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Der Champagne-Kamerad: Feldzeitung der 3. Armee — 3. Kriegsjahrgang.1916-1917

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Hefte 60-63, Februar 1917
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Nr. S0

ver champagile-Namerad

l^rieg.

Silh ouettrn..

„Raum für alle hat die Erde". Aber die
Menschen stoßen sich, drängen sich, woilen er-
werben rmd grotz werden, sind neidisch und hasien
die anderen ihres Besitzes, ihres Erfolges wiilen.
Aatns Gesinnung wuchert in Millionen Herzen.
' Dle Erde gibt alle Jahre neuen und gröheren
Gegen, das schimmernde Erz und die dankbare
Aohle schenkt sie den Menschen; Krast um Kraft,
Seheimnis um Geheimnis lätzt sie sich von den
-iimmersatten ertrotzen. Meere durchfurcht der
Mensch, Lüste durchrast er — und ist nicht zu>
- frieden und gönnt dem Genosien nicht die Augen-
blicke, die ihm ein Gotteswille in Weltenraum
und -zeit gewährt. —

Derdienen, besitzen, herrschen werden letzte
Ziele! -

Diplomaten arbelten, Münner und Macher
reden und wirken, Zeitungen hetzen, Völker rüsten,
Lündnisie werden geschlosien und fallen, Vor»

wünde werden gesucht, Mahnrufe verhallen.-

Dann ist Krieg!

Wenschen singen und lürmen, jubeln und beben,
' hoffen und zagen. TrSnen fließen, Schreie gellen,
harte Hünde umkrampfen abschiednehmend zarte
Mnger, Münnertrünen tropfen schwer auf Kinder-
scheitel, Mund pretzt sich auf Mund, Blumen
wipven auf Gewehren, Tücher wehen — Neu-
gierige gaffen und tuscheln. Pfiffe schrillen —
Züge kommen und gehen, immer wieder — end-
los — unheimlich. — Fabriken arbeiten Tag und
Nacht, Schornsteine rauchen, Maschinen jagen,
Schwungrüder sausen, Hümmer werden rastlos
aeschwungen. — ErtrablÜtter berichten und dichten,
Mllionen lesen, flüstern, lachen. weinen, brüllen
und iammern. Die Kirchen stnd voll. Soldaten
ererzieren, Geschüste stocken, Hamster stauen
Nahrung und Gold, auf Bierbünken und Treppen-
stufen gehen graustge Gerüchte um, Unwisiende
wissm alles — Schneiderinnen nühm Trauer-
klrider. — Es ist Krieg!

Truppen marschieren in Glutsonne und Staub,
in Regm und Sturmnacht; sie schietzen, hauen
und stechen. singen und lachen, siegen und weichen,
kämpfm uno bluten und sterben. Maschinen-
aewehre mühen, Geschütze grollen und toben, der
Leib der Erde reitzt in Fetzen, Blut quillt und
verfiegt. Wipfel knicken, Bründe lohen aus zer-
trümmetten Hüusern, Schiffe verstnkm in grauen-
volle Tiefen. Ueber Katten sitzen die Lenker der
Heere — rechnen, wügen und wagen, Fernsprecher
surren, Depeschen kreisen, Berichterstatter schreiben,
Fahnen wallen, Glocken lüuten. Menschen um-
armm stch. Lazarette erstehen, Krüppel werden,

Friedhöfe wachsen, schwarze Schleier hüllen trünen-
leere Augen, Siegesrausch und abgrundtiefes
Weh schlietzen Brüoerschast. Und Truppen erer-
zieren, Mllliarden werden bewilligt, geborgt und
rascher schier verbraucht, Reserven kommen und
sterben, Schlachten werden geschlagen, Verträge
gemacht und gebrochen. Lügen werden geglaubt,
Wahrheit bezweifelt, Reichtum und Armut, Glück
wird Leld, Hosfnung wird Jrrsinn, Hatz wird
Strafe. — Es ist Krieg!

