast, hiereinzutreten."
„Was?! Du hast noch nie außer dem Hause gefrühstückt?"
„Niemals!"
„Nun, das muß ich gestehen!" entgegnete Schakan, „du bist
ein Prachtexemplar eines Familienvaters und Beamten; indeß
eine Ausnahme kannst du dir schon gestatten. Komm! Eine
Flasche Hochheimer, oder Geißenheimer-Rothberg, ein Stück
Rheinlachs, ein paar Dutzend Austern und dann einen weiß-
■ sich erfreuend, trotz seines knappen Einkommens zufrieden mit
sich, den Seinigen und der ganzen brauberechtigten Bürger-
schaft Thausens. — Zu dieser Zufriedenheit trug allerdings
der Charakter seiner Frau sehr viel bei; denn diese, einfach
| und karg im elterlichen Hause erzogen, war nichts weniger
' als vergnügungssüchtig, und der regelmäßige Sonntagsspazier-
gang in der schönen Jahreszeit — denn während derWintermo-
! nate wurden diese Gänge eingestellt—waren ihre einzige Berühr-
| ung mit der Außenwelt. Am wohlsten war ihr. wenn nach
des Tages Last und Mühe mit Kindern und Küche, diese Er-
steren Abends nach sieben Uhr oder etwas später zu Bette ge-
! bracht waren, und Herr Ductus seine Pfeife und den Haus-
j schlösset genommen hatte, um zum Bier zu gehen, wo er je-
! doch als ordnungsliebender Staatsbürger nicht länger blieb, als
bjs zehn Uhr. Dann setzte sich Madame Ductus in ihren Lehn-
stuhl, nahm ein Packet defecter Kleidungsstücke der Kinder vor,
und schlief in der redlichen Absicht diese auszubessern gewöhn-
lich ein, wobei sie den Bortheil hatte, daß diese Beschäftigung
nie ihr Ende erreichte, und erwachte nur dann, ivenn ein Ge-
schrei aus der Schlaskammer der Kinder oder die Schritte des
heimkehrenden Herrn Ductus aus der Hausflur ertönten.
So waren dieser anspruchslosen und glücklich in ihrer
, langweiligen Einförmigkeit sich bewegenden Familie sieben Jahre
vergangen, als eines Tages die Rückkehr eines Jugendfreun-
j des des Herrn Ductus nach Thansen eine Veränderung in
den Maschinengang des bisherigen Lebens desselben brachte,
die von den vortheilhaftesten Folgen für Frau, Kinder, Dienst-
mädchen, Katze und Canarienvogel war.
Der Jugendfreund des Herrn Ductus war ein berühmter
Virtuose, deren es jetzt von der Violine bis zur Baßgeige und
Kesselpauke Hunderte gibt; derselbe hatte mehrere Jahre als
Expectant mit 150 Rthlr. in der Kapelle eines berühmten
Hoftheaters zugebracht, und war durch einen glücklichen Zufall
i einem auswärtigen Kapellmeister recommandirt worden, welcher
ihn nun mit einem sechsfach höhern Gehalte für die Peters-
burger Hofkapelle engagirt hatte. Um daher seine Vaterstadt
noch einmal zu besuchen, kehrte er auf seiner Reise nach Ruß-
; land noch einmal nach Thausen zurück, und der erste bekannte
' Bewohner derselben, welchem er auf der Straße begegnete, war
Herr Ductus, der eben mit einem voluminösen Actenbande
unter dem Arme im ruhigen Bewußtsein seiner Würde nach
dem Rathhause zuschritt, um hinter dem Gitterwerk seiner
Canzelle die Expeditionsstunden des Vormittags abzuhalten.
Ein Ausruf des Erstaunens von beiden Seiten, eine
Umarmung, und der in dem Treiben der großen Städte rou-
tinirte lebenslustige Künstler bot seinem Freunde den Arm, und
ging im Gespräch, eine Frage an die andere knüpfend, mit
Herrn Ductus mehrere Sttaßen entlang, bis sie zufällig vor
der Bleizucker'schcn Weinstube stehen blieben. In diesem Augen-
! blicke schlug die Uhr auf dem Rathhausthurm neunmal, und
' Herr Ductus ließ den Arm seines Freundes plötzlich los, packte
sein Aktenstück fester >md wollte Abschied nehmen.
Was Teufel!" rief lachend der Künstler, „ich glaube
gar, du willst mich hier verlassen. Das wäre neu, wer weiß,
es Frühstücks.
ob wir uns je Wiedersehen; daher laß uns hier eine Flasche
Hochheimer ausstechen, und von dem plaudern, was uns ge-
genseittg begegnet, seitdem wir uns nicht gesehen."
„Liebster Freund," entgegnete Herr Ductus verlegen,
„um diese Zeit ist man gewohnt, mich in meiner Expedition
zu finden, und noch nie, seit ich angestellt bin, habe ich diese
Stunden, an welche mich der Dienst bindet, auf leichtsinnige
Weise versäumt."
Der lebenslustige Künstler, Herr Schakan, der berühm-
teste Fagottist seines Jahrhunderts, hatte nicht die geringste
Idee von der Pünktlichkeit, mit welcher so viele Beamte die
vorgeschriebene Expeditionszeit zu halten pflegen; er wußte
nicht, daß es sehr Viele gab, die mit dieser zur Gewohnheit
gewordenen Pünktlichkeit die sttengste Thätigkeit verbanden
und jede Minute dieser Zeit dem regsten Pflichteifer widme-
ten; eben so wenig wußte er, daß es aber auch Viele gab,
die eben so pünktlich zwar während der vorgeschriebenen
Stunden auf ihrer Expeditton zu finden waren, aber hinter
ihren Canzellenwänden sehnsüchtig des letzten Glockenschlages
harretcn, der sie wieder voni Dienste befreite.
Herr Schakan sah daher seinen Freund nach desien Er-
klärung halb staunend, halb spöttisch an, zog ihn jedoch, dessen
Sttäuben nicht beachtend, ins Haus des Weinhändlers, und
rief, als jener immer wieder von Neuem sich besttebte, sei-
nen Arm frei zu machen, um wie es schien nach dem Rath-
hause zu eilen: „Nun mein Himmel, einmal wirst du doch
mir zu Liebe eine Ausnahme machen können!"
„Ja!" stammelte Herr Ductus: „das würde ich sehr
gern, herzlich gern, aber Verehrtester Freund, ich muß es dir
nur gestehen, ich bin noch nie um diese Zeit auf einem öffentlichen
Ort gesehen worden, und ich schäme mich fast, hiereinzutreten."
„Was?! Du hast noch nie außer dem Hause gefrühstückt?"
„Niemals!"
„Nun, das muß ich gestehen!" entgegnete Schakan, „du bist
ein Prachtexemplar eines Familienvaters und Beamten; indeß
eine Ausnahme kannst du dir schon gestatten. Komm! Eine
Flasche Hochheimer, oder Geißenheimer-Rothberg, ein Stück
Rheinlachs, ein paar Dutzend Austern und dann einen weiß-
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Folgen eines Frühstücks"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Weinhandlung <Motiv>