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Allerdings ist auf dem Hügel von Ajasoluk bis jetzt kein fester archaischer Rest
nachweisbar. Wohl sind antike Werkstücke zahlreich noch vorhanden, indes willkürlich
zusammengetragen und regellos wiederbenutzt in oder zu mittelalterlichen Anlagen. Auch
mangelt es an antiken Inschriften1) nicht, von deren überwiegender Mehrzahl freilich teils
sicher steht, teils wahrscheinlich ist, daß sie von verschiedenen Plätzen der Niederung an
ihren jetzigen Ort verschleppt sind. Selbst eine ehedem hier verbaute archaische Inschrift
von Ephesos, ein hochaltertümlicher Stein des sechsten Jahrhunderts v. Chr.,2) welcher
Anweisungen über Deutungen von Vogelflug enthält, stammt, wie ich vermuten muß, von der
Cellamauer des alten Artemision. Doch entkräftet dieser ganze, sichtlich zufällige Sachverhalt
das entscheidende Gewicht der dargelegten örtlichen Gründe nicht, die in Autopsie für jeder-
mann unmittelbar überzeugend sind. Zunächst ist der Hügel durch Nachgrabungen, namentlich
an den Abhängen, noch gar nicht untersucht: drei kurze Versuchsgräben, die ich 1895 in
der Citadelle schlagen ließ, ergaben nur Felsbearbeitungen und Trümmerschutt aus spät-
antiker Zeit. Sodann erklärt sich der heutige Zustand von selbst, wenn die Befestigungen
der Stadt nach der Weise des Orients aus Lehmziegeln hergestellt, die Häuser mit Erde
eingedacht und mit losen Bruchsteinen, die in Massen noch vorhanden sind, erbaut waren;
an noch einfachere Constructionen wie bei den Wohnstätten von Sardes, die in der Mehrzahl
nur aus Rohr, sonst aus Rohr und Lehm bestanden,3) braucht man nicht einmal zu denken.
Überdies erklärt sich das derzeitige Fehlen altertümlicher Reste auch daraus, daß der Hügel
ununterbrochen bis in die Gegenwart bebaut und bewohnt wurde, und dies Moment bestätigt
sogar den topographischen Ansatz in erwünschter Weise. Wie sich öfters besonders in
Kleinasien verfolgen läßt, setzt die Ansiedlung eines zukunftsreichen Gemeinwesens an einer
x) So fand sich im Dorfe ein Marmorfragment in Charak-
teren des vierten, vielleicht noch fünften Jahrhunderts (jetzt
in Wien) mit dem Namen:
ΜΕΛΑΝΟ IO
und unter dem Schutt der Burg die Marmorbasis wahrschein-
lich einer Herme mit einer Votivinschrift der παιδονομοΰντες
an Herakles und König Eumenes.
2) C1G II 2953; Hicks a.a. O. DCLXXV1II; Dittenberger,
Sylloge 2 801. Die Vermutung, daß ein von R. Heberdey auf
unserem Grabungsgebiete gefundenes Inschriftstück (Jahres-
hefte II Beibl. Sp. 49, 50) von derselben Urkunde herrühre,
hat mir, nach Vergleichung eines übersandten Abklatsches
mit dem im britischen Museum befindlichen Original, eine
freundliche Mitteilung von A. S. Murray bestätigt: „On ours
it is clear, that if the centre column were complete on the
left instead of wanting one or two letters, it would measure
the same as the centre column of your new inscription. The
forms and sizes of the letters, the spacing and the punctua-
tion are the same in both. Of course the side columns may
have had the same breadth also.“ Und später: „There seems
to me the greatest probability of your being right in assigning
the two inscriptions to the cella-wall of the old Artemision.
The fact that the forms of the letters are somewhat later
than in the Kroisos dedication and on a fragment of base-
moulding would not affect the matter, because naturally the
cella-wall would be used for public documents of a ritual
nature long enough. For instance the P of your fragment
and ours is R on the Kroisos dedication, while the E cor-
responds to in the Kroisos writing. Otherwise the letters
are much the same in both. The männer of cutting them on
the stone is quite identical.“ Das Material beider Steine ist
bläulichweißer Marmor wie am Artemision. Die jetzt in Wien
befindliche Quader hat unten Lagerfläche, zu beiden Seiten
Stoßfuge und ist oben abgearbeitet. Ihren Maßen nach —
O'i85m Höhe, l-30m Länge, o-7im Tiefe — kann sie von der
Cellamauer herrühren, und daß man in später Zeit Bau-
material von der Höhe des Ajasolukhügels nach den Budrumia
verschleppt haben sollte, während es in der Ebene am Arte-
mision bequemer zur Hand war, ist unwahrscheinlich. An
die Wände des hellenistischen Baues schrieben die Neopoien,
wie es nach Analogien scheint, die Bürgerrechtsverleihungen.
3) Herodot V 101.
