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Ueberall die Nämlichen.

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an den Strand gekommen, um den künftigen Herrscher vor der
Abfahrt noch einmal zu sehen und ihm Glück- und Segenswünsche
zuzurufen für die lange Reise.
Im Zelte aber saß der greise König Misgyn und richtete
Abschiedsworte voll zärtlicher Liebe an den blühenden Jüngling;
der kniete zuletzt vor ihm nieder und empfing des Greises Segen.
Zum letzten Mal schloß der König den Prinzen in die Arme;
und da dieser das Boot bestieg, um zum großen Schiffe zu fahren,
rief er noch mit lauter Stimme: „Es sind überall die Näm-
lichen, Philgyn, überall die Nämlichen!"
Dann mischte sich tausendstimmiger Zuruf der Menge in's
Rudergeplätscher und Tauwerkknarren, und langsam zog der Drei-
decker mit geschwellten Segeln aus dem Hafen, bog um das Vor-
gebirge und entschwand den Blicken der Zurückbleibenden. —
Tage waren hingegangen; der jugendliche Prinz hatte bewegten
Herzens die väterliche Küste im blauen Meere versinken, manches
lachende Eiland, manch' grünes Gestade dem eilenden Kiel seines
seetüchtigen Fahrzeuges sich nahen und wieder fliehen gesehen; endlich
umgab nur Himmel und Wasser sein kleines, schwimmendes Reich.
Oft stand er in der stillen Sternennacht am Bordrand des Schiffes,
hörte das leise Rauschen der leuchtenden Wellen und überdachte die
Tage der Kindheit, die kommende Zeit, die wesenlos vor ihm lag
wie die Nebelgebilde auf der brauenden Wasserfläche; und unver-
standen, wie in der Abschiedsstunde, klangen ihm die letzten Worte
des greisen Vaters wieder: „Es sind überall die Nämlichen, Philgyn,
überall die Nämlichen!" Noch unberührt war des jungen Seefahrers
Herz von Lust und Leid der Liebe. Unter Männern war der früh
Mutterlose am heimischen Hofe groß geworden. Den Speer und
das Schwert hatte er führen, den Schild handhaben, ein feuriges
Roß tummeln gelernt, geheimnißvolle Staatsweisheit war ihm ge-
predigt worden — aber wie man mit Weibern umgehen müsse, ihre
Gunst gewinnen, ihren Ränken begegnen könne, davon hatte sein
jugendliches Gemüth keine Ahnung.
Einmal lehnte er, da die Sonnenscheibe sich zum Niedergange
in die Fluthen neigte, am Mast, die Augen auf die Wolken gerichtet
— da kam's ihm vor, als tauche in weiter, weiter Ferne ein festes
Gebilde aus den Wogen; grün schimmerte es durch den Aether, wie
Palmenwipfel meinte er es zittern zu sehen in der blauen Lust,
und der Windstrom, der von den undeutlichen Umrissen des Gebildes
immer merklicher gegen das Schiff wehte, schien ihm Waldesdüste
und Blüthenhauch zu führen.
„Die Insel Kouroneira;. Prinz!" sprach der bärtige Befehls-
haber der Schiffsmannschaft; „sie liegt in einem Gürtel stürmischer
See, kein Schiff mag ihr nahen — wenigstens ist von den vielen, die
hier verschwanden, Verbleib und Schicksal nie bekannt geworden.
Wir steuern vorüber, um außer dem Bannkreise der zornigen Wellen
fahrbare und fährdelose See zu behalten!"
Indem der Seemann sprach, klappte und rauschte es befremdlich
über dem Deck. Die Raaen schlugen an die Masten, die Segel
sanken schlaff herunter, die Wimpel, die noch soeben lustig im Winde
flatterten, legten sich an die Stangen. Die Luft wurde schwer und
farblos, im Westen berührte die Sonne ohne Glanz und Schein die
Fluthlinie — das Schiff stand still.
Umsonst begannen die Ruderknechte die langen, mächtigen Ruder
mit gleichmäßigen, festen Schlägen zu handhaben; es war, als ob
eine unsichtbare Strömung ihren Anstrengungen entgegenarbeitete;
des Prinzen kleines, schwimmendes Reich war fcstgehalten wie von
Zaubermacht, und gespenstig drohten an der einen Schiffsseite, immer