Familien wecden vernichtet, Geschlechter aus-
gsrottet, Städte zertrümmett, Völker unterjocht.
Ein Wort zerstört die Arbeit von Jahrhundetten,
den Fleih von Hunderttausendm. Schüler morden
ihre Lehrer, Rassen mischen sich, Scheinkultur
bittet die Wildnis um Beistand. Starke werden
schwach, Schwache finden Niesenkraft, Vettrtte
kehren zurück, Wegkundige irren, Eewisien brennen

Zuv-chcht^in^'mtt°H"b^Wah^^^^^ Lüge^
Treue mit Verrat, Glaube mit Aberwitz, Licht
mit Finsternts. — Menschenschicksal wird nichtig.
Völkerschicksal entscheidet sich, Weltenschicksal
kommt. — Es ist Krieg!-

W^Sorme, Mond und Stsrns
im kedruar 1SI7.

Diesmal kann ich euch meinen astronomischen
Bericht aus der grohen Seestadt Leipzig senden.
Das Schicksal schleuderte mich am heiligen Abend
hinaus aus der schönen Champagne in die Heimat.
Da hütlet ihr den Landsturm sehen sollen in

voller Neiseausrüstung! Der eine hatte einen
grotzen runden Korb mit sich, als hatte er einm
Kinderwagen emhauptet, ein anderer hatte zwei
Kisten von einer Grötze, als würe er Weltreisender,
und ein dttlter hatte eine ganLe zahnärztliche
Station mit auf die Tour genommen. — Kurz,
es war in meinem Abteil vielseing wie in der
Arche Noü oder wie bei Seiferts Oskar auf der

wegs — ich^weitz nicht wo, auch noch' Zivilisten
zu uns stiegm und sich den Zirkus gemächlich
beschauten! Jch kam bald ins Gesprüch mit einem
von diesen „Papsern", und was denkt ihr, wen
ich da erwischt hatte? Keinen Geringeren als
den berühmten babylonischen Stemdeuter 0r.
Elystar. Er verriet in seinem Aeutzeren, abgesehen
von einer gewissen Würde im Benehmen, nichrs

vollen Beziehungen, die die Sterne zu den Menschen
haben sollen. Aber ich entdeckte doch an seiner
rechten Hand einen kunstvoll gearbeiteten Ring
mit dem Zeichen der Planeien. und unter dem
Diamanten war ein Römerkopf, den man nach
den einzelnen Planeten hindrehen und einstellm
konnte. Fast konnte man denken, es sei der Ring
des Zauberers Gyges, der den unsichibar machte,
der ihn trug; so ühnlich mag auch der Ring
Salomos beschaffen gewesen sein, der unfehlbare
Weisheit seinem Trüger verlieh. Für mich bot
der Ring erwünschte Gelegenheit. um mit dem
alten'Herrn ein Gesprüch über seine astrologische
Wisienschast anzubündeln. utld so erzühlte mit
Stolz. datz die Babylonier schon Jahttaulende
vorCyttsti Gebutt die Sterne genau beobachteten,
dah sie den Tierkreis mit seinen 12 Sternbildern
(Midder, Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe, Jung-
krau — Wage, Skorpion, Schütze — Sieinbock,
Wasiermann, Fische) kannten und ebenso die
Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und
Saturn, ja datz sie mit blohem Auge an der
Venus die einzelnen Phasen (Lichtgestalten) unter-
schieden, wie wir z. B. am Mond. Es gibt auch
unter uns Leute, die so scharfe Augen haben, datz
sie uns sagen können,- ob dre Sichel der Venus
nach links oder rechts zeigt. „Das macht den
Ktteg noch nicht alle", höre ich euch da sagen;
aber für die Liebe der Babylonier zu den Sternen
und für die Schürfe ihrer Naturbeobachtung spttcht
es doch Bände. Und wenn nun die germanische
Astronomie sich durch die Berechmmgen eines
Kopernikus, Kepler, Kant und Bessel eine nicht
zu erschütternde Grundlage für thre Weltanschauung
schuf, so waren die Babnlonier ebenso unermüd-
lich, alles Geschehen aus der Erde mit Sonne,
Mond und Sternen in Beziehung zu bringen;

? «O lala!" tönt Grotzvaters Stimme zu mir
herüber.

Da geht die Arbeit nochmal so gut von statten.

