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Krieges nach den ersten Monaten jenes erstaun-
lichen Herbstsiegeslaufes 1914? Jetzt aber, wo
das ^anze^ Volk — Jhr dort^vorne zu Eurem,

die Weltgeschichte"in neue Bahnen lenken wird.
Und wo Sie die Geschichte dieser sagenhaften
KSmpfe, wo immer Sie i>ie deutsche Helden«
geschichte aufschlagen, stets hat der Dichter der
Ewigkeit nicht aufbehalten den schnellen Sturm
und Sieg, sondern das zähe, die letzten Kräkte aus-

champagne-winter.

Aus des grauen Himmels Wolkenbuchten'
Rieseln Regenschauer, trüb und kalt.

Ringsum schlafen öde Dorfestrümmer,

Schneegans schwebet nur mit müdem Flügel
Durch die trostlos leere Wüstenei,
Krähenschwarm schwirrt kreischend hoch am Hügel,
Aufgeschreckt durch einen Minenschrei.

Träge schleichet Tag für Tag vorüber,

Stumpf un) mürrisch, ohne frohen Blick,

Julienne.

Viel Schreibarbeit macht müde und beschwert
die Augen. Tie Buchstaben beginnen zu tarnen.

G ieder strecken und die geblendeten Augen im
Blau des H mmcls und im Grün des Tals dort
unten baden? —

Jm Garten tanzt Julienne und jagt ein zu-
gelaufenes ängstlich'fxeudig klaffendes Zottel«

zwingt^ alle VSlker zu^ köchsp'm Einsatz, se^bst die

gekämpft, gelitten. getrotzt und gesiegt habem —
Autzer den alten Griechen besitzt kein Volk
eine so gewaltige und erschütternde dichterische

an deinem langen Zopf zu haschen suche, bis du
laut „M'ssS!" kreischst und mir wieder emwischst?
Nein, lieber nicht. Wo bliebe denn die Würde

Plötzlich bemerk^sie mich^ . ^ ^

^ Es fft aber nicht mehr die Freude von vorhin.
Jch merke, wie sie sortgesetzt scheu nach meinem

Verklärung seiner Urzeit wie der Deütsche ste vor
Allem im Nibelungenliede besitzt. Als ein aus
riesigrn Quadern riesenhaft gelünnter Bau ragt

das^jun^ge ^helle Himmelslicht unserer Tage, die
ein ähnltches äutzerstes Kampfesschicksal erfüllh
In keiner Zeit konnten wir Deutsche daher tnmer-
lich so gestimmt sein wie heute, die erhabene
Niesenhaftigkeit der dargestellten Charaktere diesrs
germanischen Heroenzeitalters nachzuempftnden: '
ihre unermüdliche Manneskraft, ihre brausende
Tapferkeit, ihren unbeugsamen Stolz, ihr rin.
pfindlichsles Ehrgefühl, ihren unbändigen Lroh
gegen alle Uebermacht, ihre unerschütterliche Treue
und ihr wehrhafres, ties verwurzeltes, unbestech.
liches Nechtsbewutztsein. Mit solchen E'genschasten
lebten, fochten und starben sie. Gewitz, auch
anderer Völker Vorzeit war pestellt aus das
Schwert, vcrsank in Blut und Kampf, nicht das
wollte ich hervorheben. wohl aber dieses: umrr
den ungestümen Recken, die uns das Ntbelunaen«
lied malt, ist einer, und zwar der unbändigsten
und tapferen einer, dessen warme Seele dir
goldenen Herrlichkeilen und die wehen wilden
Traurigkeilen dieser Welt so gewaltig in stch
saugt, datz er neben dem Schwerre eine Fiedel
trägt und geigt, wenn er nicht kämpft! Des
dkuischen Heloen Vorfahr war ein Fiedler,Freund!
Denken S e dies bis in den Grund aus, schicken
Sie es vor dem Einschlafen durch Ihr Gemüt.
Soll ich Jhnen das ganze Gedicht zusendrn,
damit Sie es wieder lesen, damit Sie Volker,

kennen können, wenn er von Ungefähr des Rachts
vor Jhrem Unterstande kauert und eines seiner
schönsten Slücke geigt, ein Stück von der tapferrn
und tiefen, schluchzenden und jubelnden deutschen
Heldenseele, die den Feind erschlägt und denVogel
füttert?

Nun lächeln Sie über mich und über stch,
nicht wahr, und ich sehe Jhre hellen, klärenÄugen
wi» der vor mir, mein junger Freund, — Leben
Sie wohl. schreiben Sie mir einen Jkrer ftarken,
zuversichrlichen, schreiben Sie mir einen siraes.
frohen Brief, er könnte leicht an einem Tage
eimreffen, an dem ich meinerseits etner klrinen
Aufmunterung bedürfre. — Wie wenig aber,
nicht wahr, wie wenig hat dieses menschliche Auf
und Ab unserer Stimmungen mit der eisenharten
Grundstimmung unseres, des gesamten deuischen
Volkes zu tun, von dem es in einem Gedtcht zu
Beginn des Krieges hietz und durch Jahrhunderte

Jhr getreuer Ernst Hardt.

Fenster blickt. Ob Grotzoater ntcht doch allerlei
von den „boches" erzählt hat? Und ich ahne,
datz sie nun über kurz oder lang verschwundrn
sein wird.

Das geht natürlich nicht. Das ist durchans
nicht nach meinem Geschmack. Und ich gehe schnell
zum Schrank und nehme ein Mesfer. Dar erste
Stück soll dein sein, Juliennchen und es soll

Dann öffne ich das Jenster und wlnke.

Gehorsam und dienstfenig kommt sie gelaufen
und nichtsahnend steht ste unier mir mit fragenden
Augen. Jch neige mich tief zum Fenster hinaus
und halte ihr plötzlich das schöne grotze braun-
gelbe Stück Napfkuchen hinunter, ohne ein Wort
zu sagen. nur mit dem Kopf nickend.

Da schämt sie sich!

Aber Julchen! Die Finger am Mäulchen. me
andere Hand auf dem Rücken, seelig-verschämt
lächelnd, so dreht sie sich und ziert sich.

Jch mag nicht französisch sprechen.

„Nimm nur, mein Kind, und latz ons

^ Da versteht sie. Sie fatzt sich ein Herz, greist
schüchtern nach oben, steht ein Weilchen, wird rok»
macht einen tiesen Knir und flüstert ganz le»ie.

Jch nicke ihr nochmals zu und schlietze behu
sam das Fenster. Und flmk wie ein Fink lausr
sie davon und schnurstracks zum Grotzoater.-
Nrrn setze ich mich wieder an die Arbelt.
 
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