unverrückt an gleicher Stelle, die formlosen Massen der unheimlichen
Insel Kouroneira.
Nachdenklich stieg der Prinz in den Schiffsraum, während der
Befehlshaber alle Seeleute aus ihre Posten rief, die Wachen ver-
doppelte, und für die böse Nacht, die nun zu fürchten war, seine
Weisungen gab.
Das Schreckliche an der Lage des Schiffes bestand darin, daß
bei jeder Bemühung, die unheimliche Stelle zu verlassen, Getöse
und Aufruhr im Mceresschooße uud Sturmgeheul in den Lüften
entstand, während alsbald, wenn die Ruderer die Hände sinken
ließen, Grabesstille eintrat.
„Ich fürchte", sagte der Befehlshaber zum Stcucrmany, „wir
sind der schlimmen Insel zu nahe gekommen und können vor dem
Morgen ihrem Bann nun nicht mehr entfliehen!"
Indessen war die Nacht hereingebrochen. Eine bange, schauer-
liche Nacht. Schläfrige Ermüdung hatte sich aus der dunstigen Lust
auf alles Lebende gesenkt. Wer nicht am Deck durch Pflicht und
Furcht vor der auf Pflichtverletzung gesetzten Todesstrafe wach ge-
halten wurde, sank alsbald in bleischweren Schlummer.
Prinz Philgyn aber empfand einen unwiderstehlichen Drang,
dem ersten Abenteuer, das sich ihm auf der Reise zu bieten schien,
mit offenen Augen entgegenzugehen. Der Lenker des Schiffes zwar
verwehrte ihm ehrerbietig, doch fest das Betreten des Deckes; desto
eifriger spähte der Prinz, den die Leute oben wohl gleichfalls längst
eingeschlummert wähnten oder unter dem Einflüsse eigenen Schreckens
nicht weiter beachteten, durch die Lucken der dem Eiland zugekchrten
Schiffswand hinaus in die Nacht. Immer mehr gewöhnten sich
seine Augen an das Dunkel, immer deutlicher glaubte er die Um-
risse der Insel zu erkennen, ja, manchmal war es ihm, als leuchteten
farbige Feuer an verschiedenen Punkten ihrer Küste auf, und immer
mächtiger ward in ihm die Sehnsucht nach dem rüthselhaften Eilande.
Gab es kein Mittel, dasselbe zu erreichen?
Wieder leuchtete es drüben auf und, weit aus der Lucke gebeugt,
gewahrte der Prinz über seinem Haupte das kleine Boot, welches
während der Reise oftmals ausgesetzt worden war, um an passenden
Stellen in Küstennähe frisches Wasser einzunehmen. Diese Wahr-
nehmung brachte seinen ausdämmernden Plan zur Reife. „Ihr hier",
sagte er leise zu sich, „mögt schlafen; Ihr oben mögt aus Mittel
sinnen, der Gefahr zu entgehen; Ich will die Gefahr suchen, denn
ich bin der Erste am Schiffe und daheim nach meinem Vater der
Edelste; mir ziemen Thaten!"
Unter diesem Selbstgespräche hatte sich der Prinz aus der Lucke
in das Boot geschwungen und mühte sich nun, das Tauwerk zu
lösen, an dem es hing. Als hätten ihm unsichtbare Hände geholfen,
gab das letztere allmählich nach, und sanft senkte sich der Nachen auf
die schwarze Wasserfläche. Vorsichtig loste ihn der Prinz vollends
von den Banden, ergriff das Ruder und tauchte es lautlos in die
kräuselnden Wellen, die ihn sogleich vom Schiffe abtriebcn. Immer
mehr schrumpfte der dunkle Rumpf zusammen; bald sah er nur
aus weiter Ferne mehr das Licht auf der höchsten Mastspitze; jetzt
verlosch auch dieses und während im Osten der Tag zu grauen
anfing, glitt das kleine Fahrzeug mit dem Prinzen sanft, wie am
Spiegel des heimathlichen Tagus, gegen die Insel Kouroneira.

H.
In siegreicher Pracht entrang sich der Sonnenball dem weißen
Gewölke, das wie ein Hauch des Himmels auf der blaueu Meeres-
fläche ruhte, und im Uebermaße von Licht und Farben jauchzte das
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