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Leiden und Freuden einer Vermietherin.

sehe ich die Mundhöhle schön — ganz und voll — Krapplack,
Karmin, Preußisch Blau", murmelte sie vor sich hin; ich aber
stürze entsetzt aus das Kind los, mit den Fingern in seinen
Hals fahrend, um die Farben herauszuholen, welche ich kannte.

tveil ich solche schon für die Damen besorgt. Das Kleine
wehrte sich und ich zog mit Mühe die schmerzende Hand zurück,
in welche sich die Zähnchen gegraben. Glücklicherweise fällt
mir ein, daß bei Vergiftungsfällen Milch angewcndct wird.
Das Frühstück der Künstlerin steht noch da. Mit wahnsinniger

Hast gieße ich eine Tasse Milch ein. Das Kind, Gottlob,
trinkt. Jetzt erst athme ich, denn jetzt ist Hoffnung.

„Wer hat dem Kinde die Farben gegeben?" frug ich
wüthend. — „Farben?" frug das Weib mit einfältigem Gcsichts-
ausdruck. — „Farben?" wiederholt die Malerin erstaunt.
„Welche Farben?"

„Das fragen Sie noch?" rief ich, durch diese Verstellung
gereizt; „sagten Sie nicht eben selbst, das Kind habe den
Mund voll Krapplack, Carmin und Preußisch Blau? Wissen Sic
nicht besser als ich, daß Farben giftig sind, daß —"

Ich konnte nicht weiter reden, denn meine Ungarin bricht
in unsinniges Lachen aus.

„O Gott!" sagte sie endlich, sich mühsam fassend, „Sie
haben mich ja mißverstanden; ich meinte nur die Farben, die
ich brauchte, um die richtigen Töne hervorzübringen."

„So", antwortete ich, durch diese Entschuldigung nichts
weniger als besänftigt, „und solch' gefährliche Mittel wenden
Sie an, um Töne hervorzubringen, welche jede Andere zu stillen
bemüht ist. Ich muß Ihnen sagen, daß ich dies nicht dulden
kann — nicht dulden werde."

„Aber wie soll ich Kinder malen?" frug die Malerin klein-
laut. „Ich brauche doch ein Modell!"

„So", schrie ich wüthend, „das ist eine schlechte Ausrede,
denn ich kann Ihnen nur sagen, ich finde es überhaupt scham-
los, zu welchem Zwecke es sei, einen Mann, selbst wenn er
erst anderthalb Jahre alt ist, * nackt vor sich hinzustellen —
schamlos!"

Wollte die Ungarin mich nicht weiter reizen, oder sah sie
ihr Unrecht ein, sie antwortete nicht und das besänftigte mich
mehr als alle Worte gethan hätten. Das Weib, welches den kleinen
Schreihals angekleidet, versicherte mich nochmals, das Kind habe
keine Farben, überhaupt außer dem Stückchen Zucker nichts
bekommen. So schickte ich sie denn mit dem Kleinen zur Küche,
ich selbst aber machte mir noch im Atelier zu schaffen, denn
ich schämte mich jetzt meiner Heftigkeit. Es war wohl doch
ein Mißverständniß meinerseits, denn das Kind ivar gesund
und munter. Langsam näherte ich mich der Künstlerin, ein
paar versöhnende Worte mit ihr zu reden, fahre aber erschreckt
zurück, denn ein verzerrtes Kinderantlitz sieht mir entgegen.

„Scheußlich ähnlich!" entschlüpfte es mir unwillkürlich.

„O bitte. Sie schmeicheln!" sagte die Malerin sichtlich er-
freut, „es ist eben nur eine Studie; aber hier", setzte sic hinzu,
ein anderes Bild auf die Staffelei stellend, „dies will ich auf
den Kunstverein schicken!"

Es war eine Landschaft, welche mir ausnehmend gefiel.
Der Himmel war so schön blau — Preußisch Blau dachte ich,
wie ich denn alles Erlernte bald zu vcrwcrthen gewohnt —,
die Bäume gelblich braun, der freie Platz aber, auf welchen,
nackte Fraucngestalten lagen, das üppigste, saftigste Gras, das
mein Auge je gesehen. Die Unterschrift lautete: „Badende
Nymphen". Wie belehrend! Ich hatte immer geglaubt, man
könne nur im Wasser baden, jetzt wußte ich, daß Nymphen im
Grase zu baden pflegen. „Reizend, reizend!" rief ich aus
vollem Herzen. ■ ■■ . . (Schluß folgt.)

11 *
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Leiden und Freuden einer Vermietherin"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Oberländer, Adolf
Entstehungsdatum (normiert)
1886 - 1886
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 84.1886, Nr. 2120, S. 83
 
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