Iheatsrabend ia der champagne.1

Und än einem grauen Januarmorgen war es
Wirllichkeit geworden, was wir so lange ersehnt,
wooon wir seit Wochen abends gesprochen halten.
Sie kamen an 1n all ihrer jugendfchönen Wetblich-
kett, um uns mit ihrer Kunst und ihrem Froh-
stm für kurze Tage der öden Alltüglichkeit des
Winterstellungskrieges zu entrritzen. Dersunken
varen Monate stets gleicher eintöniger Ärbeit,
. vergesien Stunden des Aergers und nicht zu
vermeidender Mitzstimmung, als Ema Hallens-
leben und Clattsia Linden in unser Landhaus
in der Champagne einzogen, und durch die ver-
wohnten Räume der Zauberspruch ihrer Frauen-
holdheit glttt.

Nur andetthalb Tage blieben uns zur Vor-
bereitung bis zur Erstaufführung. Seit Weih-
nachten hatten die Herren v. Z. und v. O. mit
grohem Eifer unter meiner Leitung geprobt.
Dank ihrer hervorragenden schauspielettschen Be-
gabung gelang es mir, ihnen ihre Rollen in den
wenigen. Spütabendstunden, die der Dienlt stet

lieh, fast etnwandsfrei einzustudieren. Sie be-
herrschten ihrePattien vollkommen und erfüllten ste
mit ihrem eigenen Geist im Sinne derDichter. Unser
Heldentenor Koch haite sich mit d^m ausgezeich-
neten musikalischen Leiter unserer Aufführung dem
Dirigenten und Cellospieler Krönlein vorbereitet.

Gleich am Vormittag der Ankunst der Künst-
lerinnen aus Cöln und Leipzig übten wir mit
ihnen die beiden Lustspiele und Opernszenen, und
noch am Abend war die Kostüm- und General-
probe.

Jch hatte die Bühne an der Fensterseite eines
unserer grohen Wohnzimmer aufschlagen lasim;
rote Vmhänge, umgeben von einem dunklen

schauerrau'm. Alte Möbel im Stil Ludwig XVI.
aus dem zum Theater umgewandelten Raum
dienten dem ersten Stück, dem geistsprühenden
Versspiel „Wenn wir altern", als Dekoration.
Ein Spinett und ein gleichfalls selbsthergestellter
Kamin vervollständlgten das Bühnenbild. das
Clarissa Lindens entzückende Rokokogrüfin in
zierlicher Anmut belebte. Wie berückend sprachen
ihre Lippen die schönen Blumenthalschen Verse!
Zu reizvollem Zusammenspiel einten sich ihr
Herr v. Z. als alternder Freund und Herr v. O.
als ihr junger Freier und zukünftigev Gatte.

Es folgten nun ynter Weglassung der Chor-
stellen die Hauvtszenen zwischen Santuzza und
Turridu aus Oavs.1eria klustioLua, somie das
Duett Micasla—JosS aus Carmen. Ein ge-

wölbter Himmelsprospekt, Steine und immer-
grüne Pflanzen bildeten hierzu den einfachen,
plastisch sehr gut wirkenden szenischen Rahmen.
Ema Hallensleben war eine wunderbare Santuzza
in wild begehrendem Liebesflehen, in demütigem
Bitten und erhabenem Zom. Strahlend rein
erklang ihre machtoolle herrliche Sttmme, mlt
der ihres Pattners schöner Heldentenor prächtig
harmoniette. Wohl nie sah ich eine Micaela,
in deren Blick unberührtere Unschüld lag als in
den grohen Madonnenaugen von Erna Hallens-
leben. Gesanglich und darstellerisch bot sie wie
Koch in dem Micaöladuett Vollendetes.

Schnitzlers hetteres „Adschiedssouper" aus
seiyem Anatol-Zyklus beschlotz den Theaterabend.
Herr v. Z. gab einen ausgezeichneten Anatol, «r
spielte sich selbst einen „leichtsinnigen Melancko-
liker". Herr v. O. sprach als sein Freund Mar
entzückend österreichisch. Durch das feine lustige
Werk aber tollte in überfprudelnder Äusgelasien-
heit Clarissa Lindens Anni und bezaubette alle.

Vorbel sind die Aufführungen, die zwei im
Landhaus im A. H. Q. und die dritte im Theater
im A. H. Q.

zu fünf in unserem kleinen traulichen Bauem-
wohnhaus. —

Nun gehört alles bereits längst der Ettnnemng
an: Rokoko, siztlianische Leidenschaft, Madonnen-
augen voll unendlicher Reinheit und Annis be-
glückendes Lachen. G
 
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