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lassen, und können die liebe Kaiserstadt in ihrem Leben nicht
vergessen.
Alle diese Fehler und Tugenden vollenden den äußerst lie-
benswürdigen Charakter des Wieners und machen den Umgang
mit ihm um so mehr zum Genuß, als er damit angenehme Ma-
nieren und französische Galanterie ohne Ziererei und geckenhafte
Hardieffe verbindet. Wer den Wiener kennen gelernt hat, muß
ihn lieben und schätzen und seine Fehler um ihrer Ursache willen
übersehen. Das Einzige, was den Fremden in dem Betragen
des Wieners zuweilen unangenehm berühren dürfte, ist feine un-
schuldige Spöttelei über Dinge, die ihm fremdartig sind. So
regt der schwäbische Dialekt, die Berliner Großsprecherei und das
Radebrechen der Böhmen, wenn sie deutsch sprechen, seine Lachlust
ungemein aufz^aber er wird auch nur lachen und nicht schimpfen,
wie es Andere zu thun pflegen. Auch das Aufziehen (Foppen)
ist ziemlich beliebt, aber kein Gebildeter wird mit derlei Späßen
fortfahren, wenn er bemerkt, daß er unangenehm wird, oder wenn
er nicht vorher beleidigt worden ist. In dem letzten Falle ist er
freilich oft unerbittlich, und der spitzigste verletzendste Verlinerwitz
kann ihm nichts anhaben, wenn er einmal im Aufziehen ist. Es
ist dies auch die einzige Rache, die er nimmt, denn vom Duelli-
ren hat er keinen -Begriff und würde es für Spaß nehmen, wenn
man ihn im Ernst forderte. Die edle Fechtkunst ist übrigens hier
so selten, daß man sich durch eine Herausforderung nur lächerlich
machen würde. In den schlimmsten Fällen wendet man sich an die
edle Polizei, und diese zapft den Geldbeutel des Schuldigen zu Gun-
sten der Armen so derb ab, daß derlei Wunden meist schmerzlicher wer-
den, alsdieimDuell erhaltenen. Nur im MilitäristdieseArtder Ehren-
rettung gebräuchlich, obwohl die schärfsten Verbote dagegen bestehen.
Von dem körperlichen Zustande des Wieners ist in Bezug
auf Solidität der Waare nicht viel Aufhebens zu machen; seine
lassen, und können die liebe Kaiserstadt in ihrem Leben nicht
vergessen.
Alle diese Fehler und Tugenden vollenden den äußerst lie-
benswürdigen Charakter des Wieners und machen den Umgang
mit ihm um so mehr zum Genuß, als er damit angenehme Ma-
nieren und französische Galanterie ohne Ziererei und geckenhafte
Hardieffe verbindet. Wer den Wiener kennen gelernt hat, muß
ihn lieben und schätzen und seine Fehler um ihrer Ursache willen
übersehen. Das Einzige, was den Fremden in dem Betragen
des Wieners zuweilen unangenehm berühren dürfte, ist feine un-
schuldige Spöttelei über Dinge, die ihm fremdartig sind. So
regt der schwäbische Dialekt, die Berliner Großsprecherei und das
Radebrechen der Böhmen, wenn sie deutsch sprechen, seine Lachlust
ungemein aufz^aber er wird auch nur lachen und nicht schimpfen,
wie es Andere zu thun pflegen. Auch das Aufziehen (Foppen)
ist ziemlich beliebt, aber kein Gebildeter wird mit derlei Späßen
fortfahren, wenn er bemerkt, daß er unangenehm wird, oder wenn
er nicht vorher beleidigt worden ist. In dem letzten Falle ist er
freilich oft unerbittlich, und der spitzigste verletzendste Verlinerwitz
kann ihm nichts anhaben, wenn er einmal im Aufziehen ist. Es
ist dies auch die einzige Rache, die er nimmt, denn vom Duelli-
ren hat er keinen -Begriff und würde es für Spaß nehmen, wenn
man ihn im Ernst forderte. Die edle Fechtkunst ist übrigens hier
so selten, daß man sich durch eine Herausforderung nur lächerlich
machen würde. In den schlimmsten Fällen wendet man sich an die
edle Polizei, und diese zapft den Geldbeutel des Schuldigen zu Gun-
sten der Armen so derb ab, daß derlei Wunden meist schmerzlicher wer-
den, alsdieimDuell erhaltenen. Nur im MilitäristdieseArtder Ehren-
rettung gebräuchlich, obwohl die schärfsten Verbote dagegen bestehen.
Von dem körperlichen Zustande des Wieners ist in Bezug
auf Solidität der Waare nicht viel Aufhebens zu machen; seine