Allerdings ist auf dem Hügel von Ajasoluk bis jetzt kein fester archaischer Rest
nachweisbar. Wohl sind antike Werkstücke zahlreich noch vorhanden, indes willkürlich
zusammengetragen und regellos wiederbenutzt in oder zu mittelalterlichen Anlagen. Auch
mangelt es an antiken Inschriften1) nicht, von deren überwiegender Mehrzahl freilich teils
sicher steht, teils wahrscheinlich ist, daß sie von verschiedenen Plätzen der Niederung an
ihren jetzigen Ort verschleppt sind. Selbst eine ehedem hier verbaute archaische Inschrift
von Ephesos, ein hochaltertümlicher Stein des sechsten Jahrhunderts v. Chr.,2) welcher
Anweisungen über Deutungen von Vogelflug enthält, stammt, wie ich vermuten muß, von der
Cellamauer des alten Artemision. Doch entkräftet dieser ganze, sichtlich zufällige Sachverhalt
das entscheidende Gewicht der dargelegten örtlichen Gründe nicht, die in Autopsie für jeder-
mann unmittelbar überzeugend sind. Zunächst ist der Hügel durch Nachgrabungen, namentlich
an den Abhängen, noch gar nicht untersucht: drei kurze Versuchsgräben, die ich 1895 in
der Citadelle schlagen ließ, ergaben nur Felsbearbeitungen und Trümmerschutt aus spät-
antiker Zeit. Sodann erklärt sich der heutige Zustand von selbst, wenn die Befestigungen
der Stadt nach der Weise des Orients aus Lehmziegeln hergestellt, die Häuser mit Erde
eingedacht und mit losen Bruchsteinen, die in Massen noch vorhanden sind, erbaut waren;
an noch einfachere Constructionen wie bei den Wohnstätten von Sardes, die in der Mehrzahl
nur aus Rohr, sonst aus Rohr und Lehm bestanden,3) braucht man nicht einmal zu denken.
Überdies erklärt sich das derzeitige Fehlen altertümlicher Reste auch daraus, daß der Hügel
ununterbrochen bis in die Gegenwart bebaut und bewohnt wurde, und dies Moment bestätigt
sogar den topographischen Ansatz in erwünschter Weise. Wie sich öfters besonders in
Kleinasien verfolgen läßt, setzt die Ansiedlung eines zukunftsreichen Gemeinwesens an einer
x) So fand sich im Dorfe ein Marmorfragment in Charak-
teren des vierten, vielleicht noch fünften Jahrhunderts (jetzt
in Wien) mit dem Namen:
ΜΕΛΑΝΟ IO
und unter dem Schutt der Burg die Marmorbasis wahrschein-
lich einer Herme mit einer Votivinschrift der παιδονομοΰντες
an Herakles und König Eumenes.
2) C1G II 2953; Hicks a.a. O. DCLXXV1II; Dittenberger,
Sylloge 2 801. Die Vermutung, daß ein von R. Heberdey auf
unserem Grabungsgebiete gefundenes Inschriftstück (Jahres-
hefte II Beibl. Sp. 49, 50) von derselben Urkunde herrühre,
hat mir, nach Vergleichung eines übersandten Abklatsches
mit dem im britischen Museum befindlichen Original, eine
freundliche Mitteilung von A. S. Murray bestätigt: „On ours
it is clear, that if the centre column were complete on the
left instead of wanting one or two letters, it would measure
the same as the centre column of your new inscription. The
forms and sizes of the letters, the spacing and the punctua-
tion are the same in both. Of course the side columns may
have had the same breadth also.“ Und später: „There seems
to me the greatest probability of your being right in assigning
the two inscriptions to the cella-wall of the old Artemision.
The fact that the forms of the letters are somewhat later
than in the Kroisos dedication and on a fragment of base-
moulding would not affect the matter, because naturally the
cella-wall would be used for public documents of a ritual
nature long enough. For instance the P of your fragment
and ours is R on the Kroisos dedication, while the E cor-
responds to in the Kroisos writing. Otherwise the letters
are much the same in both. The männer of cutting them on
the stone is quite identical.“ Das Material beider Steine ist
bläulichweißer Marmor wie am Artemision. Die jetzt in Wien
befindliche Quader hat unten Lagerfläche, zu beiden Seiten
Stoßfuge und ist oben abgearbeitet. Ihren Maßen nach —
O'i85m Höhe, l-30m Länge, o-7im Tiefe — kann sie von der
Cellamauer herrühren, und daß man in später Zeit Bau-
material von der Höhe des Ajasolukhügels nach den Budrumia
verschleppt haben sollte, während es in der Ebene am Arte-
mision bequemer zur Hand war, ist unwahrscheinlich. An
die Wände des hellenistischen Baues schrieben die Neopoien,
wie es nach Analogien scheint, die Bürgerrechtsverleihungen.
3) Herodot V 101.